| # taz.de -- Verbrannt in der Zelle: Tod von Oury Jalloh bleibt ungeklärt | |
| > In Sachsen-Anhalt legt die Generalstaatsanwaltschaft den Fall des 2005 in | |
| > Polizeigewahrsam umgekommenen Sierra Leoners endgültig zu den Akten. | |
| Bild: Dessau-Roßlau im Januar 2018: Gedenken an Oury Jalloh | |
| Berlin taz | Die Justiz legt den Fall Oury Jalloh endgültig zu den Akten. | |
| Die Generalstaatsanwalt Sachsen-Anhalt wies am Donnerstag eine Beschwerde | |
| gegen die Einstellung des Verfahrens zurück. Ein Tatverdacht gegen | |
| Polizisten aus Dessau oder sonstige Dritte bestehe nicht. | |
| Es hätten sich „keine beweisbaren Anhaltspunkte ergeben, die eine | |
| Entzündung der Matratze durch Ouri Jallow [sic] ausschließen können und | |
| eine Entzündung durch Polizeibeamte oder durch Dritte belegen“, sagte | |
| Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad. „Beweistatsachen“ für eine Tötung | |
| Jallohs oder ein Mordkomplott seien nicht vorhanden. Es mangele sowohl an | |
| einem Motiv als auch an der „zeitlichen Gelegenheit“ dafür, so Konrad. „… | |
| der These ‚Ouri Jallow das war Mord‘ handelt es sich um eine rein | |
| spekulative Mutmaßung.“ | |
| Der Sierra Leoner Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 an Händen und Füßen | |
| gefesselt in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt. Die | |
| Staatsanwaltschaft war jahrelang davon ausgegangen, dass er die feuerfeste | |
| Matratze, auf der er lag, selbst angezündet hatte. Die Familie des Toten | |
| und Aktivisten hatten dies von Anfang an ausgeschlossen. Sie glauben, dass | |
| der Brand von Dritten gelegt wurde, um zu vertuschen, dass Jalloh zuvor | |
| misshandelt worden war. | |
| An den Landgerichten Dessau und Magdeburg wurden bis 2012 zwei Prozesse | |
| gegen Polizeibeamte aus Dessau wegen Körperverletzung mit Todesfolge bzw. | |
| fahrlässiger Tötung geführt. Die Justiz warf den beiden vor, bei der | |
| Durchsuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen oder den Feueralarm ignoriert | |
| zu haben. | |
| Vor genau einem Jahr aber, im November 2017, wurde bekannt, dass die | |
| Staatsanwaltschaft Dessau doch von einem Mord an Jalloh ausging. Der | |
| Staatsanwalt Folker Bittmann hatte zuvor ein halbes Dutzend Sachverständige | |
| befragt. Am 4. April 2017 schreibt Bittmann in einem Aktenvermerk, er gehe | |
| davon aus, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers „mindestens | |
| handlungsunfähig oder sogar schon tot“ war. Vermutlich sei er mit | |
| Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden. | |
| Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, dass Jalloh zuvor | |
| zugefügte Verletzungen vertuscht werden sollten. Der Staatsanwalt benannte | |
| auch konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizei. Bittmann | |
| hatte schon zuvor ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Mordes an | |
| Jalloh eingeleitet. | |
| ## Mehr als 100.000 Unterschriften | |
| Kurz darauf jedoch wurde Bittmann das Verfahren entzogen: Im Juni übergab | |
| die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg den Fall an die Staatsanwaltschaft | |
| Halle. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es, Grund für den Schritt | |
| sei „nicht zuletzt die dienstliche Belastung“ der Staatsanwaltschaft Dessau | |
| durch andere Mordermittlungen sowie die Pensionierung von Mitarbeitern. Der | |
| taz sagte der Naumburger Oberstaatsanwalt Klaus Tewes damals, es sei „ganz | |
| ratsam“, eine „neutrale Stelle“ zu beauftragen, die sich den Fall „aus | |
| einer gewissen Entfernung anschaut“. | |
| Im Oktober 2017 kündigte die Staatsanwaltschaft Halle dann an, das | |
| Mordermittlungsverfahren gegen Unbekannt einzustellen. Bittmann habe die | |
