# taz.de -- Nerzpelz-Industrie in Dänemark: Qualen fürs weiche Gold | |
> Wegen Corona tötete Dänemark verfassungswidrig Millionen Nerze. Pelz war | |
> bislang die gewinnbringendste landwirtschaftliche Industrie des Landes. | |
Bild: Getötete Nerze auf einer Nerzfarm in Naestved | |
Ein dänisches Wuhan und eine neue Dimension der Coronapandemie – dieses | |
Szenario ist die schlimmste Befürchtung der dänischen Regierung. Aus diesem | |
Grund hatte sie die Tötung aller 17 Millionen Nerze im Königreich | |
angeordnet. Anfang November war bekannt geworden, dass sich eine „Cluster | |
5“ genannte Mutation des Coronavirus unter den Tieren verbreitet hatte, die | |
in einigen Fällen wohl auch auf Menschen übertragen worden war. | |
Die Anordnung, die Tiere zu töten, geschah aus Angst davor, dass der | |
zurzeit entwickelte Impfstoff gegen das in den dänischen Nerzen gefundene | |
mutierte Virus nicht mehr wirksam sein könnte. Virolog:innen der | |
staatlichen dänischen Stellen hatten diese Angst genährt. Ihr Aussage wird | |
in Expertenkreisen [1][allerdings kontrovers diskutiert]. | |
Kritisiert wurde allerdings auch die Entscheidung, alle Nerze zu töten. | |
Denn die Anweisung, das musste auch die Regierung zugeben, hatte keine | |
Rechtsgrundlage und war damit verfassungswidrig. In der Konsequenz [2][trat | |
der Ernährungsminister Mogens Jensen am Mittwoch dieser Woche zurück]. | |
Diskutiert wird aber, ob nicht die Regierungschefin die Verantwortung | |
übernehmen muss. Schließlich war es Mette Frederiksen, die am 4. November | |
bekannt gab: „Es ist notwendig, jeden Nerz in Dänemark zu töten.“ | |
Aber nicht nur dänischen Regierungsmitgliedern, auch den 6.000 | |
Beschäftigten der dänischen Nerzindustrie droht der Jobverlust. Sie wissen | |
nicht, wovon sie in Zukunft leben sollen, da sie gerade dabei sind, ihre | |
eigene Existenzgrundlage zu vernichten. | |
„Es ist ein Albtraum, den ich nicht in die Länge ziehen möchte“, sagt | |
Henning Holm Christensen, Nerzzüchter aus Esbjerg im westlichen Jütland. | |
Als die taz ihn per Telefon erreicht, hat Christensen bereits die Hälfte | |
seiner 85.000 Nerze vergast. Jens Arne Christiansen, der 36.000 | |
nichtinfizierte Nerze auf der Insel Fünen besitzt, bringt es nicht fertig, | |
seine Tiere selbst umzubringen: „Mir wird körperlich schlecht“, sagt er | |
tränenerstickt, bevor er den Hörer auflegt. | |
## Das weiche Gold | |
Dänemark ist der größte Nerzpelzexporteur der Welt und produziert etwa ein | |
Drittel aller international verkauften Nerzpelze. Im vergangenen Jahr | |
wurden 24,5 Millionen Felle exportiert, hauptsächlich nach Asien, wo sie | |
gegerbt und geschneidert werden. Im Nerzbereich übertrifft Dänemark sogar | |
China, das an zweiter Stelle der Nerzhaltung steht. Bei 17 Millionen Nerzen | |
und einer Bevölkerung von 5,8 Millionen Menschen lebten bis vor Kurzem etwa | |
dreimal so viele Nerze wie Menschen in Dänemark. Die Branche existiert in | |
Dänemark seit 90 Jahren. | |
Pelz ist eine Art weiches Gold: Es wird zu Pelzmänteln und Pelzhauben | |
verarbeitet, die von glamourösen Filmstars und wohlhabenden Leuten zur | |
