Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachruf auf Chuck Berry: Godfather des Rock ’n’ Roll
> Er besang das typische Teenagerleben der 50er-Jahre. Als Afroamerikaner
> war er trotz der Segregation in den USA hoch populär.
Bild: Auch 2007 noch eine illustre Gestalt
Worauf es ankam beim Rock ’n’ Roll der Fünfziger: Gitarrenriffs mit
Vorwärtsdrang, sexy Hüftschwung und starke Nerven. Wer damals im
Rampenlicht stand, brauchte außerdem einen guten Anwalt, dazu später mehr.
Chuck Berry besaß alles, um berühmt zu werden. Er hatte einen
bleistiftdünnen Schnurrbart, war schlank, hochgewachsen und spielte eine
glasklare Boogie-infizierte Gitarre. Seine Stimme war sonor, und sie wusste
Bescheid, klang genauso wellig und ölig, wie sein Haar aussah.
Einer von Berrys frühen Hits, komponiert 1956, wies auch gleich auf den
Beginn einer neuen Zeitrechnung. Getreu dem Namen Rock ’n’ Roll musste man
sich zur neuen Teenager-Musik bewegen. Vögeln oder tanzen, aber bitte nicht
im Sitzen hören wie die Alten. Berry selbst war auf der Bühne ein Derwisch,
er watschelte gerne mit seiner Gitarre im Anschlag, ein Move, der später
als „Duck Walk“ in die Annalen des Rock ’n’ Roll eingehen sollte.
„You know my temperature’s risin’ / The jukebox’s blowin’ a fuse / My…
beatin’ rhythm / And my soul keep-a singing the blues / Roll over Beethoven
/ And tell Tchaikovsky the news“. „Roll over Beethoven“, so der Titel
dieses Songs, war im Streit mit Berrys Schwester Lucille entstanden, die
das Klavier der Eltern zu Hause blockierte, um klassische Musik zu üben.
Chucks Rache, er griff sich die Gitarre und komponierte. Es sollte einer
seiner erfolgreichsten Songs werden.
## Eine Guitarre wie eine Kreissäge
Charles Edward Anderson Berry, geboren 1926 in St. Louis im US-Bundesstaat
Missouri als viertes von sechs Kindern. Der Vater war Diakon einer
Baptistenkirche, die Mutter leitete eine Schule. Chuck Berry gehört zur
ersten Generation afroamerikanischer Rock ’n’ Roller. Nach einer kurzen
Phase, in der er sich in den frühen Fünfzigern unter den Fittichen des
Bluesmusikers Muddy Waters ausprobiert hatte und einige Demoaufnahmen
einspielte, nahm er 1955 den Song „Maybellene“ auf. „Rock ’n’ Roll Gu…
starts here“, wie der Rolling Stone den rohen Sound treffend beschrieben
hat: „Maybellene“ ist eine Vollgas-Uptempo-Nummer mit angeschwipstem Piano
und einer scheppernden, von Berry selbst gespielten Gitarre, die wie eine
Kreissäge klingt.
Der Songtext fasst ein Autorennen frisierter Oldtimer mit einer Lovestory
zusammen, am Ende fließt nicht nur Herzblut, auch die Motorhauben rauchen.
Berry sang fast ausschließlich Eigenkompositionen, so wurde er zu einer
allseits geachteten Figur, die auch spätere Musikergenerationen, vor allem
britische Künstler, beeinflusst hat.
Am meisten in Erinnerung bleibt die Nonchalance seines Vortrags, eine Art
Song gewordenes Pendant zum verschmitzten Grinsen. In den Songs von Chuck
Berry geht es um die Mobilität der jungen Babyboomer-Generation, um das
Aufbegehren gegen Elternhaus und Autoritäten, aber auch um Lust auf Konsum
und um eine Begegnung zwischen Schwarz und Weiß. „She’s got the grown-up
Blues / Tight dresses and lipstick / She’s sportin’ high heel shoes / Oh,
but tomorrow morning / She’ll have to change her trend / And be sweet
sixteen / And back in class again“, singt Chuck Berry in „Sweet little
sixteen“, veröffentlicht 1958.
Eine Gratwanderung zwischen Frust und Erregung, Aufbegehren und Anpassen:
Chuck Berry feierte darin die Triumphe und beklagte die Niederlagen eines
Teenagerlebens der Fünfziger. 22 Jahre war Chuck Berry alt, als er diesen
Song komponierte. An die 20 Hits hatte Chuck Berry zwischen 1956 und 1960,
viele davon platzierten sich in den Top Ten der Charts. Er war ein Idol der
Jugend, trat auch in sogenannten Halbstarken-Filmen auf der Leinwand auf,
etwa in „Mr. Rock ’n’ Roll“ und „Go Johnny Go“.
