# taz.de -- Ermittlungen zu Oury Jallohs Tod: Der abgewiesene Zeuge | |
> Im Fall des in Polizeihaft verstorbenen Sierra Leoners will ein Mann eine | |
> Aussage machen. Er kommt nicht dazu und erhält einen Verweis. | |
Bild: Oury Jalloh, * 2. Juni 1968 in Kabala; † 7. Januar 2005 in Dessau | |
Dessau taz | Lange war für die Justiz klar, was am Vormittag des 7. Januar | |
2005 im Keller des Dessauer Polizeireviers in der Wolfgangstraße 25 | |
geschah: Der in der Zelle Nummer 5 in Gewahrsam genommene Sierra Leoner | |
Oury Jalloh habe ein Feuerzeug aus seiner Tasche gezogen, das Polizisten | |
bei seiner Durchsuchung übersehen hatten. Obwohl er an Armen und Beinen | |
angekettet war, bohrte er ein Loch in die kunstlederne Matratze und zündete | |
den Schaumstoff im Innern an, ein Hitzeschock tötete ihn. | |
Erst zwölf Jahre später änderte der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker | |
Bittmann seine Theorie zu dem mysteriösen Todesfall. Am 4. April 2017 | |
schreibt Bittmann in einem Aktenvermerk, er gehe davon aus, dass Jalloh | |
bereits vor Ausbruch des Feuers „mindestens handlungsunfähig oder sogar | |
schon tot“ war. Vermutlich sei er mit Brandbeschleuniger besprüht und | |
angezündet worden. Dies legen sechs Gutachter nahe, die Bittmann | |
konsultierte. Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, dass | |
dem Asylbewerber zuvor zugefügte Verletzungen vertuscht werden sollten. Der | |
Staatsanwalt benennt konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer | |
Polizei. | |
Nachdem der Vermerk der an der Nebenklage beteiligten Initiative Gedenken | |
an Oury Jalloh übermittelt wurde, erstattete diese am 7. Dezember 2017 | |
Anzeige wegen Mordes gegen den ehemaligen Polizeiobermeister Udo S. beim | |
Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Der 2008 in Vorruhestand gegangene S. | |
hatte Jalloh am Morgen des 7. Januar 2005 im Dessauer Stadtpark | |
festgenommen, weil sich Frauen von Jalloh belästigt fühlten. | |
## Eine Behörde, die die Wahrheit scheut | |
Schon 2013 gab es einen Mann aus den Reihen der Dessauer Justiz, der | |
versucht hat, einen Hinweis auf den Polizisten S. zu geben. Was er wusste, | |
beweist in keiner Weise, wer Jalloh tötete. Aber wie mit dem Hinweisgeber | |
umgegangen wurde, zeigt, warum der Fall bis heute ungeklärt ist. Es zeigt | |
das Innenleben von Behörden, die allem Anschein nach die Wahrheit scheuten, | |
weil sie sehr hässlich werden könnte. | |
Der Hinweisgeber ist der heute 46-jährige Justizwachtmeister Dirk N.. Er | |
kannte ein möglicherweise entscheidendes Detail aus der Vergangenheit des | |
Polizisten S. Doch gegen N. wurden disziplinarische Schritte eingeleitet – | |
und er so dazu gedrängt, seinen Verdacht zurückzuziehen. | |
Die Linken-Abgeordnete Henriette Quade aus Halle ist Mitglied im | |
Rechtsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt. Sie bereitet sich derzeit | |
auf einen Untersuchungsausschuss zum Fall Jalloh vor. Im Dezember traf sie | |
in der Hochschule in Dessau mit N. zusammen. „Wer die Geschichte von Herrn | |
N. hört, beginnt zu verstehen, wie die ganze Sache so lange Zeit unter der | |
Decke gehalten werden konnte“, sagt Quade. N. werde „auf jeden Fall als | |
wichtiger Zeuge in den parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgeladen | |
