# taz.de -- Libanon und der Nahostkrieg: Hisbollah-Chef meldet sich zu Wort | |
> Hassan Nasrallah spricht sich für den palästinensischen Kampf gegen | |
> Israel aus – aber nicht um jeden Preis. Die libanesische Gesellschaft | |
> atmet auf. | |
Bild: Nasrallah bei seinem ersten TV-Auftritt seit dem Angriff der Hamas auf Is… | |
BERLIN taz | Vier Wochen hatten die Menschen im Libanon seinetwegen [1][im | |
Unklaren gelebt]. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte sich ungewöhnlich | |
ruhig verhalten. Normalerweise hält er bei regionalpolitischen Ereignissen | |
vollmundig Reden, in Kriegszeiten sogar wöchentlich. Übertragen werden sie | |
im TV, im Hisbollah-Propagandakanal. Nicht so nach dem Überfall der Hamas | |
am 7. Oktober und der [2][Reaktion Israels] darauf. | |
Zwar hatte der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati bereits Tage | |
zuvor gesagt, seine Regierung arbeite daran, die israelischen Angriffe zu | |
stoppen und eine Ausweitung des Krieges auf den Libanon zu verhindern. Doch | |
im Libanon weiß man: Es ist Nasrallah, der nie gewählt wurde und kein | |
offizielles Regierungsamt innehatte, auf dessen Worte und Handeln es | |
tatsächlich ankommen würde. | |
Was dann kam, war ebenso untypisch wie das lange Schweigen zuvor: Nasrallah | |
blieb so zurückhaltend, wie es seine Rolle als Generalsekretär der Partei | |
und Miliz Hisbollah zulässt. „Was an unserer Front geschieht, ist sehr | |
bedeutsam“, sagte er nach einer langen rhetorischen Pause zum Ende seiner | |
Rede. „Für diejenigen, die von der Hisbollah eine offene Kriegsführung | |
fordern, mag das, was an der Grenze geschieht, moderat erscheinen, aber das | |
ist nicht der Fall.“ | |
Anstatt eine neue Front anzukündigen, verwies Nasrallah nun darauf, dass | |
der Krieg „rein palästinensisch“ sei. Die internationale Gesellschaft müs… | |
Verantwortung für Kriegsverbrechen tragen. Er forderte sogar eine | |
humanitäre Feuerpause und das Ende des Krieges in Gaza – ungewöhnliche Töne | |
für eine Miliz, die sich selbst als Widerstandsbewegung gegen den Staat | |
Israel sieht. Deshalb vergaß Nasrallah nicht, gleichzeitig zu betonen, | |
seine Miliz stünde bereit, falls Israel die Gefechte auf libanesische | |
Zivilist*innen ausweiten würde. | |
## Erleichterung – und Hohn | |
Die allgemeine Reaktion im Land auf diese Rede: vor allem Erleichterung. | |
Das war zu merken an den Reaktionen in den sozialen Netzwerken, in denen | |
man viel Spott für den Milizenführer übrig hatte. Dessen Partei hatte mehr | |
schlecht als recht gemachte Trailer vor der Rede produziert, um zu zeigen, | |
dass es die bedeutendste Rede seiner Karriere werden könnte. Dramatische | |
Musik, energische Gesten, starker Mann: Der Auftritt passte nicht dazu. | |
Die Hisbollah, schiitische Partei und hochgerüstete Miliz zugleich, hat in | |
den vergangenen Jahren deutlich an Rückhalt im Libanon verloren. Ihr wird | |
die Hauptverantwortung für [3][die Explosion von falsch gelagertem | |
Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut im August 2020 zugeschrieben]. Seitdem | |
verhindert die Partei jegliche Aufklärung seitens der Justiz. Bereits zuvor | |
steckte das Land in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Angaben von | |
humanitären Organisationen zufolge leben mehr als 80 Prozent der Menschen | |
in Armut. Die Inflation bei Lebensmittelpreisen ist eine der höchsten | |
weltweit. Der Großteil der Menschen ist müde von den Sorgen des | |
alltäglichen Lebens. Der Libanon kann es sich nicht nur mental, sondern | |
rein finanziell nicht leisten, in einen Krieg hineingezogen zu werden. | |
Deshalb sendete der Milizenführer Signale an Israel, die so gelesen werden | |
konnten, dass sich an den derzeit geltenden Gefechtslinien vorerst nichts | |
ändern wird. [4][Bisher kommt es an der Grenze zwischen dem Libanon und | |
Israel zu sporadischen Konfrontationen mit Todesopfern auf beiden Seiten.] | |
Die Hisbollah meldete seit dem 8. Oktober mindestens 61 tote eigene | |
Kämpfer. Auf israelischer Seite wurden an dieser Grenze nach Militärangaben | |
seitdem sechs Soldaten und ein Zivilist getötet. | |
Nasrallah skizzierte natürlich dennoch eine Drohkulisse: Die Operationen an | |
der libanesischen Grenze könnten durchaus zu einem breiteren Krieg führen. | |
„Das ist eine Möglichkeit und das muss der Feind im Auge behalten“, sagte | |
er. Ob die Front ausgeweitet werde, sei abhängig von zwei Dingen – von den | |
Entwicklungen in Gaza und von den Aktionen Israels gegen den Libanon. Er | |
warnte Israel, „unsere Zivilisten nicht zu attackieren“. | |
5 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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