Man sollte trotzdem in Erinnerung rufen, wie schwierig die Begegnungen
zwischen Schwarz und Weiß in den segregierten USA der Fünfzigerjahre im
Alltagsleben waren. Schwarze durften im Kino nur auf den billigen Plätzen
sitzen. Die Schranken durchbrach erst die Musik.
## Sehnsucht nach einem sorglosen Leben
Insofern war es mehr als nur die Sehnsucht nach einem sorglosen Leben, die
aus Berrys Song „You never can tell“ (1960) spricht. Die beiden Lover einer
Teenagerliebe sind mit einem Auto auf der Flucht, sie wollen neu anfangen
in einer eigenen Wohnung und mit einem Kühlschrank voller Ginger Ale. „They
bought a souped-up jitney, ‚twas a Cherry Red ’53 / They drove it down to
Orleans to celebrate the anniversary / It was there that Pierre was married
to the lovely mademoiselle / ,C’est la vie‘, say the old folks, it goes to
show you never can tell“. Balladesker, sanftmütiger als sonst klingt Chuck
Berry und das hatte einen ernsten Hintergrund.
1959 machte er sich strafbar, als er ein minderjähriges Mädchen in einen
Nachtclub seiner Heimatstadt St. Louis vermittelt hatte. Das aus Mexiko
stammende Mädchen wurde nach zwei Wochen entlassen und ging zur Polizei.
Berry wurde daraufhin zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von
5.000 US-Dollar verurteilt. Da die Jury ausschließlich aus Weißen bestand
und der Haftrichter einige rassistische Bemerkungen bei der
Urteilsverkündung fallen ließ, reduzierte man 1961 die Haftstrafe auf zwei
Jahre.
Berry war hinterher nicht mehr derselbe. Seiner Popularität tat der
Gefängnisaufenthalt allerdings keinerlei Abbruch. Wenngleich die
Rock-’n’-Roll-Welle in der Zwischenzeit verebbt war, coverten junge
Künstler wie die Beatles und die Rolling Stones Songs von Chuck Berry. Auch
Bob Dylan nahm sich für seinen Song „Subterranean Homesick Blues“ 1965 das
Chuck-Berry-Original „Too Much Monkey Business“ zum Vorbild.
Und Chuck Berry selbst erhielt aufgrund der anhaltenden Popularität seiner
alten Songs neue Plattenverträge. Er war einer der ersten Künstler, deren
Karriere als Retrophänomen interessant wurde. Etwa 1972, als er in London
das Album „The London Chuck Berry Sessions“ aufnahm. Ebenso 1986, als Keith
Richards zu Ehren von Chuck Berry in St. Louis ein Tribute-Konzert
veranstaltete, bei dem viele Stars auftraten.
Daraus entstand dann auch ein von Keith Richards produzierter Konzertfilm
und Berry schrieb eine Autobiografie namens „Hail! Hail! Rock ’n’ Roll“.
Dieser Schlachtruf überstrahlt auch allen sonstige Unbill im Leben des
Chuck Berry. „Chuck Berry war möglicherweise der beste aller Rocker“,
schrieb der britische Kulturkritiker Nick Cohn. „Er schrieb unermüdlich
Texte über Teenager-Romanzen, aber er sang sie mit einem grimmigen
augenzwinkernden Zynismus.“
Nun ist die Teenager-Zeit endgültig vorbei: Am Samstag ist Chuck Berry
gestorben; er wurde 90 Jahre alt.
19 Mar 2017
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Rock'n'Roll
Bob Dylan
The Beatles
Nachruf
Rhythm & Blues
Rock'n'Roll
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf Little Richard: Der Pfirsich aus Georgia
Die Rock-’n’-Roll-Legende Little Richard ist tot. Mit seinem Urschrei „Aw…
Bop A Loo Bop Alop Bam Boom“ prägte er das Genre.
Nachruf auf Fats Domino: Rau, gefühlvoll, nicht zu cool
Der Mann am Klavier, der mächtig Boogie spielte, wurde sogar von den
Beatles gecovert. Jetzt ist Fats Domino im Alter von 89 Jahren gestorben.
Kabarettrockkonzert in Berlin: Der Charme der Schuljungen
Ironische Texte, vielfältiger, satter Sound: Noch bis Sonntag spielt die
Kabarett-Rockband Tonträger in der „Bar jeder Vernunft“.
Früher Tod von Popstars: Ruhm verdoppelt Sterberisiko
Drogen, Selbstmord, Aids: Ein britisches Forscherteam analysierte die
Lebensläufe von über 1.000 Größen des Pop. Ein Ergebnis: Europäische
Musikikonen sterben besonders früh.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.