Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuer Klärungsanlauf im Fall Oury Jalloh: Die unendliche Ermittlung
> 13 Jahre nach Oury Jallohs Tod will Sachsen-Anhalts Landtag klären
> lassen, was wirklich in der Polizeizelle geschah. Es könnte zu spät sein.
Bild: Auch schon wieder 10 Jahre her – Rekonstruktion der Vorgänge in der De…
Berlin taz | Oury Jalloh hat sich nicht selbst getötet. Der Sierra Leoner
war vor Ausbruch des Feuers am 7. Januar 2005 in einer Dessauer
Polizeizelle „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“. Vermutlich
sei er mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden. Zu dieser
Erkenntnis gelangte der Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann im April
2017, nach zwölf Jahren Ermittlungen. Dann wurde die Sache an die
Staatsanwaltschaft Halle abgegeben. Die stellte das Verfahren ein.
Wie ist das möglich?
Das ist eine von insgesamt acht Fragen, denen jetzt zwei externe Juristen
nachgehen sollen. Am kommenden Freitag will die Regierungskoalition aus
CDU, SPD und Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt sie damit beauftragen.
Einer von ihnen soll der ehemalige Münchner Generalstaatsanwalt Manfred
Nötzel sein, ein konservativer Jurist. Der zweite Jurist ist der in München
lebende Jerzy Montag. Er war elf Jahre lang rechtspolitischer Sprecher der
Grünen im Bundestag.
## Zwei Ermittler mit Erfahrung
Nötzel und Montag sollen die Funktion von Sonderermittlern einnehmen, aber
nicht diese Bezeichnung erhalten, darauf legt die CDU Wert. Offenbar
fürchtet man, dies könnte als Zeichen des Misstrauens gegenüber der Justiz
gewertet werden. Deshalb ist von „Beratern“ die Rede. Nötzel und Montag
sollen den Rechtsausschuss des Landtags dabei unterstützen, die
Jalloh-Akten zu begutachten. Der Ausschuss hatte die Papiere Ende November
2017 von der Justiz angefordert, nach dem bekannt geworden war, dass der
Dessauer Staatsanwalt Bittmann von einem Mord an Jalloh ausgeht, seine
Kollegen in Halle das Verfahren aber trotzdem eingestellt haben.
Im Februar 2018 kamen die Akten in der Geheimschutzstelle des Landtags in
Magdeburg an. Der Raum ist klein, etwa zwölf Quadratmeter. Darin steht ein
Schreibtisch für die Aufsicht führende Geheimschutzbeauftragte. In Regalen
an einer Wand liegen die Akten. Lesen dürfen diese nur die 14 Mitglieder
des Rechtsausschusses sowie eine Referentin pro Fraktion. Sie dürfen
Mitschriften machen, aber keine Kopien oder Fotos.
Obwohl Nötzel und Montag offiziell nur „unterstützen“ sollen, ist ihr
Untersuchungsauftrag umfassend. Das zeigt sich an den Fragestellungen: Gibt
es noch offene Ermittlungsansätze? Wurden die Behörden bei den Ermittlungen
beeinflusst? Wurden die Beweismittel sicher gelagert? Existieren
Unstimmigkeiten bei den Ermittlungsverfahren? Wurden die Erkenntnisse der
Gerichtsverfahren bei weiteren Ermittlungen ausreichend berücksichtigt? War
es „rechtlich und fachlich nachvollziehbar“, dass das Verfahren von Dessau
nach Halle abgegeben wurde? Und vor allem: War es gerechtfertigt, dass dort
das Verfahren kurz darauf eingestellt wurde?
Montag und Nötzel sind renommierte Juristen mit viel Erfahrung: Nötzel ist
mit spektakulären Verfahren gegen Wirtschaftsgrößen wie den früheren
Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen oder den Formel-1-Boss Bernie Ecclestone
bekannt geworden. Montag untersuchte im Auftrag des Parlamentarischen
Kontrollgremiums des Bundestags die Vorgänge um den 2014 gestorbenen
Neonazi Thomas Richter, der unter dem Decknamen „Corelli“ als V-Mann für
den Verfassungsschutz tätig gewesen war. Was Montag dazu herausfand, ist
allerdings teilweise geheim – nur das Parlamentarische Kontrollgremium
durfte seinen vollständigen Bericht lesen.
## Landtag wollte keinen Untersuchungsausschuss
Ist damit nun also getan, was nötig wäre, um den Fall Jalloh endlich
aufzuklären? Das sehen keineswegs alle so. Letztlich geht es darum,
mögliche Täter vor Gericht zu stellen. Genau dafür aber läuft die Zeit ab,
sagen Kritiker. Die Beauftragung von Montag und Nötzel könnte den
möglicherweise entscheidenden Druck aus der Sache nehmen, befürchten sie.