werden müssen“. | |
## Was der Wachmeister weiß | |
N. stammt aus Dessau. Bevor er in den Justizdienst wechselte, arbeitete er | |
bei einer Sicherheitsfirma. N. ist in einem Milieu zu Hause, das nah dran | |
ist an der Polizei. In seinem Leben ereigneten sich zwei Umstände, aus | |
denen N. schon vor Jahren ähnliche Schlüsse zum Tod Jallohs zog wie die | |
Staatsanwaltschaft heute. | |
Umstand Nummer 1: N. kannte den einstigen Wachdienstleiter des Dessauer | |
Polizeireviers Andreas S. Der stand 2007 vor Gericht, weil er den Alarm | |
ignoriert hatte, der ausbrach, als es in Jalloh Zelle brannte. 2008 wurde | |
Andreas S. freigesprochen, im Revisionsprozess 2012 aber wegen fahrlässiger | |
Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. 2007 habe Andreas S. | |
in einem privaten Gespräch mit N. zum Tod Jallohs unvermittelt gesagt, er | |
sei es nicht gewesen. Das wunderte N. Denn zu jener Zeit zweifelte kaum | |
jemand die offizielle Version an, nach der Jalloh sich selbst angezündet | |
hatte. Wusste Andreas S. mehr? N. hakte aber nicht nach. Er hatte Angst, zu | |
viel zu erfahren. Doch der Satz ließ ihn nicht los. | |
Umstand Nummer 2: N. ist entfernt angeheiratet mit dem nun verdächtigen Udo | |
S. verwandt, hatte mit diesem aber keinen persönlichen Kontakt. Er wusste | |
allerdings, wo S. gearbeitet hatte, bevor er nach der Wende zur Polizei | |
wechselte: S. war Feuerwehrmann bei der Betriebsfeuerwehr der VEB | |
Gärungschemie Dessau. Das 2003 aufgelöste Unternehmen stellte unter anderem | |
Stoffe für Pyrotechnik her. S. wird also gewusst haben, wie man in | |
kürzester Zeit einen starken Brand so entfacht, dass sich hinterher nichts | |
nachweisen lässt. | |
Am 6. Juni 2007 sagt S. als Zeuge vor dem Landgericht Dessau aus. Er | |
schildert, wie er zwei Jahre zuvor Jalloh in das im Untergeschoss des | |
Reviers gelegene Arztzimmer brachte, wo Jalloh sich „erneut renitent“ | |
verhalten und mit seinem Kopf Richtung Wand und Tisch geschlagen habe. Er | |
schildert, wie sie Jalloh auf dem Rücken liegend mit vier Hand- bzw. | |
Fußfesseln auf einer Matratze fixierten und diese mit Metallbügeln an Wand | |
und Boden verbanden. Dann wird S. aus dem Zeugenstand entlassen. Seine | |
Vergangenheit als Feuerwehrmann kommt nicht zur Sprache. N. wundert sich | |
wieder. | |
In den folgenden Jahren sinken N.s Zweifel in die unteren Schichten seines | |
Bewusstsein hinab. Bis zum 12. November 2013. | |
## Die Staatsanwaltschaft zweifelt | |
An diesem Tag sieht N. einen Bericht des MDR im Fernsehen. Die Initiative | |
Gedenken an Oury Jalloh hatte in Irland den Brand in Jallohs Zelle | |
simulieren lassen. Dabei entstand ein Video. Auf der rechten Seite ist die | |
vollständig verkohlte Leichte Jallohs zu sehen. Sie muss in nur 30 Minuten | |
derart verbrannt sein: So viel Zeit verging zwischen dem Anschlagen des | |
Feueralarms um 12.05 Uhr und dem Löschen des Brandes durch die Feuerwehr um | |
12.35 Uhr. Die linke Seite des Videos zeigt Aufnahmen eines bekleideten, | |
toten Schweins in der nachgestellten Zelle. | |
Die Matratze wird zunächst ohne Brandbeschleuniger angezündet. Auch nach 70 | |
Minuten ist das Schwein fast völlig unverändert. Beim zweiten Mal schüttet | |
der Sachverständige einen Kanister mit zwei Litern Benzin über das Schwein. | |
