# taz.de -- Netflix-Sportdoku „Cheerleading“: Das Ende der Leichtigkeit | |
> In Staffel 2 sorgt nicht nur die Pandemie für einen Realitätsschock, | |
> sondern auch die Verhaftung des bisherigen Serien – Stars. | |
Bild: Das harte Training der Gruppe geht nach einer Pandemie bedingten Pause we… | |
Als die erste Staffel „Cheer“ im Januar 2020 erscheint, ist die Welt noch | |
eine andere. Eine Aussage, die eigentlich immer zutrifft, doch auf | |
präpandemische Zeiten eben noch einmal stärker. Und das wird schmerzlich | |
bewusst, wer nun die zweite Staffel sieht. | |
Die sechsteilige Doku-Serie von Greg Whiteley begleitet ein | |
Cheerleading-Team aus Corsicana, einer texanischen Kleinstadt, monatelang | |
bei seiner Vorbereitung auf die nationalen Meisterschaften im Jahr 2019. | |
Gemeinsam mit Trainerin Monica Aldama wollen die rund 40 | |
Cheerleader_innen vom Navarro College unbedingt „Daytona“ – wie der | |
wichtigste Cheerleading-Wettbewerb genannt wird – gewinnen und nehmen dafür | |
einige schweißtreibende Anstrengungen, körperliche Verletzungen und große | |
Enttäuschungen auf sich. Am Ende mit Erfolg: Sie besiegen ihre größten | |
Konkurrent_innen vom Trinity Valley Community College. | |
Nach der Veröffentlichung ging die Doku viral: Die Besprechungen in der | |
Presse waren herausragend, sie wurde mit drei Emmys ausgezeichnet und aus | |
den unbekannten Cheerleader_innen wurden Stars. Der Erfolg der Serie | |
beruht auf zwei Dingen: Einerseits gelang es ihr, das schlechte Image von | |
Cheerleading als [1][Pausenfüller im Barbie-Look] zu nehmen und es als | |
harten athletischen Sport zu zeigen. Gleichzeitig erzählte es die | |
Hintergrundgeschichten und Identitätskrisen der Protagonist:innen | |
gerade so ernst wie nötig, ohne dass der Sendung dadurch seine Leichtigkeit | |
und nötige Prise Kitsch verloren ging. | |
Was aber erzählt man nun in der zweiten Staffel? Nach den ersten vier | |
Episoden drängt sich der Verdacht auf: einfach noch einmal das Gleiche. Die | |
Dreharbeiten begannen gleich nach der Ausstrahlung der ersten Staffel. | |
Wieder bereitet sich das Navarro-Team auf Daytona vor, nur dieses Mal unter | |
der Doppelbelastung des Star-Daseins. Denn neben täglichen Training müssen | |
die Stars des Teams zur „Today“-Show, geben der (inter-)nationalen Presse | |
Interviews und nehmen Commercials auf. | |
## Die Realität | |
Einige der Sportler_innen versuchen noch weiter, Profit aus ihrem | |
Berühmtsein zu schlagen und verschicken für 50 Dollar persönliche | |
Videogrüße an Fans. Was der Druck und die Konkurrenz – schließlich sind | |
nicht alle Navarros Stars geworden – mit den jungen Sportler_innen | |
macht, hätte vermutlich genug Material für eine Staffel hergegeben, doch | |
nach der vierten Folge gibt es einen Bruch. Das Narrativ verändert sich – | |
diktiert von der Realität. | |
Aufgrund von Covid-19 muss die Mannschaft im März 2020 aufhören zu | |
trainieren, Daytona fällt aus und in den folgenden Monaten Drehpause | |
verlassen einige der Cheerleader das College und damit die Mannschaft. Und | |
noch etwas passiert in dieser Zeit: [2][Jerry Harris wird im September | |
2020] festgenommen wegen des Verdachts auf Produktion von Kinderpornografie | |
und sexueller Ausbeutung. Harris streitet die Vorwürfe ab, gibt aber im | |
Verhör an, mindestens zehn Minderjährige nach pornografischen Fotos gefragt | |
zu haben. Er sitzt seitdem in Untersuchungshaft in Chicago, der Prozess | |
steht noch aus. Kommt es zu einer Verurteilung, drohen ihm mindestens 15 | |
Jahre Haft. | |
Diese Vorwürfe passen eigentlich nicht in die Erzählung der Doku: Jerry | |
Harris ist der Star von „Cheer“, der Junge, der durch seine immer positive | |
Ausstrahlung Everybody’s Darling wurde. Nach der ersten Staffel durfte er | |
nicht nur die Stars wie Brad Pitt auf dem roten Teppich vor den | |
Oscar-Verleihungen, sondern auch den damaligen Präsidentschaftskandidaten | |
Joe Biden interviewen. Diesen Vorwürfen widmet die Doku nun eine ganze | |
Episode. Es wird behandelt, wie das Umfeld von Jerry mit den Vorwürfen | |
umgeht, doch im Vordergrund stehen die Betroffenen selbst. | |
Sechzig Minuten zuzuhören, wie zwei Minderjährige ihr Erlebtes wiedergeben | |
und wie ihre Mutter versuchte, gegen vielfache [3][Widerstände die Fälle an | |
die Öffentlichkeit zu bringen], nimmt der Doku zwar endgültig die | |
Leichtigkeit. Doch obwohl eine Einordnung des Falles in das strukturelle | |
Problem des sexuellen Missbrauchs in der Cheerleading-Branche fehlt, | |
machen die Dokufilmer_innen hier ziemlich viel richtig. | |
17 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Alba-Berlin-verzichtet-auf-Cheerleader/!5630495 | |
[2] https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_88599168/netflix-star-jerry-h… | |
[3] /Bekaempfung-von-Kinderpornografie/!5643941 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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