# taz.de -- Neue Analyse des Weltklimarats: Ohne Agrarwende kein Klimaschutz | |
> Laut einem Bericht ist die Erderhitzung nur mit naturnaher Landwirtschaft | |
> zu stoppen. Bisher trägt der Agrarsektor zu stark zum Klimawandel bei. | |
Bild: Schön bedrohlich: Den Rauch von gigantischen Waldbränden in Sibieren si… | |
BERLIN taz | Nur mit einer weltweiten Agrarwende ist effektiver | |
[1][Klimaschutz] machbar – und nur echter Klimaschutz sichert die Land- und | |
Forstwirtschaft, die die Lebensmittel für die Menschheit produziert. Diese | |
gegenseitige Abhängigkeit von Klima und Landnutzung ist der [2][Kern des | |
neuen Berichts des Weltklimarats IPCC]. Demnach lässt sich nur mit einer | |
naturnäheren Landwirtschaft, dem Ende der Waldzerstörung und weniger | |
[3][Fleischkonsum] die Erderhitzung bis 2100 bei 1,5 oder 2 Grad stoppen. | |
Gleichzeitig sei aber auch eine schnelle Reduktion der Treibhausgase nötig, | |
um die fruchtbaren Böden zu sichern, die Wüsten zurückzudrängen und die | |
Ernährung von demnächst etwa 9 Milliarden Menschen zu garantieren. | |
Der „Sonderbericht zu Klimawandel, Wüstenbildung, Landverschlechterung, | |
nachhaltigem Land-Management, Ernährungssicherheit und Treibhausgasflüssen | |
in terrestrischen Ökosystemen“ wurde am Donnerstag in Genf vorgestellt. | |
Etwa 107 Autoren aus 52 Ländern hatten über Jahre die relevante Literatur | |
ausgewertet und seit letzter Woche in einer der berüchtigten | |
IPCC-Marathonsitzungen mit den Regierungen der UN-Staaten abgestimmt. | |
Herausgekommen ist ein Paukenschlag der Wissenschaftlerinnen und | |
Wissenschaftler, der die Politik weiter unter Druck setzt, in der | |
Klimapolitik zu handeln. | |
Denn die Fakten sprechen für sich und gegen ein „Weiter so“: Die Menschen | |
nutzen 70 Prozent der eisfreien Erdoberfläche für die Landwirtschaft, sie | |
beanspruchen ein Viertel bis ein Drittel aller weltweit erzeugten Lebens- | |
und Futtermittel, des Holzes und der Energie für sich. Momentan trägt die | |
Land- und Forstwirtschaft 23 Prozent zum menschengemachten | |
Treibhausgaseffekt bei. Noch nie war der Bedarf an Süßwasser und Kalorien | |
durch die Menschen so hoch wie heute. | |
Das hat Konsequenzen: Ein Viertel allen urbaren Landes hat nach dem Bericht | |
der ExpertInnen durch menschliche Aktivitäten bereits an Qualität verloren, | |
500 Millionen Menschen waren zwischen 1980 und 2000 von wachsenden Wüsten | |
betroffen – und 2 Milliarden Menschen weltweit haben Übergewicht, während | |
821 Millionen unterernährt sind. | |
## Wasserarmut, Feuer und Dürren | |
Unter der Hitze und den zunehmenden Dürren und Extremniederschlägen leiden | |
Äcker, Wälder und Graslandschaften ganz besonders, stellen die Forscher | |
fest: Während sich der Globus im Durchschnitt gegenüber der Zeit von 1850 | |
bis 1900 um 0,87 Grad Celsius erwärmt hat, ist es über den Kontinenten im | |
Schnitt um 1,53 Grad wärmer geworden. Die Vegetationsgebiete dehnen sich zu | |
den Polen aus, aber in der Nähe des Äquators wird es für den Anbau von Mais | |
und Weizen schwierig. | |
Koko Warner, Wissenschaftlerin beim UN-Klimasekretariat und eine der | |
Autorinnen des Berichts, weist auf die „Kombination der Risiken“ aus | |
Wasserarmut, Feuer, Dürren und dem Verlust von Böden hin. Wenn sich das | |
Klima um mehr als 3 Grad erwärme – was mit den bisherigen Klimaplänen der | |
Staaten gut möglich ist –, „könnten wir einen katastrophalen Rückgang der | |
Ernten in den Tropen sehen“. Die Theorie, dass solche Rückgänge durch | |
besseren Welthandel auszugleichen sind, „hat leider in den letzten Jahren | |
nicht funktioniert.“ | |
