# taz.de -- Nazi-Blockaden in Dresden: Seifenblasen und Pflastersteine | |
> 4.500 Beamte sind im Einsatz. Doch die Polizeiketten sind zu dünn und den | |
> Beamten entgleitet die Situation. Denn unter den tausenden | |
> Gegendemonstranten waren etwa 3.000 Gewaltbereite | |
Bild: Blockieren und Gegenblockieren: Demonstranten und Polizisten in Dresden. | |
Es ist kurz vor zwölf, als die Polizei zum dritten Mal aufruft, die | |
Kreuzung freizugeben: "Sollten Sie dem nicht nachkommen, sind wir | |
gezwungen, mit polizeilichem Zwang zu räumen", warnt der Einsatzleiter. | |
Doch die Demonstranten bleiben auf der Zufahrt zum Kundgebungsort der | |
Rechtsextremen südlich des Dresdener Hauptbahnhofs sitzen. Sie kümmert die | |
Warnung wenig. Seifenblasen steigen in die Luft. Ein junger Mann schrammelt | |
auf der Gitarre. Und mittendrin steht Jenas Oberbürgermeister Albrecht | |
Schröter. | |
Mit Hunderten Demonstranten aus Thüringen und Hessen ist der SPD-Mann im | |
Buskonvoi nach Dresden gekommen. Als die Polizei sie im Vorort stoppt, | |
laufen die Demonstranten - unter ihnen eine Landtagsabgeordnete der Linken | |
und ein FDP-Politiker - zu Fuß sechs Kilometer stadteinwärts. Erst 100 | |
Meter vor jenem Ort, wo an diesem Tag eigentlich Neonazis demonstrieren | |
wollen, stoppt die Polizei ihren Marsch. | |
"Ich werde demnächst 56 Jahre alt und bitte um Verständnis, dass ich heute | |
nicht mehr weiterlaufen kann", sagt Schröter grinsend. Natürlich sei es | |
nicht legal, diese Straße zu blockieren: "Aber ich halte es im Sinne des | |
Grundgesetzes für legitim." Die Polizei lässt wenig später sogar einen | |
Lieferwagen von Attac mit Suppe durch. | |
Aber nicht nur veganer Eintopf passiert die Sperren, auch immer mehr | |
Protestierer brechen aus allen Richtungen durch die Polizeiketten in die | |
Zone südlich des Bahnhofs ein - in der sie laut Einsatzplan der Polizei | |
nichts zu suchen haben. | |
Denn das Trennungskonzept des Verwaltungsgerichts lautet: Mahnwachen und | |
Proteste sollen nur nördlich der Elbe stattfinden, der Süden den Neonazis | |
reserviert bleiben. Dort werden zum 66. Jahrestag der Zerstörung Dresdens | |
im Zweiten Weltkrieg bis zu 4.000 rechtsextreme Demonstranten erwartet. | |
Sogar eine Mahnwache vor der DGB-Zentrale, einen Kilometer weiter nördlich, | |
wird verboten. Gewerkschafter wollten hier an die Besetzung des Volkshauses | |
durch Nazis 1933 erinnern. Sie behelfen sich mit einer "öffentlichen | |
Landesbezirksvorstandssitzung". | |
Auch Prominenz kommt: die Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD), | |
Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Petra Pau (Linke) und Sachsen-Anhalts | |
Innenminister Holger Hövelmann. Aus Dresden und dem ganzen Land versammeln | |
sich Demonstranten zu mehr als 50 Mahnwachen, Gottesdiensten und Protesten | |
- 20.000 schätzen die Veranstalter. Dresdens FDP-Bürgermeister Dirk Hilbert | |
lobt vor der Frauenkirche, "dass so viele Bürger heute ein machtvolles | |
Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen, friedlich, aber dennoch | |
ausdrucksstark". | |
Derweil riegelt die Polizei viele Straßen, Brücken und Unterführungen ab, | |
die von Norden nach Süden führen. So will sie Sitzblockaden verhindern, zu | |
denen das Bündnis "Dresden Nazifrei" aufgerufen hat. 4.500 Beamte sind im | |
Einsatz. Doch die Polizeiketten sind zu dünn. Am Mittag verlieren die | |
Einsatzkräfte zunehmend die Kontrolle über das Geschehen in der | |
Südvorstadt. Unter den Gegendemonstranten, die sich längst zu Tausenden in | |
der für die Rechten reservierten Zone aufhalten, sind auch gewaltbereite | |
Autonome. | |
Kurz nach eins steigt hinter Jenas Oberbürgermeister schwarzer Rauch auf. | |