| Ergebnisse der Gutachter „eben anders interpretiert als wir“, sagte eine | |
| Sprecherin der Staatsanwaltschaft Halle der taz. | |
| Mehr als 100.000 Menschen unterschrieben daraufhin eine Petition, um gegen | |
| die Einstellung der Ermittlungen zu protestieren. Kurz darauf wies | |
| Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) die | |
| Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg an, zu prüfen, ob die Einstellung | |
| rechtens war. | |
| Diese Prüfung ist nun abgeschlossen. Jalloh sei „an den Folgen eines | |
| inhalativen Hitzeschocks verstorben, den er – zumindest nicht widerlegbar – | |
| selbst herbeigeführt hat“, schreibt der Naumburger Generalstaatsanwalt | |
| Jürgen Konrad. Eine Beschwerde der Hinterbliebenen Jallohs gegen die | |
| Verfahrenseinstellung wies er als „unbegründet“ zurück. Die | |
| Generalstaatsanwaltschaft habe sämtliche Verfahrensakten ausgewertet und | |
| 208-seitigen Prüfbericht erstellt. | |
| Die Gutachten, die die Dessauer Staatsanwaltschaft als Beleg für die Tötung | |
| Jallohs gewertet hat, würden eben dies nicht ergeben: Eine „eigenhändige | |
| Entzündung der Matratze“ durch Jalloh könne „nicht ausgeschlossen werden�… | |
| Die „Unterstellung eines ‚institutionellen Rassismus‘“ sei „aus der L… | |
| gegriffen“, schreibt Konrad. „Irgendgeartete Hinweise darauf, Ouri Jallow | |
| könnte aus rassistischen Gründen getötet worden sein, liegen evident nicht | |
| vor.“ | |
| ## Einstellung des Verfahrens „keine Überraschung“ | |
| Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh schrieb am Donnerstag, die | |
| Einstellung des Verfahrens sei „leider keine Überraschung, aber angesichts | |
| der vorliegenden Beweislast absolut nicht nachvollziehbar“. 2012 habe ein | |
| Gutachten des Landgerichts Magdeburg ergeben, dass Feuerzeugreste, die | |
| angeblich in Jallohs Zelle gefunden wurde, manipuliert worden seien. | |
| Zudem hatte die Initiative 2013 ein eigenes Brandgutachten präsentiert, | |
| nach dem die Dessauer Staatsanwaltschaft ein Mordermittlungsverfahren | |
| eröffnet hatte. „Spätestens seitdem steht fest, dass Oury Jalloh sich nicht | |
| selbst angezündet haben kann“, heißt es in einer Erklärung der Initiative. | |
| Es sei unverständlich, dass die Anwältinnen der Familie lediglich | |
| unvollständige Akteneinsicht erhalten hatten und somit auch nur | |
| unvollständige Beschwerdebegründung einreichen konnten. | |
| Dazu habe es entsprechende Anträge gegeben, denen die | |
| Generalstaatsanwaltschaft Naumburg nicht nachgekommen sei. „Die | |
| Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg vom heutigen Tage | |
| bestätigt uns darin, dass staatlich unabhängige Ermittlungen dringend | |
| notwendig sind.“ Die Initiative hat bereits Anfang des Jahres eine | |
| internationale Kommission aus Juristen und Wissenschaftlern eingesetzt, die | |
| den Tod Jalloh nun untersuchen soll. | |
| ## Eine Art Sonderermittler | |
| Auch der Landtag in Sachsen-Anhalt hat zwei Juristen als „Berater“ benannt, | |
| die der Sache nachgehen sollen. Einer von ihnen ist der ehemalige Münchner | |
| Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel, der andere der Grüne Jerzy Montag, | |
| einst rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Sie nehmen die | |
| Funktion von Sonderermittlern ein, heißen aber nicht so – die | |
| Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen fürchtete offenbar, dies könnte | |
| als Zeichen des Misstrauens gegenüber der Justiz gewertet werden. | |
| Nötzel und Montag sollen den Rechtsausschuss des Landtags dabei | |
| unterstützen, die Jalloh-Akten zu begutachten. Ihre Ergebnisse werden sie | |
| nicht der Öffentlichkeit vorstellen. Ein öffentlich tagender | |
| parlamentarischer Untersuchungsausschuss, wie ihn die Linkspartei gefordert | |