Schau getragen werden. Die meiste Pelzbekleidung bleibt übrigens in Asien, | |
wo Chines:innen und Russ:innen sie als Statussymbol vorführen. Nur 10 | |
Prozent der Pelzprodukte finden ihren Weg zurück nach Europa. | |
Es ist eine umstrittene Industrie. In 16 Ländern Europas ist Pelztierzucht | |
verboten, weitere 6 Länder diskutieren ein Verbot. 2019 wurde die letzte | |
Nerzfarm in Deutschland geschlossen. „Lieber nackt als im Pelz“ lautete das | |
einprägsame Kampagnenmotto der Tierschutzgruppe Peta. Jahrzehntelang haben | |
sie und [3][andere Tierschutzgruppen die Pelzindustrie bekämpft]. In | |
Dänemark gelang es ihnen nicht, diese abzuschaffen. Dafür ist der dänische | |
Pelz viel zu lukrativ. | |
Dänische Häutungsmaschinen für Nerze, dänisches Nerzfutter und die dänische | |
Nerzforschung gelten weltweit als das Beste vom Besten. Und so auch die in | |
Dänemark produzierten Pelze. Ihr Preis liegt rund 10 bis 20 Prozent höher | |
als der durchschnittliche Preis für Pelze weltweit. Ein unbehandeltes | |
Nerzfell kommt für etwa 40 Euro auf den Weltmarkt, ein dänisches kostet 45 | |
bis 50 Euro. Das dänische Pelzauktionshaus Kopenhagen Fur ist das größte | |
der Welt, zwei Drittel aller international verkauften Pelze werden dort | |
verkauft. [4][Dänemark ist die Pelznation überhaupt], was vor dem | |
Nerzskandal auch den meisten Dän:innen nicht bewusst war. | |
## Dänemarks Topindustrie | |
Pelz ist mit Abstand die am meisten Gewinn bringende landwirtschaftliche | |
Industrie Dänemarks: In den letzten zehn Jahren hat ein durchschnittlicher | |
dänischer Nerzbetrieb etwa 135.000 Euro jährlichen Gewinn gemacht. Dänische | |
Landwirtschaftsbetriebe erwirtschafteten mit Pflanzenanbau im gleichen | |
Zeitraum durchschnittlich nur rund 40.000 Euro, mit Rinderhaltung 27.000 | |
Euro und mit Schweinehaltung 13.500 Euro, erläutert Henning Otte Hansen, | |
Agronom und Seniorberater der Universität Kopenhagen. Laut Dänemarks | |
nationaler Statistikdatenbank hat im Rekordjahr 2013 jeder dänische | |
Nerzbetrieb im Durchschnitt 450.000 Euro Gewinn gemacht und es wurden Pelze | |
im Wert von 1,7 Milliarden Euro exportiert. | |
Allerdings ist der Pelzpreis auf dem Weltmarkt seither gefallen, die | |
Nerzproduktion ist momentan ein Defizitgeschäft: Die Betriebe machten laut | |
der dänischen Statistikbehörde in den vergangenen Jahren durchschnittlich | |
ein Minus von ungefähr 95.000 Euro. Das sei nur eine vorübergehende Delle, | |
hieß es vonseiten der Industrie wie auch von dänischen Nerzforschern. Doch | |
dann kam Corona. | |
Bereits im April war es in den Niederlanden bei einem Nerzzüchter zu einer | |
Corona-Infizierung der Tiere gekommen. Die niederländische Regierung hatte | |
im August entschieden, die gesamte niederländische Nerzbranche zu | |
schließen. Mitte Juni wurden ein dänischer Nerzzüchter, seine Familie und | |
mehrere seiner 10.000 Nerze im nördlichen Teil Jütlands mit dem | |
Coronavirus infiziert. | |
Im Laufe des Monats wurde das Virus in zwei weiteren Nerzfarmen in | |
Nordjütland gefunden. Alle Tiere der drei Farmen wurden erschlagen. Aber | |
das Virus hatte sich weiterverbreitet: Anfang September meldeten sechs | |
