# taz.de -- Nina Bunjevac über ihr neues Comicbuch: „Mit dem Nationalismus g… | |
> In ihrem Comicbuch „Vaterland“ setzt sich Nina Bunjevac mit der | |
> terroristischen Vergangenheit des eigenen Vaters auseinander. | |
Bild: Eine Episode aus Nina Bunjevacs Kindheit. | |
taz: Nina Bunjevac, wie reagierte das Publikum bei Ihrer Lesetour in | |
Österreich, Deutschland und Frankreich auf „Vaterland“? Schien Ihnen das | |
Publikum mit Ihrem Thema vertraut? | |
Nina Bunjevac: Mit serbischem Terrorismus im Kanada der siebziger Jahre | |
werden sich hier nur die Wenigsten auskennen. Aber die Geschichte | |
Jugoslawiens, die im Buch ein zentrales Thema ist, hat auch hier Bedeutung. | |
Das merkte ich zum Beispiel während einer Podiumsdiskussion, als ich als | |
kanadisch-serbische Künstlerin anmoderiert wurde, und sagte, dass mir das | |
Prädikat kanadisch-jugoslawisch lieber wäre. Plötzlich hörte ich, wie im | |
Publikum ein paar Leute klatschten. Da saßen also einige wie ich: Leute aus | |
dem alten Land. | |
Was macht sie so jugo-nostalgisch? | |
Jugoslawien ist das Land, in dem ich aufwuchs und das ich verlassen habe, | |
als ich nach Kanada ging. Damals, 1990, war ich eigentlich nur zu Besuch | |
bei meinem Bruder und sollte drei Monate bleiben. Aber meine Mutter rief an | |
und meinte: „Bleib, wo du bist! Hier ist bald Krieg.“ Heute, wenn man sagt, | |
man sei Serbe oder Kroate, schwingt immer der gesamte grausame Konflikt | |
mit, der zur Zersplitterung des Landes führte. | |
Wie war es, den Jugoslawienkrieg von Kanada aus verfolgen zu müssen? | |
Kompliziert. Um mich zu informieren hatte ich die Wahl zwischen Milosevics | |
Propaganda-TV über Satellit oder die westlichen Medien, die einstimmig alle | |
Serben verteufelten. Von beiden Seiten wurde verschwiegen, wie Studenten | |
und Aktivisten Widerstand leisteten – ohne jegliche Unterstützung von | |
außen. | |
Wie haben Sie davon erfahren? | |
Durch Aleksandar Zografs Comics, in denen er den damaligen Alltag der | |
Menschen in Serbien beschreibt. Aber in Ex-Jugoslawien herrscht leider die | |
Tendenz, die Geschichte zugunsten der Trennung umzuschreiben: Die | |
Faschisten des Zweiten Weltkriegs, wie die Tschetniks auf serbischer Seite | |
oder die Ustaschas auf kroatischer Seite, sind plötzlich alle Helden. Dabei | |
haben sie mit den Nazis kollaboriert beziehungsweise eigene | |
Konzentrationslager betrieben. | |
War es schwierig, an Information über die antikommunistische Terrorgruppe | |
Freiheit für das Serbische Vaterland zu gelangen, der sich Ihr Vater Ende | |
der 1960er Jahre in Kanada anschloss? | |
Nein. Ich habe viele Zeitungsartikel über die Attentate gefunden, die sie | |
damals auf Botschaften und Konsulate der jugoslawischen Republik in | |
Nordamerika verübt hatten, und zahlreiche Berichte, die nach der Auflösung | |
der Gruppe 1978 und Titos Tod 1980 geschrieben wurden. | |
Schwierig war eigentlich, das Material zu sortieren und zu entscheiden, was | |
im Buch erwähnt werden kann. Einige Aspekte habe ich ausgeklammert, weil | |
ich die Leser nicht überfordern wollte. | |
Zum Beispiel? | |
Freiheit für das Serbische Vaterland hatte ein weltweit aktives, | |
kroatisches Pendant namens Kroatischer Nationaler Widerstand, kurz Otpor. | |
Einige Mitglieder haben in den Neunzigern wichtige Posten in den | |
Ministerien des neu gegründeten Kroatiens übernommen. So schockierend das | |
ist, es zeigt eindeutig, wie sich Geschichte wiederholt. | |
Was auch immer in der Diaspora auskeimt, gedeiht später in der Heimat. So | |
wie sich die Ustascha-Miliz in Italien bildete und den Einmarsch der | |
Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg nutzte, um damals einen kroatischen Staat | |
