# taz.de -- Pop: Deutschland sucht den Super-Jacko | |
> Wenn Fan-Tum zur Kunst wird: 16 Bewunderer huldigen ihrem Idol Michael | |
> Jackson - in der Videoinstallation "King" von Candice Breitz. | |
Bild: Oh yeah: I'm baaad! I'm baaad!!!! | |
Der Beat des King of Pop schleicht sich langsam an, wie ein Geschöpf der | |
Nacht. Noch ist Zeit, um sich locker zu machen. Rames zählt mit dem rechten | |
Bein den Takt an. Manuela nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche. Rico | |
spielt ein paar Posen durch - zwischen Sexmachine und Zombie. Der Beat | |
gewinnt an Fahrt. Die Köpfe nicken, die Körper zucken. Und dann bricht es | |
los: "Uuuuuuuh - Its close to miiiidnight", brüllen Rames, Manuela, Rico | |
und 13 andere Michael-Jackson-Fans synchron. Na gut, fast synchron. | |
Nein, das ist nicht der x-te Aufguss von "Deutschland sucht den Superstar". | |
Rames, Manuela und Rico sind Teil eines Kunstwerks der südafrikanischen | |
Videokünstlerin Candice Breitz. "King" heißt die Arbeit. King wie der King | |
of Pop. Vor zwei Jahren bat Breitz, 16 deutsche Michael-Jackson-Fans zu | |
Einzelaufnahmen in ihr Berliner Studio. Jeder Fan sollte vor laufender | |
Kamera Jackos "Thriller"-Album noch einmal neu einsingen, von der ersten | |
bis zur letzten Note. Aufgenommen wurden nur die Stimmen der Fans, nicht | |
die Begleitmusik. "King" ist die Summe dieser Sessions - eine 16-teilige | |
Video-Simultanprojektion. "Thriller" als A-capella-Fanchor. Eine Hommage. | |
Oder doch peinliche Selbstentblößung? Auf jeden Fall ist "King" nun zum | |
ersten Mal in Europa zu sehen, ab dem 25. Mai bei der Ausstellung "Made in | |
Germany" im Kunstverein Hannover. | |
Breitz selbst bezeichnet ihre Videoarbeit als ein "Porträt" von Michael | |
Jackson. "Wir haben nach sehr, sehr überzeugten Fans gesucht", sagt die | |
Künstlerin. Es gab ein aufwändiges Auswahlverfahren. Die meisten der | |
Projektteilnehmer hören Jacksons Songs seit ihrer Kindheit. Rames hat als | |
Achtjähriger zu "Dirty Diana" Legoraumschiffe gebaut. Rico war fünf, als er | |
das "Remember the Time"-Video im Fernsehen sah und sich in Jackos goldenes | |
Outfit verguckte. Manuela, geboren 1958 - "im gleichen Jahr wie Michael | |
Jackson" -, wuchs in Ostberlin auf und hörte die Jackson Five auf dem Ami- | |
Soldaten-Sender AFN. | |
"Inside a killer thriller tonight, yeah!" Im "King"-Video dreht Rico | |
Richter nach dem ersten Refrain eine Pirouette und legt einen erstklassigen | |
Moonwalk hin. Ruckt mit dem Kopf wie ein Roboter. Den Moonwalk hat ihm sein | |
Vater beigebracht. 1997 in einem italienischen Hotelflur. Minuten bevor | |
Rico, damals neun, bei einer Talentshow zu einem Michael-Jackson-Song | |
tanzte. Heute hat er nicht nur den Moonwalk, sondern auch den Sidewalk | |
perfektioniert. Sein Doppelleben als Jacko-Double sieht man dem 18-jährigen | |
Auszubildenden einer Elektronikmarktkette trotzdem nicht an. Gut, da sind | |
die braunen Augen, die langen Wimpern, der schlanke, androgyne Körper. Doch | |
seine schwarzen Haare trägt er kurz. Dazu Rautenmuster-Pullover. | |
"Indie-Style", sagt der Junge aus Berlin-Hellersdorf, der auch gerne | |
Morrissey und Joy Division hört. Nur wenn er zu den ersten Takten von | |