Nach einer halben Stunde ist es zwar deutlich verkohlt – aber längst nicht | |
so schwarz, wie die Leiche Jallohs. Es dürfte also Brandbeschleuniger im | |
Spiel gewesen sein. Und auf diesen wurde die Zelle nicht untersucht. | |
Fast alle großen Medien sind zur Vorstellung des Videos in das Berliner | |
Haus der Demokratie und Menschenrechte gekommen. Auch der ermittelnde | |
Staatsanwalt aus Dessau, Folker Bittmann, ist da. Es seien „sehr ernste, | |
überraschende und zum Teil erschreckende Informationen“, sagt der noch im | |
Vorführungssaal in die TV-Kameras. „Von Anfang an stand natürlich die Frage | |
im Raum, ob vielleicht ein Dritter die Finger im Spiel hatte.“ Es habe dazu | |
bislang aber keine Anhaltspunkte gegeben. Bittmann leitet ein | |
Mordermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein – zehn Jahre nach Jallohs Tod. | |
Der Justizwachtmeister N. sieht Bittmann an diesem Abend im Fernsehen. Er | |
glaubt, einen Anhaltspunkt zu haben. Am 20. November 2013, eine Woche | |
später, sitzt N. in der Kneipe „1930“ in der Zerbster Straße in Dessau und | |
trinkt. Fahren kann er nicht mehr. Seine Wohnung ist weit weg, er will ein | |
Taxi nehmen, der nächste Stand ist am Bahnhof. N. sitzt öfter im „1930“ u… | |
trinkt mehr, als ihm gut tut. Der Weg zum Taxistand führt vorbei am | |
Polizeirevier Wolfgangstraße. | |
## Wie der Zeuge N. abgewiesen wird | |
Es ist 21.05 Uhr, N. ist betrunken. Aber: Hätte er nüchtern je den nötigen | |
Mut aufgebracht? Er betritt das Revier und sagt, er wolle eine Anzeige | |
wegen des „Mordes“ an Jalloh erstatten, so steht es in der Akte. Er will | |
sagen, dass S. einst Feuerwehrmann war. Es ist ein kleiner Hinweis, der | |
vielleicht etwas zur Sache tut, vielleicht aber auch nicht. Nicht mehr und | |
nicht weniger. N. tut dies nicht öffentlich, wo er S.’ Ruf schädigen würde, | |
sondern dort, wo solche Hinweise hingehören: beim zuständigen | |
Polizeirevier. | |
Der Beamte fordert N. auf, seinen Ausweis zu zeigen – und zu pusten. Den | |
Ausweis zeigt N. vor, in den Alkoholmesser bläst er nicht. Die Anzeige wird | |
nicht aufgenommen. Als er am übernächsten Tag wieder Dienst hat, wird er | |
zum Gerichtspräsidenten Michael Borgmann gerufen. Statt ihn nüchtern noch | |
einmal vorzuladen, hatte sich die Polizei über N. bei dessen Vorgesetztem | |
beschwert. | |
Borgmann macht N. Druck. In den der taz vorliegenden Verfahrensakten steht, | |
dass er ihn „eindringlich auf seine Verpflichtung hingewiesen hat, sich | |
auch außerdienstlich so zu verhalten, wie es der Achtung vor Ihrem Beruf | |
und dem hierin gesetzten Vertrauen entspricht.“ Borgmann ist heute nicht | |
mehr im Dienst. Auf eine Anfrage der taz zu der Situation will er nicht | |
näher antworten – nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst sei „allein der | |
amtierende Präsident zuständig“. | |
Die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost lässt sich etwas weiter ein: „Die | |
Äußerungen des Mannes wurden schriftlich niedergelegt und der zu dieser | |
Zeit ermittlungsführenden Staatsanwaltschaft zugeleitet“, schreibt sie auf | |
Anfrage der taz. Allerdings versuchte die Polizei nicht zu ermitteln, warum | |
N. den Polizisten S. verdächtigte, sondern meldete nur, dass er es tat – so | |
geht es jedenfalls aus den Akten hervor. | |
