# taz.de -- Neues Buch über die Band Pet Shop Boys: Adorno zum Mitstampfen | |
> Jan-Niklas Jägers Buch „Factually“ stellt die Pet Shop Boys in Theorie | |
> und Praxis vor. Es zeigt, dass die Haltung der Band reine Gegenkultur | |
> ist. | |
Bild: Die Musik von PSB berücksichtige „welt- und sozialpolitische Ereigniss… | |
Wir tanzen in einer politischen Welt. Und die Disco-Hymnen der Pet Shop | |
Boys kommen weltweit gut an – vom schwulen Underground-Schuppen in San | |
Francisco (wo die Debütsingle „West End Girls“ 1984 zum Hit wurde, bevor es | |
überhaupt ein Album gab) bis hin zum homophobsten [1][Fußballstadion, in | |
dem viele Fans unbewusst die Melodie von „Go West“] etwa zum Schlachtruf | |
„Steht auf, wenn ihr Schalker seid“ schmettern. | |
„Kann eine Chartband subversiv sein? Schließen kommerzieller Erfolg und | |
kritischer Anspruch einander nicht aus?“, fragt der Autor Jan-Niklas Jäger | |
rhetorisch in seinem Essay „Factually. Pet Shop Boys in Theorie und | |
Praxis“, der im Mainzer Ventil Verlag in der Reihe „Testcard Zwergobst“ | |
veröffentlicht ist. Sie hat ihren Titel aus einer Adorno-Überschrift in den | |
„Minima Moralia“ stibitzt. Hört, hört! | |
Pet Shop Boys und Adorno? Warum nicht! Jäger verspricht „ein Buch über die | |
Möglichkeiten von Pop“, er behandelt „das dialektische Spannungsfeld | |
zwischen Massenunterhaltung und Subversion“, die beiden Pole, zwischen und | |
mit denen die Pet Shop Boys (PSB) so subtil spielen wie niemand sonst. | |
Jägers These klingt spannend, aber stimmt auch skeptisch: Will hier ein | |
bekennender Fanboy sein privates guilty pleasure zum intellektuellen | |
Abenteuer nobilitieren, indem er ihm einen politischen Anstrich verpasst | |
und somit zumal beim linken Publikum mit sozialer Relevanz punktet? | |
Keineswegs: Jäger macht keinen Hehl daraus, dass er Fan ist, gerade deshalb | |
hat er es nicht nötig, im Vagen zu fabulieren. Zwar zitiert er ausgiebig | |
Interviews mit den PSB und versorgt so auch uneingeweihte LeserInnen mit | |
popkulturellem Kontextwissen. Vor allem aber legt er das Vergrößerungsglas | |
auf klangliche und lyrische Details. | |
## Passt für den Jahrmarkt, ist dennoch weltpolitisch | |
Von den Powerplay-Megahits bis hin zu unbekannten B-Seiten: Jäger | |
beschreibt präzise, seine Sätze reißen mit, Les- und Hörarten überzeugen. | |
Der Autor vollzieht nach, wie das britische Popduo eine erstaunlich | |
komplexe Gesellschaftsgeschichte komponiert, und zwar mit Songs, die auf | |
dem Jahrmarkt mitgestampft werden. | |
Die Musik von PSB berücksichtigt „welt- und sozialpolitische Ereignisse, | |
porträtiert Menschen, die von ihnen betroffen sind, hat Kenntnis von | |
Ideengeschichte und den verschiedensten Diskursen, beschäftigt sich mit | |
Identität und Sexualität, kommentiert (massen- wie sub-)kulturelle | |
Entwicklungen“ – und das in einer Kunstform, deren „Qualität sich zum Te… | |
über Simplizität definiert“. Wobei PSB natürlich kein Problem damit haben, | |
in ihren Tracks Thatcher und Tschaikowski zu verwursten. | |
Chris Lowe und Neil Tennant schafften es mit Porträts der britischen | |
Klassengesellschaft in die Charts: „West End Girls“, die erste PSB-Single | |