nach Wunsch zu gründen, ist es den nationalistischen Serben später auch | |
gelungen, den jugoslawischen Staat zu stürzen. | |
Gab es Grund zur Befürchtung, dass sich der Jugoslawienkrieg der Neunziger | |
in die Diaspora ausweitet? | |
Diese Angst kenne ich nicht. Aber sowohl in der serbischen als auch in der | |
kroatischen Gemeinschaft wurde nationalistische Propaganda betrieben und | |
Geld gesammelt, jeweils von den Kirchen ausgehend. Die serbisch-orthodoxe | |
Kirche hat zuletzt während der Gay Pride 2010 in Belgrad antischwule | |
Rechtsextreme und Fußballhooligans unterstützt. | |
War es für Sie riskant, Ihre Auseinandersetzung mit Freiheit für das | |
Serbische Vaterland zu publizieren? | |
Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Mit meinem vorigen Buch | |
„Heartless“ bin ich wesentlich größere Risiken eingegangen. | |
Inwiefern? | |
In der elfseitigen Kurzgeschichte „August 1977“ – der Titel bezieht sich | |
auf den Zeitraum, in dem mein Vater bei einer Bombenexplosion in Toronto | |
ums Leben kam – ziehe ich Parallelen zwischen der Ideologie meines Vaters | |
und der mittlerweile verbotenen rechtsradikalen Organisation Obraz, die | |
sich 1993 in Serbien gründete. | |
Der Comic ist ein offener Brief an meinen Vater, in dem ich beide | |
Ideologien kritisiere und ablehne. 2011 hatte ich im Belgrader Zentrum für | |
kulturelle Dekontamination eine Ausstellung mit Originalzeichnungen. Vor | |
der Eröffnung wurde ich von den Kuratoren auf einen möglichen Besuch von | |
Obraz vorbereitet. | |
Wie verlief die Begegnung? | |
Die sind gar nicht aufgetaucht. Aber zufällig habe ich ein paar Tage später | |
ihren Anführer auf einer Café-Terrasse gesehen. Er war gerade aus dem | |
Gefängnis entlassen worden und saß da mit jemandem, der mit ihm sprach, als | |
würde er ihn trösten, ihn aufmuntern wollen. Er war klein, dürr, seine | |
Körperhaltung drückte Trauer aus. Wider Erwarten fühlte ich Mitleid, und es | |
kam in mir der Wunsch auf, ihn zu verstehen. | |
Und auch der Wunsch, sich tiefer mit der Geschichte Ihres Vaters | |
auseinanderzusetzen? | |
Ja. Und dabei so objektiv wie möglich zu bleiben. Ich wollte die | |
Auswirkungen von Geschichte und destruktiver Politik auf das Leben meines | |
Vaters zeigen, und welche Konsequenzen seine Aktionen für uns, seine | |
Familie, hatten. Mir ging es um die stillen Opfer des Terrorismus und der | |
Kriegsverbrechen: Die Kinder, die mit der Angst und Schande leben müssen, | |
und darum, wie Generationen nachhaltig belastet werden. | |
Als das Buch fertig war, habe ich meinen Vater etwas besser verstanden – | |
und auch meine Mutter. Ich werde zwar nie begreifen, wie sie damals meinen | |
Bruder bei meinem Vater zurücklassen konnte, wohl aber, warum sie immer so | |
depressiv war. | |
Wie schwer war die Entscheidung, die eigene, wenig ruhmvolle | |
Familiengeschichte so zu verarbeiten? | |
Als ich 1990 nach Kanada zog, war ich jung, hatte Heimweh, war ignorant und | |
fragil. Da lernte ich alte Freunde meines Vaters kennen und sie sagten: | |
Dein Papa war ein Held! Das war genau das, was ich hören wollte. Es war wie | |
der Gesang der Sirenen, und für ein gutes Jahr habe ich sogar mit dem | |
Nationalismus geflirtet. | |
Im Balkan sollen Frauen ihren Vater ehren, und schmutzige Wäsche wird nie | |
an die frische Luft gehängt. Aber wie meine Familie 1975 | |
auseinandergebrochen ist – aus den gleichen Gründen wie schließlich | |
Jugoslawien 15 Jahre später –, halte ich für erzählenswert. Es ist besser, | |
sich mit der eigenen Geschichte zu konfrontieren, als von ihr überrumpelt | |
zu werden. | |
3 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
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