| # taz.de -- Lockerungen für Breitensport erwartet: Sport nur allein und drauß… | |
| > Der Breitensport liegt brach, es wird viel improvisiert. Berliner Vereine | |
| > fordern eine Lockerung – oder zumindest Gewissheit, wie es weiter geht. | |
| Bild: Sport geht ja auch gut allein – darum joggen immer mehr Menschen durch … | |
| Berlin taz | Bei den Karower Dachsen kann man jetzt Pilates mit Jeanette | |
| machen. Oder Fitness Workout mit Thomas oder Plank Challenge mit Stephanie. | |
| Alles virtuell freilich; dann sitzen TrainerInnen des Breitensportvereins | |
| im Garten vor adrettem Buschwerk und tragen mehr oder weniger Kamera-geübt | |
| ein Sportprogramm zum Mitmachen vor. Das, was man in Großklubs wohl | |
| Kundenbindung nennen würde. | |
| Die Lage im Berliner Sport ist unübersichtlich und mitunter willkürlich; | |
| Schwimmbäder und Fitnessstudios sind zu, Sportanlagen aber teilweise wieder | |
| offen. Sport soll nur zu zweit oder mit Haushaltsangehörigen getrieben | |
| werden, Fußballprofis aber dürfen schon seit einem Monat in Kleingruppen | |
| trainieren. Und Abstandsregeln werden, wie gerade ein Hertha-Kabinenvideo | |
| illustrierte, im Alltag lockerer genommen als auf Papier. | |
| Der Breitensport organisiert sich unterdessen selbst: bei den Dachsen etwa | |
| in privaten WhatsApp-Gruppen, in denen Mitglieder sich zu zweit zum Walken, | |
| Laufen, Spazierengehen verabreden. Die Solidaritätsnetze halten. | |
| „Man merkt mittlerweile, dass der einen oder dem anderen unserer Mitglieder | |
| zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, von psychischen Problemen bis | |
| starken Rückenschmerzen“, erzählt die Vorsitzende Kirsten Ulrich. „Gerade | |
| für die, die allein wohnen, ist Sport eine sehr wichtige soziale Aktivität. | |
| Es leiden aktuell am meisten Alleinerziehende und Alleinstehende.“ | |
| ## Austrittswelle erwartet | |
| Als Breitensportverein leben die Dachse von ihren Mitgliedsbeiträgen. | |
| Austritte habe es schon gegeben, aber noch hofften die Leute, dass es bald | |
| Lockerungen gebe. Wenn nicht, erwartet Ulrich zum 30. 6. eine | |
| Austrittswelle. „Wichtig wäre, dass ein Signal von der Regierung kommt, | |
| dass es ab einem fixen Zeitpunkt Erleichterungen gibt.“ Ein solches Signal | |
| ist für heute angekündigt, Lockerungen erwartbar. Ulrich wünscht sich, wie | |
| so viele, baldiges Training in Fünfer-Kleingruppen. | |
| Ähnlich äußert sich Doris Nabrowsky, Vorsitzende bei Fortuna Marzahn. Der | |
| Verein, der vieles von Leichtathletik über Hockey bis Tischtennis anbietet, | |
| hat beim Bezirksamt bereits einen Antrag auf Kleingruppen-Training in der | |
| Leichtathletik gestellt. „In der Leichtathletik ist es sowieso zwingend, | |
| Regeln einzuhalten, das wird klappen“, so Nabrowsky. | |
| Ob alle Vereine Abstand halten, wenn Menschen einander nach Monaten | |
| wiedersehen und keiner kontrolliert, kann man ohne böse Unterstellung | |
| sowieso bezweifeln. Ist die Distanzierung dann nicht faktisch längst | |
| ausgehebelt, und ist sie überhaupt noch verhältnismäßig? Die | |
| mitgliederabhängige Basis ist um vieles stabiler als die Spitze. Oft geht | |
| es hier vor allem um sozialen Kontakt. | |
| „Wir haben schon etwas Angst, dass die Leute sich, wenn der Sport zu lange | |
| pausiert, vielleicht anders orientieren, gerade die Jugendlichen“, sagt die | |
| Vorsitzende Nabrowsky. Bei Fortuna Marzahn halten sich die Kündigungen | |
| bislang im Rahmen, sogar Neuaufnahmen habe es gegeben. „Nach Corona wird | |
| der Andrang wohl so groß, dass wir damit rechnen, die Verluste kompensieren | |
| zu können.“ | |
| ## Die Saison abbrechen? | |
| In Teamsportarten ist die Lage anders, mit schneller Normalisierung rechnet | |
| niemand. Kai Brandt ist Trainer beim BSV Al-Dersimspor, einem kleinen | |
| Kreuzberger Fußballverein. Auch hier wahrt man Kontakt über Telefon und | |
| WhatsApp. Gleichzeitig schwelt eine größere Diskussion im Berliner Fußball: | |
| Soll die Saison abgebrochen werden? Wie wird gewertet? | |
| Der Verband vertagte die Entscheidung trotz bereits eingeholter | |