norddänische Betriebe Infektionen, Anfang Oktober war es 41, eine Woche | |
später 76. Dann ordnete die staatliche Lebensmittelkontrolle an, alle Nerze | |
im Umkreis von 7,8 Kilometern einer infizierten Farm zu töten. | |
Diesen radikalen Schritt hatte die Regierung damit gerechtfertigt, dass es | |
sich um eine akute Risikosituation für die allgemeine Gesundheit gehandelt | |
habe. Als die Regierung eingestand, dass die Anordnung der Tötung | |
verfassungswidrig war, hatten manche Züchter daraufhin die Massentötung | |
unterbrochen, die meisten aber machen weiter. Für die Züchter hat die | |
Regierung eine Entschädigungszahlung zwischen 5 und 14 Milliarden Kronen | |
(bis zu 1,8 Milliarden Euro) in Aussicht gestellt, und sie erarbeitet eine | |
neue Rechtsgrundlage, um alle Tiere zu töten. | |
„Die dänische Pelztierzucht ist am Ende“, sagt der Züchter Jan Obitsø aus | |
Holstebro, einer Stadt in der Mitte Jütlands, der taz. Er hat gerade alle | |
seine 45.000 Tiere umbringen müssen. | |
## Unzureichender Tierschutz | |
„Den Nerzen ist es egal, ob sie wegen ihres Pelzes oder zur Bekämpfung von | |
Corona getötet werden“, schreibt dagegen Dyrenes Beskyttelse, der größte | |
und älteste Tierschutzbund in Dänemark. Deshalb macht die Schließung der | |
Nerzpelzindustrie die dänische Tierschützer:innen froh. „Der Tierschutz ist | |
in dieser Industrie nicht hinreichend gewährleistet“, teilt der Bund auf | |
Anfrage der taz mit. | |
Zuchtnerze leben in Drahtkäfigen, die 0,27 Quadratmeter groß und | |
aufeinander gestapelt sind. Manchmal leben auch mehrere Nerze in einem | |
Käfig. Die Jungtiere werden im Mai geboren; sechseinhalb Monate später | |
werden rund 80 Prozent umgebracht und gehäutet. Die übrigen 20 Prozent | |
sorgen für den Nerznachwuchs vom nächsten Jahr. In der Natur leben Nerze | |
allein auf einem Gebiet von mehreren Quadratkilometern und können bis zu | |
vier Jahre alt werden. | |
Der Tierschutzverbund fordert seit Jahren, die Haltungsbedingungen auf den | |
Nerzfarmen zu ändern. Einiges wurde tatsächlich verbessert, aber insgesamt | |
wird die Branche in Dänemark nach wie vor bevorzugt behandelt. Hauptgrund | |
sei die große Fischindustrie, erklärt Steen Henrik Møller, der seit 35 | |
Jahren zu Nerzen an der Universität Aarhus forscht. | |
Das Futter der Nerze werde hauptsächlich aus Fisch hergestellt. Der | |
dänische Vorteil bestehe in seiner Nähe zum Meer, wo sich die Nerzfarmen | |
vorzugsweise ansiedeln. Kein Ort in Dänemark liegt weiter als 52 Kilometer | |
von der Meeresküste entfernt – Nerzfarmen können sich also praktisch | |
überall ansiedeln. | |
Auch die landwirtschaftliche Genossenschaftsbewegung spiele eine große | |
Rolle für das große dänische Nerzabenteuer, meint Henning Otte Hansen von | |
der Universität Kopenhagen. „Zusammen waren die Züchter eine wahnsinnig | |
starke Lobby.“ So gehört Kopenhagen Fur, das größte Pelzauktionshaus der | |
Welt, den Züchtern selbst. Doch das dänische Pelzabenteuer scheint seine | |
goldenen Zeiten hinter sich zu haben. | |
21 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Kåre Holm Thomsen | |
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