| # taz.de -- Michael-Jackson-Ausstellung in Bonn: Projektion eigener Perversionen | |
| > In Bonn eröffnet eine umstrittene Ausstellung zu Michael Jackson. „On the | |
| > Wall“ zeugt von einer tiefen Wertschätzung für den King of Pop. | |
| Bild: „On the Wall“ ist eine prunkvolle Pop-Überwältigung | |
| Bonn taz | All diese Augen! Dies ist nicht nur der Titel einer Arbeit von | |
| Louise Lawler, die in der Ausstellung „On the Wall“ ab heute in der Bonner | |
| Bundeskunsthalle zu sehen ist. All diese Augen waren auch zeit seines | |
| Lebens auf Michael Jackson gerichtet. Und nun sehen all diese | |
| Michael-Jackson-Augen dich an, man ist förmlich umzingelt von ihnen, es ist | |
| schon ein bisschen spooky; zum Teil sind seine Augen sogar freigestellt, | |
| auf Bettpfosten gedruckt und in Videoarbeiten montiert, blicken und | |
| blinzeln Jacksons Augen ohne ein Drumherum, kontextlos, denn Augen können | |
| bekanntlich nicht lügen. Oder können sie? | |
| Noch auf dem Weg zur Ausstellung, noch unter dem Eindruck einer allerdings | |
| eher flüchtigen Betrachtung der unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt nur | |
| schwer erträglichen Skandal-Dokumentation [1][„Leaving Neverland“] (sowie | |
| flankierender Diskussionen), schien mir der einzig mögliche Modus, sich | |
| durch diese Ausstellung zu bewegen, der des ratlosen Eierns. Sehe ich einen | |
| Wolf? Sehe ich ein Lamm? Einen Lammwolf? Man weiß es einfach nicht. So | |
| bekannt, so durchleuchtet, und doch so enigmatisch. | |
| Dieses eiernde Gefühl legt sich bei der Begehung allerdings schnell und | |
| weicht einer Art prunkvollen Pop-Überwältigung – die Ausstellung ist | |
| überaus üppig, viele der gezeigten Werke verwenden jene Insignien und | |
| Materialien des Glamours, die auch den Künstler selbst stets zierten: | |
| Gold(-farbe), Porzellan, Brokat und andere edle Stoffe, | |
| Discokugel-Spiegelmatten (bei Isa Genzken), viel Großes, sogar Ölschinken, | |
| opulente Videos. | |
| „On the Wall“ ist ja keine Ausstellung über Michael Jackson, es werden | |
| keine Trophäen oder Reliquien gezeigt, seine Figur wird auch nicht | |
| investigativ erforscht, seine Geschichte nicht erzählt, außer eben in den | |
| höchst individuellen und subjektiven künstlerischen Positionen, die hier | |
| versammelt sind. Kunst von KünstlerInnen über einen Künstler. | |
| ## Monster-Michael ist höchst profitabel | |
| Es wird sehr schön deutlich, dass die Figur Jackson – Genie, | |
| Schmerzensmann, öffentliches Monster und so weiter – über Generationen | |
| hinweg eine besondere Bedeutung, eine spezielle Faszination nicht nur für | |
| Popmusiker*innen, sondern eben auch und gerade für bildende Künstler*innen | |
| hatte. Künstler*innen, so zeigt sich, zeichnet oft die besondere Gabe aus, | |
| Dinge aushalten zu können, bei denen andere kapitulieren: Widersprüche | |
| etwa, unklare Verhältnisse, extreme Spannungen, potenzielle Abgründe. Viele | |
| der gezeigten Künstler*innen bekennen sich als Fans; praktisch jede*r zeigt | |
| kollegiales Mitgefühl mit einem (von uns), einem Künstler, der mehr | |
| auszuhalten hatte, als die meisten von uns stemmen könnten (und er ja | |
| letztlich auch nicht). | |
| Es scheint das alte Diktum des schwarzen US-Comedians [2][Dave Chappelle] | |
| (nicht zu verwechseln mit dem Fotografen David LaChapelle, der hier mit den | |
| denkbar monumentalsten Heiligenbildern vertreten ist) auch weiterhin und | |
| posthum zu gelten: Wann immer Großprobleme die Menschen zu sehr drücken, | |
| Kriege, klerikale Krisen, Katastrophen, wenden sie sich Michael Jackson zu | |
| und machen ihn zum Monster, zur „Projektionsfläche unserer eigenen | |
| Perversionen“ (so einer der Bildtexte). | |
| Den größten schwarzen Musiker aller Zeiten noch im Jenseits zu zerstören | |
| ist nicht nur ein attraktives rassistisches Projekt; es ist auch äußerst | |
| profitabel. Monster-Michael generiert mehr Auflagen, Klicks, Filmbudgets | |
| als jede Ehrenrettung. Auch „On the Wall“ mag von diesem Effekt | |
| unbeabsichtigt profitieren; gleichzeitig wird in aller Imposanz deutlich, | |
| dass Jacksons pop-ikonische Überlebensgröße nicht so einfach kleinzukriegen | |
| ist. | |
| Die Kunsthalle thematisiert im Übrigen die Frage des Missbrauchs in | |
| betreuten Führungen und Gesprächsveranstaltungen ganz deutlich, ohne dass | |
| sie zum dominierenden Aspekt der Schau wird. | |
| 21 Mar 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Dokumentation-Leaving-Neverland/!5579077 | |
| [2] /Dave-Chappelle-im-Friedrichstadt-Palast/!5481602 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans Nieswandt | |
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