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# taz.de -- Nach Fälschungsskandal beim „Spiegel“: Morbus Seifenoper
> Relotius, bekannt als Reportagenfälscher, wirft Juan Moreno
> Ungenauigkeiten vor. Der Vorgang erzählt wenig über die Schwächen des
> Journalismus.
Bild: Gute Zeiten, schlechte Zeiten – Spiegelzentrale in Hamburg
Ein bisschen haben ja alle darauf gewartet. Auf die nächste Wendung im
Medienthriller „Die Causa Relotius“. Es war Dezember 2018, da gab der
Spiegel bekannt, dass ihr Reporter Claas Relotius mehrere Jahre
[1][gefälschte Reportagen an den Spiegel und andere Medien verkauft],
Protagonisten und Szenen erfunden hatte. Damit blieb er auch lange Zeit
unentdeckt – bis sein Kollege Juan Moreno den Betrug aufdeckte.
Für den Spiegel, ja die gesamte Medienbranche, war das eine der größten
Blamagen überhaupt. In einem Kommissionsbericht des Spiegel-Verlags hatte
man im Mai dieses Jahres versucht, Gründe zu erörtern und Strukturen zu
hinterfragen, die Relotius den Weg für seine Fälschungen bereitet hatten.
Und weil das nicht genug Aufdeckung war, schrieb Moreno, der von manchen
als Held dieser Geschichte gefeierte, über die Hintergründe dann auch noch
ein Buch, Titel: „Tausend Zeilen Lügen. Das System Relotius und der
deutsche Journalismus“.
Bislang hatte Relotius zu den Vorwürfen geschwiegen. Was wäre auch zu sagen
gewesen, das ihn nicht in ein noch schlechteres Licht gerückt hätte. Doch
nun, wo es darum geht, sich gegen seinen Enthüller Moreno stellen zu
können, äußert er sich doch. Es folgt also „Die Causa Relotius“, Staffel
zwei. [2][Am Mittwoch veröffentlichte die Zeit einen Bericht], geschrieben
von Textchef Christof Siemes, in dem Relotius sich zum ersten Mal
persönlich zu Wort meldet.
Darin wirft er, vertreten durch den bekannten Medienanwalt Christian
Schertz, Moreno vor, in seinem Buch an mehr als 20 Stellen „erhebliche
Unwahrheiten und Falschdarstellungen“ zu verbreiten. Dabei geht es unter
anderem um solch wunderbar unwichtige Kleinigkeiten wie die Frage, ob
Relotius in seiner Zeit beim Spiegel jeden Mittag mit Kolleg*innen zum
Mittagessen ging oder vielleicht doch seltener. Oder wie viele
Journalistenpreise Relotius eigentlich gewonnen hat: 40 oder doch nur 19?
## Klagedrohung gegen Rowohlt
Natürlich darf man nicht vorenthalten, dass manche Vorwürfe weitaus
schwerwiegender sind. Es geht letztlich um die Frage, wie viele Fehler sich
in Morenos Buch geschlichen haben und welche davon auf Hörensagen,
schlechter Recherche oder Unwahrheiten beruhen. Anwalt Schertz hat für
seinen Mandanten Relotius deshalb eine Unterlassungserklärung an Moreno und
seinen Verlag Rowohlt Berlin verschickt.
Dazu sagte Relotius gegenüber der Zeit: „Ich bin mir meiner eigenen großen
Schuld bewusst und will durch die Auseinandersetzung mit diesem Buch nicht
davon ablenken. Ich stelle mich allem, wofür ich verantwortlich bin, aber
ich muss keine unwahren Interpretationen und Falschbehauptungen von Juan
Moreno hinnehmen. Ohne mich persönlich zu kennen oder mit Menschen aus
meinem näheren Umfeld gesprochen zu haben, konstruiert Moreno eine Figur.“
Wirkt so jemand, der sich wirklich seiner Verantwortung stellt?
Es ist natürlich richtig zu verlangen, dass in einem Bestseller, der sich
an einem Fälscher abarbeitet, die Fakten stimmen. Die Frage ist also
weniger, ob der Journalismus am Ende ist oder wer schwerwiegendere Fehler
gemacht hat, sondern vielmehr, wieso das Lektorat an dieser Stelle versagt
hat. Relotius Äußerungen in der Zeit zum Anlass zu nehmen, Moreno zu
diskreditieren, ist hingegen der falsche Ansatz.
Was fängt man mit diesem unerwarteten Plot Twist nun an? Unter
Journalist*innen wird seit Mittwoch wieder diskutiert: Wer ist der
schlimmere Fälscher, Moreno oder Relotius? Wie glaubwürdig ist Moreno
überhaupt? Und ist die Branche noch zu retten? Vorsicht, möchte man da
rufen, Relotius Äußerung zum Anlass zu nehmen, erneut große Fragen an den
Journalismus zu stellen, ist gefährlich. Denn was hier nun passiert ist,
hat weniger mit strukturellen Fehlern in der Medienbranche als mehr mit dem
Versuch eines verzweifelten Relotius zu tun, aus Kränkung nachzutreten.
Der letzte Satz im Bericht der Zeit von Christof Siemes lautet: „Vor der
Ansteckungsgefahr, die offenbar vom Morbus Relotius ausgeht, scheint selbst
Juan Moreno nicht ganz gefeit zu sein, jener Mann, der sich zutraute, die
Diagnose zu stellen.“ Dass man sich mit solchen platten Metaphern zum
Mitspieler in der Seifenoper von Relotius macht, ist nicht zu übersehen.
24 Oct 2019
## LINKS
[1] /Faelschungsskandal-beim-Spiegel/!5560301
[2] /Nach-Faelscher-Skandal-beim-Spiegel/!5635848
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
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Investigativer Journalismus
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