| hatte, scheiterte an der Zustimmung der Grünen. | |
| Es sei „schwer nachvollziehbar“, dass die Justiz den Fall nun schließt, | |
| sagt die Linken-Abgeordnete Henriette Quade. Es stelle sich einmal mehr die | |
| Frage ob die Generalstaatsanwaltschaft die richtige Instanz zur Aufklärung | |
| des Falles war, so Quade. „Strukturell wäre sowieso der Generalbundesanwalt | |
| zuständig gewesen.“ Der jedoch hatte mehrfach abgelehnt, sich in der Sache | |
| einzuschalten.“ Das trägt jetzt nicht dazu bei, das Vertrauen in den | |
| Rechtsstaat zurückzugewinnen“, sagt Quade. | |
| Sie erinnerte daran, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg | |
| gegenüber dem Rechtsausschuss des Landtages „zunächst gar nicht oder | |
| anders“ dargestellt hatte, dass die Staatsanwaltschaft Dessau einen | |
| „Anfangstatsverdachtsmoment“ für einen Mord an Jalloh gesehen hatte. „Da… | |
| nun derselbe Mensch befindet, dass diese Anfangstatsverdachtsmomente | |
| überhaupt nicht relevant sein sollen, wirft erneut Fragen auf.“ | |
| In der kommenden Woche soll die Generalstaatsanwaltschaft im Landtag ihre | |
| Entscheidung erläutern. | |
| 29 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| ## TAGS | |
| Oury Jalloh | |
| Justiz | |
| Generalstaatsanwaltschaft | |
| Sachsen-Anhalt | |
| Dessau | |
| Burak Bektas | |
| Oury Jalloh | |
| Die Linke | |
| Oury Jalloh | |
| Oury Jalloh | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Oury Jalloh | |
| Oury Jalloh | |
| Oury Jalloh | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kundgebung in Berlin: Denken an Oury Jalloh | |
| In Polizeigewahrsam starb vor 16 Jahren Oury Jalloh. Am Donnerstag | |
| gedachten 350 Menschen seiner und weiterer Fälle von rassistischer Gewalt. | |
| Arbeit in Serie: Aktivistin in Vollzeit: „Ich arbeite nicht für das Geld“ | |
| Nadine Saeed engagiert sich gegen rassistische Strukturen in der Polizei | |
| und Justiz – ein Vollzeitjob, für den sie auch mal im Büro übernachtet. | |
| Tod von Oury Jalloh in Dessau: Keine weitere Aufklärung in Sicht | |
| Die Linksfraktion wollte den Fall des Asylsuchenden, der vor 14 Jahren in | |
| einer Polizeizelle verbrannte, untersuchen lassen. Der Antrag scheiterte. | |
| Todestag von Asylbewerber Oury Jalloh: Hunderte gedenken in Dessau | |
| Vor 14 Jahren verbrannte Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt in einer | |
| Dessauer Polizeizelle. Hunderte gedachten ihm nun – mit einer Forderung. | |
| Kommentar Oury-Jalloh-Ermittlungen: Rassismus? Bei uns doch nicht | |
| Das Ende der Ermittlungen zu dem mysteriösen Todesfall ist ein Manifest des | |
| Scheiterns. Die entscheidenden Fragen sind noch lange nicht geklärt. | |
| Tote in Polizeigewahrsam: Expertise im Fall Oury Jalloh | |
| Todesfälle durch Polizeigewalt bleiben oft unaufgeklärt. Die Initiative | |
| „Gedenken an Oury Jalloh“ gründet daher eine eigene Expertenkommission. | |
| Neuer Klärungsanlauf im Fall Oury Jalloh: Die unendliche Ermittlung | |
| 13 Jahre nach Oury Jallohs Tod will Sachsen-Anhalts Landtag klären lassen, | |
| was wirklich in der Polizeizelle geschah. Es könnte zu spät sein. | |
| Kolumne German Angst: Oury Jalloh zurück auf der Agenda | |
| Seit 13 Jahren verhindern Korpsgeist und Desinteresse, dass der Tod des | |
| Sierra Leoners aufgeklärt wird. Viele wollen das nicht mehr hinnehmen. | |
| Kommentar Ermittlungen zum Fall Jalloh: Gesellschaftlicher Druck wirkt | |
| Die Anordnung von oben, im Fall Oury Jalloh weiter zu ermitteln, war lange | |
| überfällig. Nun hat das Aussitzen endlich ein Ende. | |
| Neue Ermittlungen im Fall Oury Jalloh: „Zwölf Jahre verwirrt und vertuscht“ | |
| Der Fall Oury Jalloh wird neu aufgerollt: Nun soll eine dritte | |
| Staatsanwaltschaft prüfen, warum der Flüchtling in einer Polizeizelle | |
| verbrannte. |