| # taz.de -- Neues Album von Rapper OG Keemo: Zwischen Hochhaus und Niedertracht | |
| > Gangsta mit Attitude und Geschmack: Der Mainzer OG Keemo setzt sich dem | |
| > Album „Mann beißt Hund“ hörbar vom Deutschrap-Mittelmaß ab. | |
| Bild: Unterwegs in einem Hochhausflur: OG Keemo | |
| Ein Surren, die Haustür öffnet sich automatisch, hallende Schritte sind in | |
| einem Flur zu hören. Mit dem Aufzug geht es in den 9. Stock eines | |
| Hochhauses. „An der Wand flimmert hektisch ’ne Zahlenkette und warnt mich / | |
| Ein letztes Mal vor’m Start / So als hätt’ ich ’ne Wahl.“ OG Keemo rap… | |
| von einer Fahrt im Aufzug ins oberste Stockwerk und weiter bis aufs Dach. | |
| Erst von einer simplen Geigenmelodie untermalt, entwickelt sich der Beat | |
| allmählich zum Antrieb, untermalt mit einem durchgehenden tiefen Bass. | |
| [1][„Vögel“] heißt der Track, und bald ist klar, wovon sein Songtext | |
| handelt: Hoch hinauf geht es, aber gleichzeitig tief zurück in die | |
| Vergangenheit eines jungen Mannes: Er gerät hinein in eine schicksalhafte | |
| Spirale aus Adrenalin und Abgestumpftheit, Gewalt und Geldmachen, Rassismus | |
| und Rache. | |
| Zu hören ist „Vögel“ auf dem Album „Mann beißt Hund“: Es ist das neu… | |
| von Rapper OG Keemo, entstanden zusammen mit dem Produzenten Funkvater | |
| Frank. Und die sonore Musik der beiden ist klassischer HipHop. Für echte | |
| Fans, aber auch für alle, denen die Welt aus Beats und Reimen bislang | |
| verschlossen geblieben ist. Wer mit Rap und [2][HipHop-Kultur] auf Deutsch | |
| gar nichts anfangen kann, sollte zwei Songs von OG Keemo hören: Mit jedem | |
| Takt und jedem Vers wird klar, wie viel Können und Arbeit, aber auch wie | |
| viel Verzweiflung in Musik stecken kann. | |
| ## Aus der Papageiensiedlung | |
| „Ich komm aus Ecken, die du kennst, weil diese P* drüber rappen“, lautet | |
| eine Zeile in „Vögel“. Es geht um die Peripherie, in diesem Fall um den | |
| Mainzer Stadtteil Lerchenberg. Hier ist Keemo, der bürgerlich Karim Joel | |
| Martin heißt und 27 Jahre alt ist, aufgewachsen. Die Papageiensiedlung | |
| besteht aus Hochhäusern, die an Felder grenzen. Über diese Randbezirke gibt | |
| es in Deutschland viel zu erzählen. | |
| Mühelos schildert Keemo seine Geschichten auf dem Album und wirkt dabei | |
| sehr glaubwürdig. „Den Song höre ich mir selbst nicht gerne an“, sagt Kee… | |
| im Gespräch mit der taz. „ ‚Vögel‘ skippe ich jedes Mal“, sagt auch s… | |
| Kollege Franky, der bürgerlich Dominic Salvatore D’Amato heißt und genau | |
| wie Keemo 27 Jahre alt ist. | |
| In dem Songtext geht es um einen arglosen Mitschüler, der auf eine Party | |
| eingeladen wird, einzig, um ihn dort auszurauben. „Er hatte nur ein altes | |
| Handy deshalb gaben wir’s zurück / Taten dann, als wollten wir ihn | |
| spaßeshalber kurz erschrecken / Die Woche drauf hat er die Schule dann | |
| gewechselt / Ich dacht’, der Junge wär’ halt soft / Wieso liegt das an | |
| uns.“ Keemo erzählt weiter, dass er es besser hätte wissen müssen. „Ich … | |
| doch damals der, den die Kids nach der Sechsten pickten / Ich weiß wie’s | |
| is’, sich verstecken zu müssen / Weil du dich vor den dreckigen Blicken | |
| schämst / Wenn sie dich mit ner leeren Kiste / Wartend vor der Theke der | |
| Tafel / bei dir ums Eck erwischen.“ | |
| ## Beruht auf wahren Begebenheiten | |
| Alle Storys seien so oder so ähnlich passiert, behauptet Keemo. Neben | |
| eigenen Erlebnissen fließen auch Begebenheiten von Weggefährten in seine | |
| Schilderungen auf dem Album ein. Deren Geschichten hat er zwei fiktiven | |
| Charakteren zugeschrieben, genannt Malik und Yasha. Wenn die Storys auf | |
| Menschen zugeschnitten seien, sind sie besser nachvollziehbar, sagt Keemo. | |
| Der Auftaktsong des Albums führt ein in diese Alltagswelt, in die Stadt von | |
| Malik, „Sein Vater aus Marokko / seine Mum aus [3][Mosambik]“, und Yasha, | |
| „Jemand meinte mal sein Vater wär’ Alkoholiker / Der Rest der Fam’ wär�… | |