Autonome plündern eine Baustelle, errichten aus Metallzäunen eine | |
Straßensperre, ein Baucontainer brennt. "Und das soll friedlicher Protest | |
sein", schimpft ein Polizist in Kampfmontur. Doch die Beamten können ihren | |
Platz auf der Kreuzung nicht verlassen - dann würden die Demonstranten | |
weiter in das Sperrgebiet vordringen. Auch eine leerstehende Baracke geht | |
in Flammen auf. Als die Feuerwehr eintrifft, erheben sich die Blockierer - | |
um gleich danach wieder die Kreuzung zu besetzen. "Chaoten", schimpft der | |
SPD-Politiker Schröter. "Das gefährdet unsere friedliche Blockade!" Jemand | |
ruft übers Megafon: "Ihr habt unsere Solidarität eingefordert, jetzt | |
fordern wir eure: Lasst die Brennerei!" | |
Entschlossene, aber friedliche Massenblockaden, keine Eskalation - das | |
sollte der Aktionskonsens des Bündnisses "Dresden Nazifrei" sein. Doch | |
anders als 2010 hält er nicht. Autonome zerren in der Südvorstadt | |
Müllcontainer, Einkaufswagen und Verkehrsschilder auf die Straßen. Die | |
Polizei setzt Räumfahrzeuge, Knüppel und Tränengas ein. Vor einem | |
Studentenwohnheim suchen Vermummte die Eskalation, setzen Barrikaden in | |
Brand. Als die Polizei mit Wasserwerfern anrückt, fliegen Pflastersteine. | |
Ein paar Straßen weiter posieren Jugendliche stolz vor den Feuern, lassen | |
sich von Freunden ablichten. Dann werfen sie Steine und Flaschen in | |
Richtung der Beamten. | |
Alle Lager seien "mit deutlich höherem Gewaltpotenzial" vorgegangen, | |
beklagt am Tag danach die Polizei. Ihre Bilanz: 12.000 Gegendemonstranten, | |
darunter 3.000 Gewaltbereite. 82 verletzte Polizisten, sieben von ihnen | |
schwer verletzt. 78 vorläufige Festnahmen, 60 Strafanzeigen, 200 Verstöße | |
gegen das Versammlungsgesetz. Allerdings kritisiert Polizeipräsident Dieter | |
Hanitsch auch das Verwaltungsgerichtsurteil, das die strikte Verteilung | |
rechter und linker Demonstranten auf die zwei Elbufer verlangt hatte: "Die | |
Rechtsprechung stimmt mit der Lebenswirklichkeit nicht mehr überein, weil | |
sie von der Grundannahme friedlicher Demonstrationen ausgeht." | |
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) kündigt eine Grundsatzdebatte an, | |
wie mit solchen Situationen in Dresden künftig umgegangen werden könne. | |
Dafür bekommt er Applaus von der FDP. Deren Rechtspolitiker Carsten Biesok | |
wirft aber zugleich der Linken vor, sie habe "sich nicht unmissverständlich | |
und frühzeitig von gewalttätigen Demonstrationstouristen" distanziert. Die | |
Grünen hingegen verteidigen die Proteste. "Die allermeisten Demonstranten | |
am Samstag waren friedlich", sagt der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian | |
Kindler. Auch das Bündnis "Dresden Nazifrei" habe immer wieder zu | |
friedlichen Blockaden aufgerufen. Wie die Linkspartei-Vizechefin Katja | |
Kipping kritisiert er einen Polizeieinsatz. | |
Als die meisten Demonstranten weg sind, stürmen Einsatzkräfte des LKA das | |
"Haus der Begegnung". Dort hat das Bündnis "Dresden Nazifrei" sein | |
Pressezentrum - neben dem Stadtbüro der Linkspartei. Die Polizei führt | |
vierzehn Personen ab, beschlagnahmt Computer. Die Vorwürfe: Vorbereitung | |
von schwerem Landfriedensbruch und Bildung einer kriminellen Vereinigung. | |
Für Kindler eine "Rambo- und Racheaktion". Kipping spricht von einem | |
"Ausdruck der Hilflosigkeit" der Polizei, abends "noch auf diese Weise | |
einen Sündenbock zu präsentieren". Die Staatsanwaltschaft ist am Wochenende | |
nicht für eine Stellungnahme zu der Razzia zu erreichen. | |
AUTOREN: MICHAEL BARTSCH, ASTRID GEISLER, KONRAD LITSCHKO & MARTIN KAUL | |
20 Feb 2011 | |
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