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# taz.de -- Neues Album von Alli Neumann: Phönix aus der Asche
> Wer braucht schon die „Cool Kids“? Popsängerin Neumann legt ihr Album
> „Primetime“ vor – und befreit sich von einengenden Vorstellungen.
Bild: Hat alle Selbstbeschränkung abgelegt: Alli Neumann
Dem zweiten Album wird nachgesagt, dass seine künstlerische Realisierung
das Schwierigste überhaupt sei. [1][Hat sich das Selbstverständnis seit dem
Debüt verändert?] Wie lässt es sich weiterentwickeln, ohne Fans zu
enttäuschen? „Die Problematik hat sich leider als real herausgestellt und
mich in eine Identitätskrise gestürzt“, erklärt [2][Alli Neumann].
„Letztendlich habe ich mich vom Hinterfragen freigemacht und die Musik
innerhalb weniger Monate komponiert.“
Ihr neues Album trägt den Namen „Primetime“. Hauptsendezeit bedeutet in
Neumanns Fall überwundener Herzschmerz, Liebesbekundungen und Party. Ihr
Sound fußt auf breitbeinigen Gitarrenriffs, filigranem Funk, aber auch
ruhigen, kraftvollen Stücken. Wie bei einem Blockbuster ist für alle was
dabei. Alli Neumann ist vieles – coole Socke, schräger Vogel, Rampensau.
Früher trug sie ihren blonden Bob mit giftgrünen Spitzen, heute erstrahlt
die Frisur der 28-Jährigen in knalligem Orange.
Nachdem Alina-Bianca Neumann ihre ersten Lebensjahre in Polen verbracht
hat, zieht die Familie nach Nordfriesland. Auf einem Flohmarkt entdeckt sie
als Kind die Schallplatte „Schöner fremder Mann“ von Connie Francis und
tingelt ab da von Altersheim zu Altersheim und singt den Senior*innen
jene Schlager vor.
Als Teenagerin fängt sie an, eigene Songs mit der Gitarre zu komponieren –
damals noch auf Englisch – und bekommt im Alter von 14 tatsächlich einen
Plattenvertrag. Neumann bricht die Schule ab und zieht nach Hamburg.
## Einheizerin für Coldplay
Rückblickend bezeichnet sie die Musik, die sie damals gemacht hat, als
schlecht und ist froh, die Schule doch mit einem Abschluss beendet und die
Musikkarriere auf später verschoben zu haben. Dass sie für die Bühne
geboren ist, konnte sie inzwischen als Einheizerin der britischen
Softrock-Superstars Coldplay beweisen.
Auf ihrem Debütalbum „Madonna Whore Komplex“ (2021) arbeitete Neumann sich
am Patriarchat und der Befreiung der dadurch verinnerlichten Normen ab.
Nun, mit dem Nachfolger „Primetime“ traut sie sich etwas zu: mehr tanzbare
Stücke; mehr konkrete Texte; mehr in der Freiheit angekommen.
Neben Funk, Bluesrock und Synthiepop bietet „Primetime“ aber auch
melancholischen Klavier- und Gitarrenstücken Platz. Für ihren Zweitling hat
Alli Neumann vor allem Liebeslieder geschrieben. Romantische, aber auch
Oden an ihre beste Freundin und ihre Mutter. Und für sich selbst über den
Moment, wenn man den Herzschmerz überwunden hat und wie Phönix aus der
Asche emporsteigt und sich neu erfinden kann.
Neumanns Neuerfindung korreliert auch mit dem Thema Zugehörigkeitsgefühl
und der Suche danach, was die Künstlerin in mehreren Songtexten von
„Primetime“ verhandelt. „Ich habe früher lange meine polnische Identität
versteckt und versucht, einfach deutsch zu sein. Deswegen war
Dazugehören-Wollen immer ein Thema für mich. Aber ich habe auch gemerkt,
dass ich einen hohen Preis dafür bezahlt habe, einen Teil von mir zu
verleugnen.“
## Zu sich selbst stehen
Der Song „Alien“ ist eine Hymne daran, zu sich selbst zu stehen. Und im
Track „Cool Kids“ will sie genau zu denen nicht mehr gehören. „Ich habe
mich lange in der alternativen Musikszene bewegt, wo es ein großes
Feindbild gegen Kommerz gab. Aber ich habe gemerkt, dass ich mich mit
dieser Einstellung ganz stark selbst limitiere – kreativ und musikalisch.“
Mitten in der künstlerischen Identitätskrise entschied sie sich, bei der
TV-Show „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ beim Privatsender VOX
mitzumachen.
„Da haben schon manche gesagt: Das hätte ich nicht von dir erwartet. Da
habe ich verstanden, [3][dass ich so viele Dinge nur mache, weil ich darauf
hinarbeite, Anerkennung von solchen ‚Cool Kids‘ zu bekommen.] Und dass ich
diese Beschränkung nicht mehr will. Die Erfahrungen bei ‚Sing meinen Song‘
haben meinen Horizont total erweitert.“
Ein Lied wie „Lebenswerk“, in dem Neumann ihrer Mutter für all die Opfer
dankt, die sie für die Tochter gebracht hat, wäre ohne diese Erfahrung
nicht entstanden. Über eigene Gefühle Songtexte schreiben statt kryptische
Pirouetten. Eine Tanznummer machen, aus Spaß daran. „Es ist befreiend, zu
erkennen, dass Musik immer etwas wert ist, wenn jemand sie gerne hört.“ Es
geht also um Befreiung – diesmal von einengenden Vorstellungen, die man
selbst von sich hat oder andere von einem haben.
Und darum, sich die Freiheit zu nehmen, sich selbst neu zu definieren.
„Meine Musik ist aus Perspektive eines people pleasers erzählt, die
versucht, sich weiterhin von dieser Wesensart zu lösen. Ich glaube, dass
ich dazu auf ewig verdammt bin. Witzig ist, dass viele mich als frei, wild
und unangepasst wahrnehmen. Aber es ist auf keinen Fall so, dass mich das
keine Arbeit kostet.“
14 Nov 2023
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Loraine-James/!5962109
[2] https://www.allineumann.com/
[3] /Neues-Album-von-Casper/!5837293
## AUTOREN
Naomi Webster-Grundl
## TAGS
Tanzen
Musik
Popmusik
Kommerz
Kommerzialisierung
Klima-Volksentscheid
Nachhaltigkeit
Pop
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