# taz.de -- Neues Album von Casper: Musikalische Abrissparty | |
> Nach einer längeren Pause dockt Casper mit seinem neuen Album „Alles war | |
> schön und nichts tat weh“ an Indierock und Songwriting an. | |
Bild: Will alle Möglichkeiten ausloten: Casper | |
Wer sich neu erfinden will, muss wissen, was er gerade ist. Wer es nicht | |
weiß, macht einfach das, was er am besten kann. [1][Deutschrapper Casper] | |
hat sich mit seinem neuen Album „Alles war schön und nichts tat weh“ damit | |
abgefunden, dass er wohl nie so genau wissen wird, wo sein Platz in der | |
Musikszene ist. Er weiß, er ist nicht mehr der heißeste Scheiß auf dem | |
Schulhof, aber sicher auch nicht in einer Riege mit Altstars wie Grönemeyer | |
und Lindenberg. | |
2011 feierte er mit dem Album „XOXO“ seinen Durchbruch, Casper wurde | |
berühmt: Fanatische Fans, die vor seiner Wohnung campierten, Hater, die das | |
Internet mit Drohungen gegen ihn vollposteten. Alle hatten eine Meinung zu | |
dem Künstler aus Ostwestfalen-Lippe: nicht Rap genug, nicht Pop genug, zu | |
mainstreamig, zu kompliziert, zu düster, zu enge Hosen, der einzige, der | |
mich versteht, genial, Pionier, wie schafft er das noch mal? | |
Ja, der Künstler, der 1982 als Benjamin Griffey geboren wurde, schaffte es, | |
auch mit den Alben „Hinterland“ (2013) und „Lang lebe der Tod“ (2017) d… | |
Erwartungen zu erfüllen. Aber den Druck des Abliefern-Müssens spürte er | |
immer stärker, verlor sich in Zweifeln, verschob den Release von „Lang lebe | |
der Tod“ um ein Jahr, es muss immer noch besser gehen. | |
Nun, fast fünf Jahre nach dem letzten, veröffentlicht Casper am 25. Februar | |
ein neues Album, das einerseits eine Fortschreibung des Casper-Universums | |
ist und doch vieles anders macht. Durch die Pandemie stand sein Hamsterrad | |
still, er fing an, Songs zu komponieren, einfach weil er Lust darauf hatte. | |
## Neuer Produzent | |
Er entdeckte, dass er, statt wie ein Vampir nachts mit Tunnelblick zu | |
arbeiten, auch einfach die Morgenstunden nutzen kann (sozial | |
verträglicher). Und er suchte sich einen neuen Produzenten: [2][Max Rieger | |
von Die Nerven], der gerade bei fast allem der deutschen | |
Postpunk-Indie-Bubble die Finger mit im Spiel, aber eher keine Ahnung von | |
Rap hat. | |
„Ich bin als Künstler eher verkopft und unsicher, also jemand, der alle | |
Möglichkeiten ausloten will. Max Rieger hat so eine schwäbische, | |
pragmatische Arbeitsweise, dass er dann sagt: Nee, ist doch gut so, wie es | |
ist“, erklärt der 39-Jährige. Schnelleres Arbeitstempo, Unsicherheiten | |
wurden weggefegt, ein Song ist nur ein Song und kein unlösbares Universum, | |
an dem man verzweifeln muss. Man muss nicht für die Geburt eines Albums | |
leiden. | |
Im Videoclip zum titelgebenden Intro „Alles war schön und nichts tat weh“ | |
ist Casper allein auf weiter See, auf einer kleinen blumigen Insel. Das | |
Lied ist wie ein Sonnenaufgang mit Streichern und Klavier, Gedanken drehen | |
sich im Kreis, nehmen Geschwindigkeit auf, der Wellengang nimmt zu und der | |
Druck entlädt sich textlich und musikalisch. | |
## Klassischer Rap wird ironisch gebrochen | |
Auf diesem hohen Energielevel verhandelt „Lass es Rosen für mich regnen“ | |
Herkunft und Geltungsbedürfnis, klassischer Rap wird ironisch gebrochen von | |
Indie und Pop durch den Gesang von Vincent Waizenegger, Mitglied der Band | |
Provinz und bei Lena Meyer-Landrut. Auch eine Antwort auf die ewig nervige | |
