# taz.de -- Nach Hausbesetzung in Hannover: Verhärtete Fronten | |
> Aktivist*innen kritisieren den massiven Polizeieinsatz, mit dem am | |
> Wochenende die Hausbesetzung auf dem „Bumke“-Gelände beendet wurde. | |
Bild: Wurde später gewaltsam aufgelöst: Demo auf dem Abrissgelände in der ha… | |
HANNOVER taz | Seit zwei Jahren kämpft die Initiative „Bumke selber machen“ | |
in der hannoverschen Nordstadt um preisgünstigen Wohnraum auf dem | |
Grundstück des ehemaligen Sanitär- und Elektrogroßhandels „Bumke“. [1][Am | |
Samstagmittag] hat sich dort eine größere Gruppe Menschen verschiedenster | |
Initiativen versammelt. Jung und alt, bürgerlich und autonom sind gekommen. | |
Zwei ziehen das Tor zu einer Baustelle auf. Seit Anfang Oktober laufen hier | |
auf dem 8.200 Quadratmeter großen Grundstück die Abrissarbeiten. | |
Günstiger Wohnraum sei in einem Neubau besser realisierbar, hieß es vom | |
Investor Gerlach gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Wie die | |
Bebauung des Geländes genau aussehen wird, ist noch nicht entschieden. Ein | |
Mix aus Eigentums-, Miet- und steuersubventionierten, „preisgedämpften“ | |
Wohnungen sei geplant. Fragen der taz ließ Theo Gerlach bis | |
Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
„Bumke selber machen“ kämpft dagegen dafür, das 1955 errichtete Haus zu | |
erhalten und umzunutzen. Auf der [2][Website der Initiative] heißt es, es | |
gebe ein hohes Potenzial, hier preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. Die | |
Gruppe erstellte ein Alternativkonzept, rief zu Demos auf und verteilte | |
Flyer. | |
Zuvor hatte der Investor ein Bürger*innenbeteiligungsverfahren | |
initiiert. Doch Anwohner*innen, „Bumke selber machen“ und sogar der | |
ehemalige Oberbürgermeister-Kandidat der CDU, Eckard Scholz, erteilten dem | |
eine Absage. „In dem Moment, wo Sie das ganze Verfahren in die Hand eines | |
Investors geben, ist der Weg natürlich vorgezeichnet“, wird Scholz im | |
Alternativkonzept zitiert. | |
## Gezogene Schlagstöcke | |
„Investor*innen stoppen – Nordstadt für alle erkämpfen“, steht am Samst… | |
hoch über der Straße auf einem Banner am Haus. Von innen heißt es über | |
einen Lautsprecher: „Wir besetzen diesen Raum.“ Und weiter: Ziel der Aktion | |
sei es, „gegen die fortschreitende Gentrifizierung zu protestieren und | |
soziokulturellen Raum selbst zu gestalten“, deshalb solle eine | |
Stadtteilversammlung im Gebäude stattfinden. | |
„Befristete Preisbindungen sind ein Fehler im System,“ sagt ein | |
Mietrechtsaktivist von der Initiative Nordstadt Solidarisch, die sich auch | |
an der Aktion beteiligt. Verdrängung sei dabei vorprogrammiert. „Bisher | |
stand die Politik zahm und zahnlos an der Seite der Investor*innen. Jetzt | |
heißt es selber machen“, meint die Pressesprecherin der Besetzer*innen. | |
Nach einer Viertelstunde sammeln sich langsam erste Schaulustige. | |
Eine Anwohnerin ist mit ihrem Fahrrad zu der Besetzung gekommen. „Es hat ja | |
Versuche gegeben mitzubestimmen, aber der Stadtteil wurde nicht wirklich | |
eingebunden“, sagt sie. Nach einer Dreiviertelstunde kommen zwei | |
Hundertschaften und drei Wasserwerfer der Polizei zum Bumke-Gelände. Etwa | |
50 Polizist*innen laufen mit gezogenem Schlagstock auf die Kundgebung | |
vor dem Gebäude zu. Man habe eine Rauchentwicklung aus dem Inneren des | |
Gebäude wahrgenommen und wollte den Weg für die anrückende Feuerwehr | |
freimachen, heißt es später im Pressebericht der Polizei. Vor Ort habe sich | |
herausgestellt, dass es sich um Pyrotechnik handelte. | |
Einzelne Vermummte beginnen vor der anrückenden Polizei Warnbaken und | |
Steine auf die Straße zu werfen. Zwanzig Aktivist*innen stellen sich | |
vor das große Eingangstor. An einer Tür des Hauses kommt es zu einem | |
Handgemenge. Eine Person wird zu Boden gebracht, dabei stolpert ein | |
Polizist und die Situation eskaliert. Zwei Beamte fixieren einen | |
Aktivisten. Einer kniet erst auf dessen Genick, dann minutenlang auf dessen | |
Kopf. Als der Verhaftete in Handschellen aufgesetzt wird, sackt sein Körper | |