| Meinungsbilder auf den 20. Juni. Das wurde heftig kritisiert, viele Klubs | |
| fühlen sich im Regen stehen gelassen. Auch Brandt wünscht sich | |
| Planungssicherheit, äußert aber Verständnis für die Zögerlichkeit. „Es | |
| werden bestimmt Vereine versuchen, zu klagen.“ Er selbst sähe lieber einen | |
| Abbruch. „Die Saison ist gelaufen, niemand weiß, wann wir wieder trainieren | |
| können. Und meine Spieler werden sich wirtschaftlich neu aufstellen und | |
| Geld verdienen müssen, für viele ist der Sport hinten an. Das verzerrt die | |
| Saison und hat mit fairem Wettbewerb nichts mehr zu tun.“ | |
| Gerade in Vereinen mit prekären Umfeldern dürften die Menschen künftig | |
| Dringenderes zu tun haben als Sport. Beim TSV Spandau 1860 indessen haben | |
| sie Ende April eine Meldung zum quartalsweisen Beitrag auf die | |
| Vereinswebseite gestellt. | |
| „Uns ist bewusst, dass es in der gegenwärtigen Situation einigen nicht | |
| leichtfallen wird, diesen zu bezahlen. Im Moment können wir jedoch aus | |
| Satzungsgründen keine Reduzierung oder Stundung erlauben. Würden wir dies | |
| realisieren, würde uns die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.“ | |
| ## Notfallfonds für ÜbungsleiterInnen | |
| Vereinsmanager Michael Pape sagt, er erlebe in der Krise sehr | |
| unterschiedliche Reaktionen. Einige Mitglieder betrachteten den Verein „als | |
| Dienstleister“, die würden als Erstes ihren Beitrag zurückfordern. Ein | |
| anderes Mitglied habe dem TSV Spandau gerade bedingungslos 5.000 Euro | |
| gespendet. Daraus habe der Verein einen Notfallfonds für ÜbungsleiterInnen | |
| gemacht. „Es gibt auch die schönen Geschichten.“ | |
| In Spandau zeigt sich, wie vielleicht die mittelfristige Zukunft des | |
| Breitensport aussieht. Tennis und Bogenschießen finden schon wieder statt, | |
| mit maximal zwei Personen. Im Tennis sind nur Einzel möglich, geduscht wird | |
| zu Hause. Vorherige Digitalisierungsmaßnahmen kommen jetzt dem Verein | |
| zugute: im Tennis läuft eine elektronische Platzbuchung, im Bogenschießen | |
| gibt es eine App, wo sich die Mitglieder in einen Wochenplan eintragen. | |
| Corona-Beauftragte sollen im Falle einer positiven Testung auch daran | |
| nachvollziehen können, wer wann vor Ort war. | |
| „Es ist ein unfassbarer Aufwand“, sagt Michael Pape. Und: „Ich hätte nie | |
| gedacht, dass ich mal 40 Stunden pro Woche Krisenmanagement machen muss. | |
| Ich will mir gar nicht vorstellen, wie Vereine ohne Hauptamt das leisten | |
| sollen.“ | |
| Wie so viele wünscht Pape sich „eine Lockerung mit sinnvollen Auflagen“. | |
| Der Breitensport besteht bislang stabil, aber der ungleiche Sport bleibt | |
| ungleich. Hauptamt und Ehrenamt, Vereine mit Gönnern, Vereine mit | |
| Mitgliedern in Geldnot. Kirsten Ulrich von den Karower Dachsen fasst es so | |
| zusammen: „Mannschaftssport wird sehr leiden, gerade die Sportarten, die es | |
| auch sonst nicht leicht haben. Viele Frauenteams im Leistungsbereich leiden | |
| stärker, weil sie sowieso wenig Sponsoren haben. Und der Sport für Menschen | |
| mit Beeinträchtigung.“ Sportsenator Andreas Geisel hat vergangene Woche | |
| einen Rettungsschirm auch für den Berliner Breitensport angekündigt. | |
| 6 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
| ## TAGS | |
| Sportvereine | |
| Joggen | |
| Kolumne Frühsport | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Fußball | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Pferdesport in Corona-Krise: Dostojewski siegt nicht | |
| Galopprennbahnen wollen in der Coronakrise ohne Preisverleihungen | |
| weitermachen. Auf positive Tests sind sie jedoch nicht vorbereitet. | |
| Neustart für den Profifußball: Politik, ganz kenntnisfrei | |
| Sportminister Seehofer ist für eine Wiederaufnahme der Bundesliga – trotz | |
| des Risikos für Spieler und Fans. | |
| Union-Fanclub zur Fußballkrise: „Ich weiß: Wir kriegen es gebacken“ | |
| Der Verein Eiserner VIRUS hat nichts mit Corona zu tun. Er will den | |
| Zusammenhalt der Unioner stärken, sagt der Vorsitzende Sven Mühle – gerade | |
| jetzt. |