# taz.de -- Nach dem Abzug der Bundeswehr: Betrüger nutzen Unsicherheit | |
> Das Aufnahmeprogramm der Bundesregierung für gefährdete Afghan*innen | |
> verzögert sich. Wie Betrüger die Angst Betroffener nutzen, zeigen einige | |
> Fälle. | |
Bild: Warten in Angst: Noch immer harren gefährdete Afghan*innen in Afghanista… | |
Die Taliban haben vor Kurzem verkündet, Verstöße gegen islamische Regeln – | |
wie etwa Alkoholkonsum oder „Unzucht“ – mit drakonischen Strafen zu | |
belegen. Dazu gehört das Abhacken von Körperteilen oder öffentliches | |
Auspeitschen. Indessen befindet sich das Bundesaufnahmeprogramm für | |
gefährdete Afghan*innen weiterhin in einer Vorbereitungsphase. Kritik | |
daran wurde unter anderem von der Linken-Bundestagsabgeordneten Clara | |
Bünger laut: „Das verzögernde und intransparente Vorgehen der | |
Bundesregierung ist für die Betroffenen die reinste Katastrophe. Es | |
begünstigt auch Betrügereien, die die prekäre Situation der Schutzsuchenden | |
ausnutzen.“ | |
In der sogenannten Phase 1 des [1][Bundesaufnahmeprogramms] können | |
meldeberechtigte Stellen ihnen bekannte Fälle besonders gefährdete*r | |
Afghan*innen weitergeben. Allerdings fehlt eine offizielle | |
Auskunftsmöglichkeit, welche Organisationen „meldeberechtigte Stellen“ | |
sind. Betroffene wüssten daher nicht einmal, an wen sie sich wenden können, | |
kritisiert Bünger. Eine Aufnahmeanordnung fehlt nach wie vor. | |
Was in Zeiten dieser Unsicherheiten floriert, sind Betrügereien. Ein Fall | |
führt von Kabul bis nach Kassel. Dort hat der Inhaber eines | |
Lebensmittelgeschäfts offenbar 10.180 US-Dollar über das informelle | |
Zahlungssystem Hawala in Empfang genommen. Für diese Summe sollte eine | |
afghanische Familie eine Verpflichtungserklärung für deutsche Visa | |
erhalten. | |
Doch nach der Zahlung hätten die Kontaktpersonen – zwei afghanische Männer | |
– auf keine Nachricht mehr reagiert, schildert ein Betroffener. Jan | |
Oelbermann, Oberstaatsanwalt und Sprecher der Staatsanwaltschaft Bochum, | |
bestätigt, dass im geschilderten Sachverhalt bereits ein Verfahren wegen | |
Urkundenfälschung gegen zwei Personen durchgeführt werde, die nach | |
„hiesiger Erkenntnis“ strafrechtlich nicht vorbelastet seien. | |
## Fälschung mit echten Daten | |
Die Betrüger verwendeten eine gefälschte Verpflichtungserklärung mit echten | |
Daten. Die taz hat den angeblichen Verpflichtungsgeber kontaktiert, ihm ein | |
Foto der Erklärung zugesandt. „Das habe ich ausgefüllt“, schreibt er, sei… | |
Ausweisdaten seien allesamt korrekt. „Ich habe das aber nicht für | |
irgendeine Familie gemacht, sondern für meine Mutter“, erklärt er am | |
Telefon. Die habe er seit mehr als sieben Jahren nicht gesehen, wollte sie | |
für einen Besuch nach Deutschland einladen. „Ich kann nicht zu ihr nach | |
Afghanistan reisen, das ist zu unsicher“, sagt er. | |
Das Visum sei trotz Verpflichtungserklärung abgelehnt worden aus Sorge, die | |
Mutter könne dauerhaft in Deutschland bleiben wollen. Dass sich nun jemand | |
das Formular zunutze macht, macht ihn fassungslos: „Ich bin mit meinen | |
Dokumenten eigentlich vorsichtig und lasse sie nicht irgendwo herumliegen.“ | |
Wenig später meldet er sich noch mal: Er wolle Anzeige erstatten – wegen | |
Missbrauchs seiner Daten. | |
Mit deutschen Sprachkenntnissen ist die Fälschung trotz echter | |
Personendaten eindeutig erkennbar. Das bestätigt auch Peter van Dyk von der | |
Pressestelle der Stadt Bochum, der der Vorgang bereits bekannt ist, da dort | |
angeblich das Formular gezeichnet und gestempelt wurde. Zusätzlich zu | |
Schreibfehlern, unterschiedlich langen Hintergrundlinien, einer gefälschten | |
Seriennummer und der Nennung einer falschen Behörde weicht die angebliche | |
Gebühr stark ab: 1.399 Euro soll diese betragen haben. Tatsächlich liege | |
sie bei 29 Euro, so van Dyk. Die übrige Summe, die die betroffene Familie | |
überweisen sollte, wurde mit hohen Flugpreisen gerechtfertigt. Auch die | |
digitalen Flugtickets bei Qatar Airlines entpuppten sich als Fälschung, | |
schildert der Betroffene. | |
Während diese Betrüger auf eine existente Vorgehensweise setzen, erfindet | |
die Organisation IOMA (taz berichtete) schlichtweg ein Verfahren: 400 | |
Dollar pro Person sollen sogenannte Verification Letter kosten, die Zugang | |
zum europäischen Asylsystem verschaffen würden. Ein Betroffener berichtet | |
per Messenger: „Ich war zusammen mit meiner Frau im Büro von IOMA. Der | |
Leiter sprach persönlich mit uns. Zunächst verschickte er für uns eine | |
E-Mail an deutsche Organisationen, dann sagte er, wir müssten jetzt etwas | |
bezahlen.“ Seltsam sei ihm dies erschienen – besonders, als besagter Leiter | |
sich weigerte, eine Vereinbarung über seine Leistung für die hohe Summe zu | |
verschriftlichen. „Wir sind dann gegangen“, so der Familienvater. | |
Ein weiterer Betroffener berichtet, ihm sei am Telefon gesagt worden, es | |
handle sich um humanitäre Hilfe und die sei selbstverständlich kostenlos. | |
Vor Ort sei dann aber eine Gebühr verlangt worden. Die genaue Summe habe er | |
sich nicht nennen lassen, sondern auf dem Absatz kehrtgemacht. | |
28 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lena Reiner | |
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