zusammen und er verliert das Bewusstsein. Mit leichten Verletzungen wird er | |
in ein Krankenhaus gebracht. | |
Währenddessen huschen die Besetzer*innen nach und nach aus dem Gebäude, | |
einige ältere sind dabei. Die Aktivist*innen dürfen zum Großteil ohne | |
Personalienfeststellung gehen. Die Stadtteilversammlung und eine Kundgebung | |
gegen das Vorgehen der Polizei finden daraufhin an der Lutherkirche statt. | |
Zeitgleich durchsucht die Polizei das “Bumke“-Haus, trifft aber niemanden | |
mehr an. „Auch wenn die Besetzung nur von kurzer Dauer war, haben wir | |
zeigen können, dass wir uns das Recht auf eine öffentliche Begehung selbst | |
nehmen“, schreibt die „Bumke“-Initiative in einem Resümee. | |
Es wird wegen Haus- und Landfriedensbruchs sowie Widerstandes gegen | |
Vollstreckungsbeamte ermittelt. Ein Beamter sei schwer verletzt worden, | |
heißt es im Pressebericht der Polizei. Details will die Pressestelle nicht | |
nennen. | |
Eine Polizeisprecherin bestätigt der taz telefonisch, dass ein Polizist bei | |
einer Verhaftung auf dem Kopf eines Aktivisten gelehnt habe. „Die Maßnahme | |
war verhältnismäßig“, so die Sprecherin. Von den Besetzer*innen heißt es | |
dagegen, die Polizeigewalt sei symptomatisch. „Sobald Mieter*innen die | |
Wohnungspolitik nicht kritiklos hinnehmen und sich selbst ermächtigen | |
wollen, stehen gewaltbereite Polizist*innen bereit“, schreiben sie in | |
einer Pressemitteilung. | |
[3][Bereits vor einem Jahr hatten Aktivist*innen in Hannover ein | |
leerstehendes städtisches Gebäude besetzt.] Sie öffneten eine | |
Bedürftigenunterkunft aus den 1920er-Jahren in der Schulenburger | |
Landstraße, um diese Wohnungslosen zur Verfügung zu stellen. | |
Auf diese Besetzung bezogen sich Aktivist*innen auf dem Bumke-Gelände | |
und bekannten sich dazu, auch daran beteiligt gewesen zu sein. Auch damals | |
intervenierte die Polizei nach kurzer Zeit. Ein Großteil der Verfahren | |
wegen Hausfriedensbruchs wurde allerdings mittlerweile eingestellt, heißt | |
es von der Staatsanwaltschaft Hannover. Der Leerstand werde nun an das | |
Wohnungsunternehmen Hanova verkauft, erklärt die Stadt. Dort solle dann | |
eine Wohnmöglichkeit für Obdachlose geschaffen werden. Die Hanova will sich | |
vor Abschluss der Verhandlungen zu künftigen Plänen allerdings nicht | |
äußern. | |
Bei dem Gebäudekomplex in der Schulenburger Landstraße handelt es sich nur | |
um einen von mindestens vier städtischen Leerständen. Das zeigt eine jüngst | |
vom „Arbeitskreis kritische soziale Arbeit“ (AKS) veröffentlichte | |
Recherche. | |
Eine Durchsicht der Drucksachen der städtischen Verwaltung habe ergeben, | |
dass Beschlüsse, diese Gebäude als Unterkünfte für Wohnungslose zu nutzen, | |
zum Teil schon mehrere Jahre zurück lägen. Renovierungsmaßnahmen hätten | |
zwar zum Teil begonnen und seien auch fertiggestellt, genutzt würde | |
allerdings keines der Gebäude. | |
„Wir fordern, dass die Stadtverwaltung offen und transparent erklärt, wieso | |
Wohnraum für 200 Menschen über Jahre leer steht und verwahrlost, während | |
Menschen auf der Straße leben“, schreibt der AKS als Fazit seiner | |
Recherche. | |
Die Stadt Hannover schreibt auf Anfrage der taz, es sei geplant auch die | |
anderen leerstehenden Gebäude „für die Belange Obdach- und Wohnungsloser zu | |
verwenden“. So soll unter anderem eine Unterbringung für 90 Personen mit | |
Einzelzimmern entstehen, ein Wohnprojekt für Obdachlose mit bis zu 40 | |
Wohnungen und eine Verbesserung des „Mecki“-Tagesaufenthalts in der | |
Innenstadt. Lediglich hier ist eine Eröffnung in 2023 oder 2024 zu | |
erwarten. Bei den anderen Projekten heißt es von der Stadt, der genaue | |
Fertigstellungszeitpunkt könne aktuell noch nicht genannt werden. | |
7 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Hausbesetzung-in-Hannover/!5820450 | |
[2] https://www.facebook.com/bumkeselbermachen/ | |
[3] /Obdachlos-in-Zeiten-der-Pandemie/!5731050 | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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