Auch die Hoffnung, höhere Temperaturen und mehr CO2 in der Luft führten zu | |
besserem Wachstum von Pflanzen, teilt der Report nicht. Er notiert zwar | |
dieses „globale Ergrünen“ auf mehr Fläche als den Gegentrend, das „glob… | |
Erbraunen“, wenn die Vegetation vertrocknet. Allerdings seien mit weiter | |
steigenden Temperaturen „die Trends hier negativ“, sagt Hans Otto Pörtner, | |
Meereswissenschaftler vom Alfred-Wegener-Institut und einer der | |
Leitautoren. | |
Während die ExpertInnen in Genf tagten, breiteten sich die [4][Waldbrände | |
in Sibirien] auf eine Größe aus, die etwa der Hälfte Deutschlands | |
entspricht. Deshalb warnt der Landbericht des IPCC auch ausdrücklich vor | |
höherer Gefahr durch Waldbrände und durch auftauenden Permafrostboden. | |
Aufforstung und Wiederherstellung von Wäldern werden begrüßt, allerdings | |
warnt der Bericht davor, darin ein Allheilmittel zu sehen: Für Aufforstung, | |
die einen Einfluss auf die CO2-Pegel hätte, sei eine Fläche von etwa 7 | |
Millionen Quadratkilometern mit Bäumen zu bepflanzen – das wäre zweimal die | |
Fläche Indiens. | |
## Noch lässt sich umsteuern | |
Sorge macht den Experten auch, dass die Aufnahme von CO2 durch die | |
Pflanzen, die im letzten Jahrzehnt jährlich bis zu 6 Milliarden Tonnen | |
ausmachte (etwa ein Sechstel dessen, was die Menschen in die Luft blasen), | |
nachlassen könnte. In den Ozeanen, die den Löwenanteil des | |
menschengemachten CO2 schlucken, ist dieser Trend schon zu beobachten – | |
auch deshalb wird im September der nächste IPCC-Bericht zu den Ozeanen mit | |
Spannung erwartet. | |
Die Wissenschaftler haben aber auch positive Nachrichten: Durch ein | |
Umsteuern lassen sich manche Effekte vermindern oder vermeiden, was zu mehr | |
Klimaschutz, sichereren Ernten und besseren Lebensbedingungen führen könne. | |
Die Potenziale für eine grüne Wende sind demnach gigantisch: Bisher | |
verdirbt fast ein Drittel der Ernte, bessere Planung und Technik könnten | |
das effizienter machen. Und ein Ende der Entwaldung könne jährlich bis 5,8 | |
Milliarden Tonnen CO2 sparen, eine andere Viehhaltung und Landwirtschaft | |
bis zu 9,6 Milliarden Tonnen und eine andere Speisekarte der Menschen (mehr | |
Pflanzen, weniger Fleisch) bis zu 8 Milliarden Tonnen. Im Optimalfall | |
ließen sich so über die Hälfte aller heutigen Emissionen einsparen – | |
trotzdem brauche es einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien, | |
betont der Bericht. | |
Die Zeit drängt nämlich. Das hat nicht zuletzt der letzte Sonderbericht des | |
IPCC vom Oktober 2018 zum „1,5-Grad-Ziel“ gezeigt. Die Experten schlagen | |
deshalb der Politik „zeitnahe Aktion“ vor: Bessere Aufklärung über | |
Anbaumethoden, Gebrauch von digitaler Technik auf dem Feld, Kampf gegen die | |
Wüsten, Sicherung der fruchtbaren Böden. Die Rechnung könne aufgehen, | |
meinen die ExpertInnen: Landsicherung in Trockengebieten bringe „drei- bis | |
sechsmal so viel Ertrag wie der Bodenwert“, nachhaltige Landwirtschaft | |
zahle sich nach 3 bis 10 Jahren aus. Dafür brauche es allerdings | |
Investitionen am Anfang von im Schnitt 500 Dollar pro Hektar. | |
Das aber würde sich lohnen. Denn der Wert aller Dienstleistungen, den die | |
Natur erbringt, entspricht laut IPCC-Bericht der gesamten weltweiten | |
Wirtschaftsleistung: etwa 90 Billionen US-Dollar. | |
8 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[2] https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/08/SRCCL-leaflet.pdf | |
[3] /Waldbraende-in-Sibirien/!5614050 | |
[4] /Waldbraende-in-Sibirien/!5614050 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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