Frage: „Ist Casper überhaupt ein Rapper?“. | |
In „TNT“, dem gemeinsamen Song mit Tua, entlädt sich wieder Druck, aber | |
auch Schmerz in der sehr offenen Thematisierung von psychischer Gesundheit. | |
Die Stimmungskurve geht klar nach unten, während Casper sein Talent fürs | |
schonungslose und detailverliebte Geschichtenerzählen wieder unter Beweis | |
stellt: traumatisierter Ex-Soldat erschießt seine Familie, die Doppelmoral | |
der Welt, in der wir leben, Klimakrise, Endzeitstimmung. Dazu gerne mal | |
Post-Rock-Gitarrenwände. | |
Zum Weltschmerz kommt die Wut hinzu im zermürbenden Hin und Her einer | |
toxischen Beziehung. Der Sturm bricht los, im gemeinsamen Song mit Felix | |
Kummer werden Bengalos gezündet, zerstörerischer Lebenswille, musikalische | |
Abrissparty. Die Wolken lichten sich, das Meer liegt wieder still da, die | |
erlösende Sonne nach dem Sturm scheint zu „Euphoria“, auf dem | |
Beatsteaks-Frontmann Arnim Teutoburg-Weiß gastiert. Das Finale „Fabian“ | |
handelt schließlich von einem an Leukämie erkrankten Freund und der eigenen | |
Hilflosigkeit, mit der Krankheit umzugehen. Doch Casper-untypischerweise | |
ist es am Ende kein Song über den Tod, sondern über das Leben: „Coming | |
home, stärker als der Tod“. | |
„Alles war schön und nichts tat weh“ ist also eine Versöhnung mit der | |
Vergangenheit. Eine Versöhnung mit Schicksalsschlägen, eine | |
Auseinandersetzung mit der eigenen plötzlichen Berühmtheit, der | |
Verkopftheit und Unsicherheit, eine Versöhnung mit sich selbst. | |
Die Musik von Casper verhandelt eben auch seinen Platz in der | |
Musikindustrie. „Ich hab mich von sämtlichen Erwartungen freigeschwommen, | |
indem ich gesagt hab, ich will für dieses Album das Spiel nicht mitspielen, | |
sondern einfach das tun, was ich am besten kann.“ Also Tracks produzieren, | |
die nicht die Streamingalgorithmen und den Vermarktungswahnsinn der | |
Rapszene (meine Rolex, mein Auto, mein Eistee, meine Sneakerlinie) | |
bedienen, sondern vor allem den Casper-Fans und ihm selbst gefallen. | |
Casper hat sich Musik als einen Safespace zurückerobert, als kleine | |
Rettungsinsel. Er findet ein neues Selbstbewusstsein darin, nicht wirklich | |
in irgendeine Kategorie zu passen: „In der HipHopszene der Gegenwart gibt | |
es viele Bilder und Ideale, die ich sehr verwerflich finde. Ich fühl mich | |
eher als Teil einer Art Subkultur – die ist nicht Rap und ist auch nicht | |
Indie. Dazu zählen Künstlerkolleg:Innen wie Drangsal, Alli Neumann und | |
Schmyt, aber auch K.I.Z, Feine Sahne Fischfilet und Kraftklub. Weil da geht | |
es um den Song und den Text und eine Aussage und nicht darum, einfach | |
schnell, schnell rauszuballern.“ | |
Zu dieser neuen Freiheit gehört auch, darüber nachzudenken, irgendwann | |
nicht mehr Casper zu sein, nicht mehr länger im Zyklus von Album machen und | |
veröffentlichen zu leben. „Den Namen Casper hab ich mir mit 15 Jahren | |
ausgedacht – bald werde ich 40. Viele Sachen, die mit dieser | |
Künstlerpersona passiert sind, sind viel größer und viel krasser, als ich | |
mir das jemals ausgemalt habe. Und vieles nervt mich einfach unendlich. | |
Ich finde gut, wenn Sachen nicht endlos lange vor sich hin mäandern. Es | |
liegt eine große Kraft im Ende. Und eine große Euphorie im Anfang. Das | |
würde ich mir für mein Leben doch noch ein-, zweimal wünschen.“ | |
25 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Naomi Webster-Grundl | |
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