überhaupt, verknüpft die soziale Dynamik des reichen Londoner West End mit | |
dem armen East End. Und so ging es weiter: „Suburbia“ (1986) seziert die | |
selbstgerechte, ausgrenzende Mittelschicht der posheren Vorstädte. | |
Der Autor jagt die LeserInnen kreuz und quer und queer durch das Œuvre der | |
beiden Jungs von der Zoohandlung, zeigt, wie sie sich in ihrer auch vokal | |
heruntergekühlten Künstlichkeit von der behaupteten Authentizität des | |
Mainstream-Rock der Achtziger abgrenzten. Und das nicht bloß durch eine | |
schamlose, bedeutungsverschiebende Coverversion („Where the Streets Have No | |
Names“) der von PSB verabscheuten irischen Emoband U2. | |
## PSB sind in ihrer Haltung Gegenkultur | |
[2][In ihrer Haltung waren und sind PSB wie einst Punk: Gegenkultur.] So | |
manch vermeintlichen Schmachtfetzen schält Jäger bis zu seinem politischen | |
Kern blank. Der Song „Rent“ erzählt konkret vom Sugar Daddy, der die Miete | |
blecht, aber eben auch von entmenschlichender Verwertungslogik. „I’m With | |
Stupid“ lästert aus der Sicht von Tony Blair über George W. Bush. | |
Wobei auf den 150 Seiten auch klar wird, dass Plakatives eher zu den | |
simpelsten Späßen gehört; die Idee, dass Liebe nur ein bourgeoises | |
Konstrukt sei, entlarven die beiden Künstler im gleichnamigen Song als | |
Selbstbetrug eines linken Akademikers. PSB denken um viele Ecken und sind | |
historisch versiert; um das herauszuarbeiten, braucht es ein Buch. | |
„Factually“ ist dieses Werk. | |
Ambivalent ist der Umgang von PSB mit ihrem Schwulsein, das arbeitet Jäger | |
gut heraus. Die Coming-outs kamen spät, Lowe und Tennant haben keine Lust, | |
aus ihren Privatleben zu plaudern; und doch waren Themen wie Aids, sexuelle | |
Freiheit, unkonventionelle Beziehungsmodelle immer präsent. Jäger | |
inspiriert mit seinem Buchessay, gerade indem er so nah ranzoomt, denkt er | |
weit über das Phänomen Pet Shop Boys hinaus. | |
1 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Die-russische-Nationalhymne-bei-der-WM/!5518088 | |
[2] /Pet-Shop-Boys-jetzt-sozialdemokratisch/!5570776 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
## TAGS | |
Pet Shop Boys | |
Pop | |
Musik | |
Homosexualität | |
Großbritannien | |
elektronische Musik | |
Pop | |
Pet Shop Boys | |
Sozialdemokratie | |
Frauen-WM 2019 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Pet Shop Boys-Album „Hotspot“: Tiefgründig ist nicht nur der Bass | |
Sie sind Superheroes und Superqueeros. Das britische Popduo Pet Shop Boys | |
kehrt mit seinem teils in Berlin entstandenen Album „Hotspot“ zurück. | |
Pet Shop Boys über Berlin: Von Suburbia nach Hotspot | |
Grooven que(e)r durch die Stadt: Die britischen Popveteranen machen ihr | |
neues Album „Hotspot“ zur Hommage an Berlin. | |
Pet Shop Boys jetzt sozialdemokratisch: Was tun mit den Reichen? | |
Gegen Betrüger, Populisten, soziale Medien: Das Pop-Duo Pet Shop Boys setzt | |
sich an die Spitze einer kommenden sozialdemokratischen Bewegung. | |
Die russische Nationalhymne bei der WM: Schalalalalala! Schala-lala-lala! | |
Das Beste an der WM: die russische Hymne. Das hat auch mit Paris | |
Saint-Germain, Johann Pachelbel und den Pet Shop Boys zu tun. |