"Billie Jean" den Hut in die Stirn schiebt und im Wohnzimmer zwischen den | |
Flokati-Teppichen moonwalkt, dann glaubt man den King of Pop vor sich zu | |
sehen. | |
Breitz Kunstwerk lebt von Menschen wie Rico. Den Hardcore-Fans. Für den | |
Videodreh hat sich Rico vor jedem Song umgezogen. Rund 20 Jacken hat er im | |
Kleiderschrank: Die "Heal the World"-Jacke aus schwarzem Leder mit blauen | |
Pailletten und Nieten. Die "History"-Jacke aus blauer Seide. Richter Senior | |
näht sie auf der alten Singer-Nähmaschine. | |
Ricos erster größerer Auftritt war 2001 im Einkaufszentrum von Hellersdorf. | |
Danach hat Rico auf so ziemlich jedem Straßenfest zwischen Hohenschönhausen | |
und Mahlow performt, und einmal sogar im Palast der Republik. Heute | |
verdient er schon mal 300 Euro bei einem Auftritt. "Bei Rico war nie das | |
Geld wichtig, sondern dass er die Leute begeistert hat", sagt die Mutter. | |
Seinen persönlichen Höhepunkt hat Rico wohl schon erlebt. 2002, als Michael | |
Jackson im Berliner Adlon logierte. Da hat Rico vor dem Hotel getanzt. | |
Vater Richter hatte schnell noch einen dicken Ghetto-Blaster gekauft. Die | |
Fans jubelten, und irgendwann kam der King of Pop himself auf den Balkon. | |
Hat Rico die geballte Faust mit aufgerichtetem Daumen entgegen gestreckt. | |
Thumbs-up. Der Ritterschlag. "Ich finde das toll, dass der Rico das kann", | |
sagt die Mutter. "So vor fremden Leuten tanzen. Ich würd mich das im Leben | |
nicht trauen." | |
Dieses Trauen, dieser Schritt der Selbstüberwindung ist es jedoch gerade, | |
der Breitz "King" zu einem derart aufwühlenden Kunstwerk macht. | |
Bühnentieren wie Rico fällt es natürlich leichter, aus sich herauszugehen. | |
Andere, schüchternere Typen hatten mit den Aufnahmen offensichtlich größere | |
Probleme. Und trotzdem ist es eine kleine Armee, die hier für den King of | |
Pop tanzt, singt und brüllt. Die Gänsehaut, die den Betrachter vor der | |
Videoprojektion überkommt, liegt weniger an der gelegentlichen Disharmonie, | |
sondern an der Vehemenz der ausgedrückten Gefühle. "Ein Popstar ist wie ein | |
Spiegel, in dem sich die kollektiven Wünsche und Fantasien seiner Fans | |
spiegeln", erklärt Candice Breitz. "Michael Jackson wird in seiner | |
Abwesenheit porträtiert - als eine Summe der fortgeschrittenen Projektionen | |
der Fans, die ihn überhaupt erst zum Star gemacht haben." Es sind | |
Projektionen, die sich aus ungewöhnlichen Biografien speisen. | |
"Theyre out to get youuu / Theres demons closing in on every side." Im | |
"King"-Video tanzt und singt Manuela Köllner schon seit drei Minuten wie in | |
Trance. Wenn sie den Song hört, kommt ihre Wut zurück. Sieht sie wieder | |
alles vor sich. Den Hauptmann. Und die "Wachteln" - die jungen | |
Gefängniswärterinnen, die sie schikaniert haben. Die Ungerechtigkeit. "Ich | |
habe meine Strafe als zu hart empfunden", sagt sie. | |
Drei Jahre hatte ihr der Richter aufgebrummt. Fast drei Jahrzehnte ist das | |
jetzt her. Sie sitzt im Hugos, dem Café am Treptower Park, in dem sie | |
früher als Kellnerin gearbeitet hat, und während sie erzählt, wird ihre | |
heiße Schokolade langsam kalt. Sie erzählt vom "Roten Ochsen", dem | |