N. ruft die Anwältin Gabriele Heinecke in Hamburg an. Die vertritt die | |
Nebenklage, die Familie Jallohs. Bei Heinecke wird N. los, was ihm wichtig | |
erscheint: dass der Polizist S. Feuerwehrmann war. Heinecke gibt die | |
Information an den Dessauer Staatsanwalt Christian Preissner weiter. | |
## „S. ist der Mörder von Oury Jalloh“ | |
N. wird ungeduldig. Um 1.30 Uhr, in der Nacht auf den 6. April 2014 tippt | |
er eine SMS in sein Mobiltelefon. „S. ist der Mörder von Oury Jalloh“ (Name | |
von der Redaktion abgekürzt). Er schickt sie an die Nummer des | |
Polizeireviers von Dessau, dazu eine Nachricht, die Polizisten mögen nicht | |
wieder Borgmann informieren. Eine Computerstimme liest dem diensthabenden | |
Beamten die Nachricht vor – inklusive der Nummer des Absenders. | |
N.s Schlussfolgerung geht zu dieser Zeit viel zu weit. Was er über S. weiß, | |
beweist überhaupt nichts. Doch für Dessauer Verhältnisse, in denen in all | |
den Jahren alle Beteiligten die erdrückenden Ungereimtheiten im Fall Jalloh | |
nicht sehen wollten, ist N.s Versuch, sein Wissen weiterzugeben, ein | |
kleiner, zwar hochgradig ungeschickter, aber trotzdem mutiger Schritt. | |
Der diensthabende Beamte, der die Nachricht hört, lässt die Nummer | |
überprüfen. Am 16. April bekommt S., der ehemalige Feuerwehrmann und | |
spätere Polizist, der Jalloh festnahm, einen Brief. Darin steht der | |
Wortlaut der SMS, der Name des Absenders und der Satz: „Es wurde von Amts | |
wegen eine Strafanzeige gegen N. wegen übler Nachrede zu Ihrem Nachteil | |
erstattet.“ S. möge den beigefügten Strafantrag unterschreiben. Ein | |
frankierter Rückumschlag liege bei. S. unterschreibt allerdings nicht und | |
verzichtet auf einen Strafantrag. Die Polizei informiert auch den | |
Landgerichtspräsidenten über die SMS und ihren Absender. | |
Ist das der richtige Umgang? Hätte die Polizei N. nicht zunächst vorladen | |
müssen, um festzustellen, ob an der Anschuldigung etwas dran sein könnte? | |
Und: Was, wenn N. recht haben sollte – darf sie einem möglichen Täter | |
einfach so den Namen eines möglichen Zeugen frei Haus liefern? Wäre ein | |
solches Vorgehen der Polizei denkbar, wenn S. kein pensionierter Kollege | |
aus dem eigenen Revier gewesen wäre? | |
## Vom Zeugen zum Beschuldigten | |
Der Landgerichtspräsident Borgmann zieht jetzt Konsequenzen. „Sie haben | |
erneut haltlose Beschuldigungen aufgestellt, diese haben gegenüber dem | |
Polizeibeamten S. auch ehrverletzenden Charakter“, schreibt er. Er leitet | |
ein Disziplinarverfahren ein. | |
N. wird nahegelegt, sich persönlich beim Dessauer Kripochef zu | |
entschuldigen. N.s direkte Vorgesetzte fährt N. dazu zum Revier. Die Kripo | |
Dessau lässt auf Anfrage der taz dazu über einen Sprecher ausrichten, | |
Auskünfte erteile nur die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Die wiederum | |
sagt, sie könne sich zu dienstrechtlichen Verfahren des Landgerichts nicht | |
äußern. | |
N.s Anwalt rät ihm, alles auf den Alkohol zu schieben, seine Anschuldigung | |
zu widerrufen und um Gnade zu bitten. Sonst drohe ihm die Entlassung. Der | |
Anwalt fertigt einen Schriftsatz an, den er am 13. Mai 2014 an Borgmann | |
schickt. „Herr N. lässt erklären, dass er sich für seine Handlungen | |
schäme“, steht darin. Er habe „begriffen, dass er S. zu Unrecht bezichtigt… | |