| noch in Herzegowina“. Keemos Texte handeln von Erlebnissen der Kinder von | |
| Einwanderer*innen, deren Heimat ihr Viertel ist: „Er sagte mir, dass das | |
| hier seine Stadt ist.“ Anerkennung, Selbstentfaltung, aber auch einfach nur | |
| Spaß sind mit den größten Widerständen verbunden, und so geht es darum, | |
| sich durchzusetzen. Für Keemo ist es „die erste Sonntagnacht in einer neuen | |
| Stadt“, für ihn ist alles so neu wie für die Hörenden. | |
| Den Beat dazu hat Funkvater Frank meisterhaft um hektische Streichersamples | |
| herum konstruiert, sein Bass setzt ein wie ein kaputter Herzschlag und | |
| verstetigt sich. Keemo zieht mit Yasha und Malik um den Block, bis | |
| letzterer vor einem Auto ein Stück Draht zückt („Fuck it / Wer hat Bock auf | |
| Business“). | |
| ## Fast schon ein Hörspiel | |
| Es braucht gar nicht viel Worte, um verständlich zu machen, um was es geht. | |
| Mit den eingeschobenen Skits, der schönen HipHop-Tradition, auf Alben | |
| zwischen den Songs sketchartige Zwischenspiele hinzuzufügen, hat „Mann | |
| beißt Hund“ schon fast den Charakter von einem Hörspiel. Ein Vergleich, der | |
| Produzent Funkvater Frank aber nicht gefällt. „Für mich klingt das genauso, | |
| wie sich ein Rap-Album anhören sollte“, sagt er. | |
| Vor seinem Plattenvertrag habe er in einem Lager Lkws beladen, dazu hörte | |
| er US-Underground-Sound, HipHop von Madlib, [4][J-Dilla] und [5][MF Doom]. | |
| Genau wie bei diesen Künstlern haben auch viele OG-Keemo-Songs gesprochene | |
| Intros oder aber das Outro reißt ab und eine neue Szene wird eingeführt. | |
| „Musik so zu produzieren, ist eine Leidenschaft von mir, das würde ich | |
| gerne noch ausbauen“, gesteht Franky. | |
| Damit aber ist „Mann beißt Hund“ nicht so für das Streaming bei Spotify u… | |
| anderen Plattformen optimiert, wie es heute der Standard vieler | |
| Neuerscheinungen ist. HipHop ist ein ultrakommerzielles, | |
| milliardenschweres Geschäft, Vorlieben und Hörgewohnheiten von | |
| Konsument*innen sind längst durchanalysiert, um sie exakt bedienen zu | |
| können. „Mann beißt Hund“ fällt aus diesen Rastern der schnellen | |
| Verwertbarkeit. | |
| ## Mehr Nachhall | |
| Wer sich Zeit nimmt und die Musik am Stück auf Kopfhörern hört, merkt, dass | |
| die Songs mehr Nachhall haben, als nur für den oberflächlichen Gebrauch. An | |
| einigen Stellen hört man den ehrenvollen Do-it-yourself-Anspruch heraus, | |
| der [6][HipHop-Kultur zumindest anfangs geprägt] hat. Franky hält im | |
| Gespräch auch stolz das Aufnahmegerät in die Kamera, mit dem er durch das | |
| Mannheimer Umland gezogen ist, um Alltagsgeräusche für die Geräuschkulisse | |
| der Songs einzufangen. | |
| Wer OG Keemo in den Songs „Petrichor“ und „Regen“ rappen hört, taucht … | |
| in eine typische HipHop-Biografie: 1997 geboren, ist er „der älteste junge | |
| Mann der Welt“. R&B-Sänger Sumpa liefert in „Petrichor“ mit seiner | |
| gehauchten Falsettstimme den schönen Gegenpart zur düsteren Vorahnung, die | |
| sich im Rap-Part ankündigt und im Song „Regen“ aufgeht: „Das Schlimmste | |
| ist, wahrscheinlich hatte ich eine Wahl“, rappt Keemo später in dem Song | |
| „Vögel“. | |
| Die schicksalhafte Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, aus hohlem | |
| Gangstagehabe bricht der Künstler am Ende mit toller Musik auf. Und das ist | |
| auch das, was OG Keemo von der Konkurrenz abhebt, so detailverliebt in der | |
| Musik, so selbstkritisch in den Texten wie er klingt momentan kein anderer | |
| Rapper in Deutschland. | |
| 24 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=lg_PmZ2S_3Y | |
| [2] /Kleinpartei-Die-Urbane-im-Wahlkampf/!5799680 | |
| [3] /Mosambik/!t5030637 | |
| [4] /Album-The-Diary-von-J-Dilla/!5297613 | |
| [5] /Key-to-the-Kuffs-von-Projekt-JJ-Doom/!5082743 | |
| [6] https://www.flickr.com/photos/charlieahearn/ | |
| ## AUTOREN | |
| Cem-Odos Güler | |
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