Strafvollzug in Halle. Ein Höllenloch. "Wir wurden die ganze Zeit | |
drangsaliert", sagt Manuela. 18 Frauen in einer Zelle. Keine Privatsphäre. | |
Sie schuftete in der Wäscherei im Schichtbetrieb. Ihre einzige Ausflucht | |
war das Tanzen. Sie wurde für eine Showtanztruppe ausgewählt. Sechs Frauen. | |
"So ungefähr wie im Friedrichsstadtpalast." Zwei Stunden Training pro Tag. | |
Ein Privileg. Sie traten vor anderen Gefangenen und vor Delegationen aus | |
sozialistischen Bruderländern auf. "Wir waren das Vorzeigeobjekt", sagt | |
sie. An ihnen sollte der Erfolg der sozialistischen Resozialisierung | |
demonstriert werden. | |
1982 bringt Michael Jackson "Thriller" heraus. Das kriegen sie sogar im | |
"Roten Ochsen" mit. Köllner fragt den Kulturoffizier, ob er nicht die LP | |
besorgen könne. Am nächsten Tag ist das Album da. So wird der King of Pop | |
zum Teil ihres Lebens. "Michael Jackson hat mich im Gefängnis aufrecht | |
gehalten. Er hat mich in eine andere Welt versetzt", sagt sie heute. Sie | |
studieren die Songs ein. "Thriller" wird zum "Lied vom Tod" - sie tanzt im | |
schwarzen Umhang. Nach einer Weile hat sie selbst Fans. "Wenn man tanzt, | |
ist man ein anderer Mensch", sagt sie. "Man lebt nur noch in der Musik." | |
Lange Zeit wusste sie nicht genau, wozu sie eigentlich tanzte. Die | |
Songtexte hat Manuela, die heute in Berlin Touristen führt, erst richtig | |
gelernt, als sie zu den Filmaufnahmen eingeladen wurde. Für Manuela war ihr | |
Auftritt vor der Kamera auch Ausdruck ihrer Verehrung: "Michael Jackson ist | |
für mich der größte Künstler überhaupt", sagt sie. "Klar hat er wegen | |
seiner schwierigen Kindheit einen Knacks weg, aber welcher Künstler hat das | |
nicht?" | |
Das ist die typische Hal- tung eines Michael-Jackson-Fans. Während die | |
Medien im Kreuzfeuer gerne das grobe Kaliber verwenden, versuchen sie, | |
feiner zu differenzieren. 2005, als Breitz ihr Video drehte, stand der King | |
of Pop gerade in den USA wegen sexueller Belästigung eines Kindes vor | |
Gericht. Im Juni desselben Jahres wurde er freigesprochen. "Einige | |
Projektteilnehmer haben mir damals gesagt, dass sie ein Statement 'für | |
Michael' machen wollen", sagt Breitz. | |
Ein Statement "für Michael": Hier verschiebt sich das fest gefügte | |
Machtverhältnis zwischen aktiv auftretendem Star und passiv konsumierenden | |
Fan. "Es gibt in meiner künstlerischen Arbeit die zentrale Dichotomie | |
zwischen den Somebodies und den Nobodies", erklärt Breitz. In "King" werden | |
die Nobodies, die Fans, für einen Augenblick larger than life. Sie nutzen | |
die Musik des "King of Pop", um vor der Kamera etwas über sich selbst zu | |
erzählen. So überwinden sie die Dichotomie und nähern sich ihrem Idol an. | |
Diese Demokratisierung des Ruhms, diese Subjektivierung der Fans findet in | |
vier Videoarbeiten von Breitz statt. Neben "King" gibt es mittlerweile | |
"Portraits" von Bob Marley, Madonna und John Lennon. | |
Oft sind die Videos der 1972 geborenen Wahlberlinerin deutliche | |
Emanzipationsgesten gegenüber den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie: | |
Für die Arbeiten "Mother" und "Father" zerschnipselte Breitz Sequenzen aus | |
Hollywood-Familiendramen, in denen Stars wie Meryl Streep, Diane Keaton | |