und „auch das Ansehen der Justiz geschädigt habe“. Ursache sei gewesen, | |
dass er „vor diesen Disziplinarverfehlungen erheblich Alkohol getrunken | |
habe“. | |
Vier Monate später, am 22. September 2014, lädt der Staatsanwalt Preissner | |
N. zur Vernehmung vor. Der Ausgang des Disziplinarverfahren ist zu dieser | |
Zeit noch offen, Dirk N. droht weiter eine Strafe. N. sagt Preissner zwar, | |
dass S. einst Feuerwehrmann war, verweigert aber weitere Äußerungen – | |
offensichtlich aus Angst vor den anstehenden Disziplinarmaßnahmen. | |
Am 1. Oktober ruft der heute pensionierte Staatsanwalt Preissner den Anwalt | |
N.s an. Er will, dass N. weiter aussagt. N. solle „auch hinsichtlich seiner | |
Motivlage“ und „alles, was er über eine Täterschaft des Polizeibeamten i. | |
R. S. wisse, offen vollständig und unumwunden mitteilen“, so notiert | |
Preissner in einem Vermerk. | |
## Wie N. nun lieber gar nichts mehr sagen will | |
Doch der Justizwachtmeister Dirk N. sagt nichts mehr. Sein Anwalt schickt | |
Preissner eine Erklärung. Es ist die gleiche, die auch Borgmann bekommen | |
hat, in der steht, dass N. sich „für seine Handlungen schäme.“ N. habe | |
„ausdrücklich eingeräumt, dass seine Anzeige jeder Tatsachengrundlage | |
entbehre. Gegen ihn ist das dienstrechtlich Erforderliche veranlasst | |
worden“, sagt ein Sprecher des Landgerichts Dessau heute der taz. Der | |
Gerichtspräsident Borgmann erteilt N. am 26. November 2014 einen Verweis. | |
Es ist eine vergleichsweise milde Strafe, befristet auf drei Jahre. | |
Wäre er so davongekommen, wenn er an seinem Verdacht festgehalten hätte? | |
War nicht zumindest der Hinweis auf die Feuerwehr-Vergangenheit völlig | |
legitim? Was, wenn N. sich – ohne drohende Strafen – getraut hätte, seinen | |
Verdacht öffentlich zu äußern? Wäre dann die Wahrscheinlichkeit gewachsen, | |
dass 2013 Ermittlungen gegen S. aufgenommen werden? | |
## Schwere Vorwürfe | |
„Auf Herrn N. wurde offenbar massiv Druck ausgeübt,“ sagt die | |
Linken-Abgeordnete Henriette Quade. „Er hat eins und eins zusammen gezählt | |
und einen wichtigen Hinweis gegeben, der zuvor wohl noch nicht bekannt war. | |
Eine Pflichtverletzung kann ich an keiner Stelle erkennen.“ Es habe | |
schließlich durchaus sein können, dass der Hinweis zur beruflichen | |
Vergangenheit von S. verfahrensrelevant sei. „Statt N.s Hinweis zur | |
Kenntnis zu nehmen und ihm nachzugehen, wurde ihm mit Entlassung gedroht, | |
damit er alles zurückzieht, und er zu allem Überfluss auch noch gedrängt, | |
sich zu entschuldigen“, so Quade. | |
Wie geht der Fall nun weiter? | |
Im Dezember 2017 meldet sich der neue Leiter des Dessauer Reviers, Roger | |
Schuberth, zu Wort. Er sagt, es falle zu Unrecht ein Schatten auf das | |
heutige Revier. Doch „dass Oury Jalloh in der Zelle zu Tode kommt, das darf | |
nicht passieren“. Er begrüße neue Ermittlungen. | |
Fast zeitgleich wird der Aktenvermerk öffentlich bekannt, den der Dessauer | |
Staatsanwalt Bittmann im April verfasst hatte. Darin beschreibt er ein | |
Szenario, wonach Polizisten Jalloh in seinen letzten Atemzügen mit | |
Brandbeschleuniger übergossen haben könnten. Plausibel sei ein Zusammenhang | |
mit zwei früheren Todesfällen um die Polizeistation Dessau: 1997 war ein | |
Mann nach einem Polizeigewahrsam an schweren inneren Verletzungen | |