Im Oktober 2017 stellte die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren ein. Sie
bewerte die entscheidenden Gutachten „eben anders“ als die Kollegen in
Dessau, erklärte eine Vertreterin gegenüber der taz. Über 120.000 Menschen
unterschrieben danach eine Petition für „lückenlose Aufklärung“.
Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) wies deshalb Ende 2017 die
Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg an, den Fall an sich zu ziehen. Diese
möge den „Konflikt“ zwischen den Ansichten der Ermittler im Halle und
Dessau „durch eine eigenständige und gegebenenfalls durch weitere
Ermittlungen gestützte Bewertung der Geschehnisse“ klären. Diese
Ermittlungen dürften in den nächsten drei Monaten abgeschlossen sein,
darauf deutet die Äußerung eines Staatsanwalts bei einer Anhörung im
Landtag hin.
Um zu verhindern, dass der Aktendeckel zugeklappt wird, hatte die
Linken-Abgeordnete Henriette Quade im Februar die Einrichtung eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses vorgeschlagen. „Es reicht nicht
aus, auf die Prüfung durch den Generalstaatsanwalt zu setzen“, sagte Quade.
Der Untersuchungsausschuss hätte der Reihe nach alle Zeugen vorladen und
somit die Widersprüche der zurückliegenden Gerichtsverfahren für die
Öffentlichkeit noch einmal nachvollziehbar machen können. Die Naumburger
Staatsanwaltschaft könnte, so die Vermutung, während der laufenden Arbeit
eines solchen Ausschusses das Verfahren kaum einstellen.
Doch für einen solchen Ausschuss müssten mindestens ein Viertel der 87
Abgeordneten votieren – also 22. Die Linken haben 16. Wenigstens die 5
Grünen und einer der elf SPDler müsste zustimmen. Doch beide sind Teil der
Regierungskoalition – und haben sich dagegen entschieden.
„Aufgrund des sehr umfangreichen Aktenmaterials haben sich die
Koalitionsfraktionen verständigt, externe juristische Berater – keine
Sonderermittler – hinzuzuziehen“, sagt Jens Kolze, der rechtspolitische
Sprecher der CDU-Fraktion. „Einen Untersuchungsausschuss ziehen wir daher
nicht in Betracht.“ Sebastian Striegel, rechtspolitischer Sprecher der
Grünen, will vor dem Freitag gar nichts sagen, um die Einigung mit der CDU
nicht zu gefährden. „Wir haben uns auf dieses Verfahren geeinigt“, sagt die
SPD-Abgeordnete Silke Schindler. „Wenn es nach der Inaugenscheinnahme
Anhaltspunkte gibt, die für einen Untersuchungsausschuss sprechen, werden
wir das verhandeln. An diesem Punkt sehe ich das nicht“, so Schindler.
## Furcht vor einer Einstellung der Ermittlungen
Damit ist folgendes Szenario wahrscheinlich: Vor dem nächsten Jahr wird
wohl nicht mit einem Bericht von Nötzel und Montag zu rechnen sein. Bis
dahin wird von dem Fall öffentlich kaum mehr etwas zu hören sein. Das
staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren könnte so ohne große Aufregung
eingestellt werden. Sollte dies dann zu einem späteren Zeitpunkt kritisch
von Nötzel und Montag gewürdigt werden, wäre die Aussicht auf eine
Wiederaufnahme und eine Anklage der Täter gering.
Dass das Verfahren in Naumburg beendet sein könnte, bevor das Duo Montag
und Nötzel ihre Arbeit abschließen, sei „überhaupt kein Nachteil“, sagt
Montag dazu. „Wir haben mit dem justiziellen Verfahren gar nichts zu tun,
so ist das System der Gewaltenteilung.“ Der Landtag könne die beiden „nur
insoweit beauftragen, als er selbst handeln kann. Die Justiz ist frei und
unabhängig und wir können ihre Entscheidungen auch nicht überprüfen.“
Sollten die Ermittler allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass Erkenntnisse
von der Justiz unberücksichtigt geblieben sind, nachdem diese das Verfahren
beendet hat, hätte das „keine unmittelbaren Konsequenzen“ mehr, räumt
Montag ein.
Ob ein Untersuchungsausschuss die bessere Lösung gewesen wäre, sei eine
Frage „der Willensbildung im Parlament, dazu werde ich mich nicht äußern“,
sagt er. Ob der Bericht, den Montag und Nötzel schreiben, der
Öffentlichkeit zugänglich sein wird? „Wir stellen den Bericht unserem
Auftraggeber, dem Landtag, zur Verfügung. Was der damit macht, ist seine
Sache. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass der Landtag den Bericht
nicht veröffentlicht“, sagt Montag.
„Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hätte Naumburg unter Druck
gesetzt“, argumentiert Nadine Saeed von der Initiative Gedenken an Oury
Jalloh. „Der wäre viel breiter, und vor allem öffentlich, angelegt gewesen
als die Arbeit der beiden externen Ermittler.“ Mit der Einsetzung der
beiden Berater habe der Landtag „den Untersuchungsausschuss abgewehrt“.
Die Initiative hatte im vergangenen Dezember Strafanzeige wegen Mordes
gegen den ehemaligen Polizeibeamten Udo S. gestellt – und zwar gleich beim
Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Doch der lehnte es ab, sich mit dem Fall
Oury Jalloh zu befassen. Dieser sei nicht „geeignet, die
Staatsschutzbelange, namentlich die innere Sicherheit und das Vertrauen der
Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des Staates, ernsthaft zu
beeinträchtigen“, erklärte die oberste Ermittlungsbehörde.
## Anwältin rügt den Aufklärungsauftrag
Die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die die Familie Jallohs als
Nebenklägerin vertritt, hält den Auftrag für Nötzel und Montag nicht für
überzeugend. Die Beschlussvorlage mit den Untersuchungsfragen „finde ich
einigermaßen beliebig“, sagt sie. Es fehle die Zuspitzung auf die beiden
Kernfragen: das Feuerzeug und die rechtsmedizinische Einschätzung der
Überlebenszeit nach Zündung des Brandes. Im Laufe des Verfahrens war
herausgekommen, dass der als Beweisstück gesicherte, verschmorte
Feuerzeugrest nie in der Zelle gewesen sein kann.
Für Heinecke sind das die wichtigsten Indizien für eine Täterschaft
Dritter. Auch sie fürchtet, dass die Naumburger Staatsanwälte das Verfahren
demnächst einstellen. „Danach bleibt nur der Antrag auf Erzwingung der
Klage beim Oberlandesgericht Naumburg“, sagt Heinecke. Welche Aussichten
auf Erfolg das hat, ist völlig offen.
7 Jun 2018
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Sachsen-Anhalt
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Schwerpunkt Rassismus
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Schwerpunkt Rassismus
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Oury Jalloh
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arbeit in Serie: Aktivistin in Vollzeit: „Ich arbeite nicht für das Geld“
Nadine Saeed engagiert sich gegen rassistische Strukturen in der Polizei
und Justiz – ein Vollzeitjob, für den sie auch mal im Büro übernachtet.
Aufklärungsarbeit im Fall Oury Jalloh: „Offen, ob es Beteiligung Dritter gab…
Vor 14 Jahren starb Oury Jalloh in seiner Zelle. Die Akten sind
geschlossen, doch es gibt viele Fragen, sagt Eddie Bruce-Jones von der
privaten Untersuchungskommission.
Kommentar Oury-Jalloh-Ermittlungen: Rassismus? Bei uns doch nicht
Das Ende der Ermittlungen zu dem mysteriösen Todesfall ist ein Manifest des
Scheiterns. Die entscheidenden Fragen sind noch lange nicht geklärt.
Verbrannt in der Zelle: Tod von Oury Jalloh bleibt ungeklärt
In Sachsen-Anhalt legt die Generalstaatsanwaltschaft den Fall des 2005 in
Polizeigewahrsam umgekommenen Sierra Leoners endgültig zu den Akten.
Tote in Polizeigewahrsam: Expertise im Fall Oury Jalloh
Todesfälle durch Polizeigewalt bleiben oft unaufgeklärt. Die Initiative
„Gedenken an Oury Jalloh“ gründet daher eine eigene Expertenkommission.
Kolumne German Angst: Oury Jalloh zurück auf der Agenda
Seit 13 Jahren verhindern Korpsgeist und Desinteresse, dass der Tod des
Sierra Leoners aufgeklärt wird. Viele wollen das nicht mehr hinnehmen.
Demonstration für Oury Jalloh: Sie fordern Aufklärung
Vor 13 Jahren verbrannte der Sierra Leoner, heute versammeln sich 3.000
Menschen. Zeitgleich startet die Kampagne „Oury Jalloh Stadt Dessau“ .
Ermittlungen zu Oury Jallohs Tod: Der abgewiesene Zeuge
Im Fall des in Polizeihaft verstorbenen Sierra Leoners will ein Mann eine
Aussage machen. Er kommt nicht dazu und erhält einen Verweis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.