oder Dustin Hoffman auftreten, und setzte sie nach einer neuen Logik | |
zusammen. Die Leinwandeltern sinnieren nun in etwas absurd wirkenden | |
Dialogen über ihre Rollen als Mutter oder Vater. International bekannt | |
wurde die Künstlerin 1999 mit ihrer "Babel Series", in der sie Popstars in | |
die Rolle von Kindern drängte. Filmloops von ultrakurzen Bildsequenzen, in | |
denen die Stars immer wieder dieselbe Silbe singen müssen. Madonna trällert | |
"Pa pa pa pa". Freddy Mercury stottert "Ma ma ma ma". Ein echtes Gebabbel. | |
Infantile Ursprache. | |
"Wir können die Bilder für uns arbeiten lassen, anstatt uns von ihnen | |
bearbeiten zu lassen", erklärt Breitz ihren künstlerischen Ansatz, der der | |
"Appropriation Art" nahe steht. Über Copyrightbestimmungen setzt sich die | |
Künstlerin mit voller Absicht hinweg. "Wer in den großen urbanen Zentren | |
dieser Welt lebt, hat keine andere Wahl, als die kulturellen Produkte des | |
globalen Kapitalismus zu konsumieren", sagt Breitz. In ihrer Appropriation | |
sieht sie ihre legitime Gegenwehr, angesichts der bunten Bilderflut, die | |
ihr aufgedrängt wird. Wer die "Babel Series" gesehen hat, weiß, dass | |
Michael Jackson bei "King" noch gut weggekommen ist. | |
"Darkness falls across the land/ The midnight hour is close at hand." Die | |
Sprechpassagen. Im Video ist der "Thriller"-Song fast zu Ende. Besonders | |
Rames Gouri erweist sich jetzt als profunder Textkenner, er artikuliert die | |
Silben, als wolle er sie in Stein meißeln. Seine Hände akzentuieren die | |
Performance. Fast wie ein Rapper fühlt er jede einzelne Zeile. Mit weißer | |
Jeans und dunklem Sweatshirt gehört der Frankfurter Fluglotse eindeutig | |
nicht zur Jacko-Double-Fraktion. Das ganze Kultgehabe ist ihm eher | |
unwichtig. "Mich interessiert Michael Jackson als begnadeter Entertainer, | |
als großartiger Songschreiber - als Kunstfigur", sagt Rames. Der | |
Privatmensch Jackson interessiert ihn nicht. "Privat ist er vermutlich ein | |
Freak." | |
Der Aura eines King of Pop kann sich jedoch selbst ein so reflektiert | |
sprechender Mensch wie Rames nicht entziehen. Sein schönstes | |
Michael-Jacksons-Erlebnis hatte der 29-Jährige auf der Leipziger Festwiese. | |
History Tour. Da baumelte Jacko nur zwei Meter über ihm. Rames stand in der | |
ersten Reihe. Hat geschrien und geheult. "Wenn dich sein Blick trifft, ist | |
das ein unglaubliches Gefühl", sagt er. "Das geht ganz tief ins Herz rein." | |
So wie Rames trennen viele Fans zwischen der Privatperson Michael Jackson, | |
deren potenzielle Abgründe sie vorgeblich nicht interessieren, und der | |
Kunstfigur, dessen Musik und Tanz sie emotional mitreißt. Vielleicht ist es | |
genau das, was am Ende "King" so bemerkenswert macht. Dass sich hier | |
Menschen selbstbewusst der Öffentlichkeit stellen, die sich wirklich noch | |
mit einem Star identifizieren können. Von der ersten bis zur letzten Note. | |
"Made in Germany". 25. 5.-26. 8. 2007, Di-Sa 12-19, So 11-19 Uhr, | |
Kunstverein Hannover, Sophienstr. 2 | |
25 May 2007 | |
## AUTOREN | |
Tim Ackermann | |
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Michael Jackson | |
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