gestorben. 2002 kam in der selben Zelle wie später Jalloh der Obdachlose | |
Mario Bichtermann ums Leben. Bittmanns Vermutung: Jalloh, der im Gesicht | |
verletzt war und nicht ordnungsgemäß ärztlich versorgt wurde, sei bei einer | |
Zellenkontrolle ohnmächtig aufgefunden worden. Den Beamten sei klar | |
geworden, „dass schwere Verletzungen oder gar das Versterben eines weiteren | |
Häftlings neuerliche Untersuchungen auslösen würden“. Diese Sorge „mag zu | |
dem Entschluss geführt haben, mit der Brandlegung alle Spuren zu | |
verwischen“. | |
## Die Ermittlungen gehen weiter | |
Kurz nachdem Bittmann seine Einschätzung formuliert, wird ihm der Fall | |
entzogen: Im Juni übergibt die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ihn | |
[1][an die Staatsanwaltschaft Halle]. Im Oktober kündigte die | |
Staatsanwaltschaft Halle an, das Mordermittlungsverfahren gegen Unbekannt | |
einzustellen. „Bittmann habe die Ergebnisse der Gutachter eben anders | |
interpretiert als sie“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Halle | |
der taz. | |
[2][Kurz darauf] wies Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding | |
(CDU) die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg an, das | |
Ermittlungsverfahren an sich zu ziehen. Deren Sprecher, Oberstaatsanwalt | |
Klaus Tewes, sagte der taz, die Prüfung der Beschwerde gegen die | |
Einstellung des Verfahrens werde noch mehrere Monate dauern. | |
4 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] /!5440060 | |
[2] /!5469070 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## TAGS | |
Oury Jalloh | |
Dessau | |
Polizei | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Oury Jalloh | |
Polizei Sachsen | |
Oury Jalloh | |
Oury Jalloh | |
Oury Jalloh | |
Oury Jalloh | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Klärungsanlauf im Fall Oury Jalloh: Die unendliche Ermittlung | |
13 Jahre nach Oury Jallohs Tod will Sachsen-Anhalts Landtag klären lassen, | |
was wirklich in der Polizeizelle geschah. Es könnte zu spät sein. | |
Tote im Dessauer Polizeigewahrsam: Und weg sind die Akten | |
Im Dessauer Polizeigewahrsam starben drei Menschen. In einem Fall sind alle | |
Akten verschwunden – eventuell im Zusammenhang zum Fall Jalloh. | |
Hakenkreuz-Graffiti an Bäckerei: Die Nazi-Sprayer von Chemnitz | |
Unbekannte sprayen Nazi-Symbole an das Geschäft eines Kurden in Chemnitz. | |
Doch bevor sie loslegen, plauschen sie erstmal mit der Polizei. | |
Demonstration für Oury Jalloh: Sie fordern Aufklärung | |
Vor 13 Jahren verbrannte der Sierra Leoner, heute versammeln sich 3.000 | |
Menschen. Zeitgleich startet die Kampagne „Oury Jalloh Stadt Dessau“ . | |
Kommentar Ermittlungen zum Fall Jalloh: Gesellschaftlicher Druck wirkt | |
Die Anordnung von oben, im Fall Oury Jalloh weiter zu ermitteln, war lange | |
überfällig. Nun hat das Aussitzen endlich ein Ende. | |
Neue Ermittlungen im Fall Oury Jalloh: „Zwölf Jahre verwirrt und vertuscht“ | |
Der Fall Oury Jalloh wird neu aufgerollt: Nun soll eine dritte | |
Staatsanwaltschaft prüfen, warum der Flüchtling in einer Polizeizelle | |
verbrannte. | |
Theorie von Dessauer Staatsanwalt: War Jallohs Tod eine Vertuschungstat? | |
Töteten Dessauer Polizisten Oury Jalloh um zu verhindern, dass zu weiteren | |
Todesfällen ermittelt wird? Das vermutet der einstige Chefermittler. |