# taz.de -- Landwirtschaft in Peru: Identität aus der Knolle | |
> Fünf Gemeinden, 6.000 Menschen und ein Ziel: Die regional vorkommenden | |
> Kartoffelsorten sollen in einem Kartoffelpark angebaut werden. | |
Bild: Beider Kartoffelernte in Cuco, Peru | |
Jhon Ccoyo wirft einen letzten prüfenden Blick auf die Regale, auf denen | |
Dutzende kleiner Schalen mit Kartoffeln stehen. Einige erinnern an | |
Mohrrüben, andere an Okraschoten, manche sind hell, einige tiefrot und | |
wieder andere schimmern lila. „Das ist eine Auswahl der wichtigsten Sorten, | |
die wir anbauen. Unsere Besucher sollen einen Eindruck von der | |
Kartoffelvielfalt bekommen, die es in Peru gibt“, sagt der 31-jährige | |
Leiter des Besucherzentrums des Parque de la Papa. | |
Perus Kartoffelpark liegt rund vierzig Minuten Fahrtzeit von der alten | |
Inkastadt Cusco entfernt, oberhalb der Kleinstadt Pisac und ist ein | |
Gemeinschaftsprojekt von sechs indigenen Gemeinden. Pampallacta heißt eine | |
davon und im gleichnamigen Dorf kommen die meisten Besucher, sowohl | |
Touristen als auch Studenten und Wissenschaftler, an. Stabile Lehmbauten | |
mit Stroh- oder Ziegeldächern prägen das Dorf, und das prächtige | |
Besucherzentrum macht da keine Ausnahme. Dort bekommen die Gäste das | |
Konzept des Parks erklärt. | |
„Unser Ziel ist es, möglichst alle Sorten, die im peruanischen Hochland | |
vorkommen, im Park anzubauen“, erklärt Ccoyo mit stolzer Stimme und deutet | |
auf eine fast schwarze, kleine Kartoffel. Die heißt Leona Negra, die | |
schwarze Löwin, wie ein kleiner Zettel verrät. Was er nicht verrät, ist, | |
dass ihr weißes Fruchtfleisch von lila Schlieren durchzogen ist. Daneben | |
liegt die Puka Mama, eine annähernd runde, beige-braune Knolle, mit einer | |
lilafarbenen Schärpe, und Puma Maki darüber erinnert mit den vier tiefen | |
Furchen und der länglichen Form an die Pranke eines Pumas. | |
„Viele unserer traditionellen Kartoffelsorten tragen Namen, die von der | |
Form, der Farbe oder dem Geschmack herrühren, aber es gibt auch Sorten, die | |
nur zu bestimmten Anlässen, einer Hochzeit, einer Beerdigung oder einer | |
Taufe, gegessen werden“, erklärt Jhon. Er koordiniert die Arbeit im | |
Besucherzentrum, gibt Einblick in die Welt der tollen Knollen und fungiert | |
normalerweise auch als Guide für Besuchergruppen, denen er auch die anderen | |
Produkte aus dem Kartoffelpark vorstellt. Die sind unterhalb der etwa 120 | |
wichtigsten Kartoffelsorten in den fünf Regalen angeordnet: Mais- und | |
Quinoakörner, aber auch Okraschoten, Amarant und Ulloco, eine weitere | |
Knollenpflanze. | |
Hinzu kommen etliche Gemüsesorten, aber auch Kräuter und Heilpflanzen, die | |
zu bestimmten Jahreszeiten und längst nicht in allen Höhenlagen angebaut | |
werden. Wann, wo, was angebaut wird, darüber informiert der Anbaukalender, | |
der in der Mitte des Ausstellungsraums auf einem runden Tisch angebracht | |
ist. An den Wänden hängen hingegen die Geräte, die bei Aussaat und Ernte | |
zum Einsatz kommen: die kurzstielige Hacke, Kuti, oder die Chaquitcalla, | |
eine Art Trittpflug, mit dem der Boden auch heute noch aufgelockert wird. | |
## Mehr als Grundnahrungsmittel | |
Die Kartoffel bildet das Rückgrat der Ernährung der rund 6.000 Menschen, | |
die im Kartoffelpark leben und die vielfältigen Knollen zwischen 3.300 und | |
4.300 Metern über dem Meeresspiegel anbauen. „Die Papas nativas sind Teil | |
unserer Identität, stehen für unsere Geschichte. In den Anden, nahe dem | |
Titicacasee, steht die Wiege der Kartoffel. Um sie dreht sich vieles in | |
unserer 10.000 Jahre währenden Agrargeschichte“, erklärt Jessica | |
Villacorta, Agrartechnikerin, die mit den Gemeinden arbeitet, sie berät, | |
Saatgut in eigenen Gewächshäusern zieht, um Erträge zu steigern und die | |
Pflanzen angesichts des Klimawandels auch widerstandsfähiger zu machen. | |
Auch mitten in der Pandemie ist sie gemeinsam mit Kollege Enrique „Kike“ | |
Granados vor Ort. „Hier gibt es bisher nicht einen Covid-19-Fall. Das ist | |
ein Glück und erleichtert uns die Arbeit“, erklärt Kike, der auch dabei | |
war, als Mitte Mai die sechs Gemeinden des Kartoffelparks mehr als 1.000 | |
Kilo Kartoffeln an die Ärmsten der Armen im nahegelegenen Cusco verteilten. | |
Mit der Hilfsaktion haben sich die Kleinbauern, allesamt Nachkommen der | |
Inka, in der Hauptstadt der Region nachhaltig in Erinnerung gebracht und | |
zugleich auf ihr wichtigstes Produkt, die Papas nativas, aufmerksam | |
gemacht. | |
Papas nativas werden die Hochland-Kartoffeln in Peru genannt, die aufgrund | |
ihres Geschmacks und Nährstoffreichtums auch in der feinen Küche des Landes | |
Einzug gehalten haben. Das hat dazu beigetragen, dass Bauern wie Jhon Ccoyo | |
oder Mariano Sutta ihre eigenen Produkte stärker wertschätzen, als es | |
früher der Fall war. Da galt alles, was auf die Inkas zurückging, schnell | |
als rückständig. | |
Zu Unrecht, so Agrarexpertin Jessica Villacorta. „Hier waren 90 Prozent der | |
Anbauflächen terrassiert, ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgte für | |
gute Ernten, und die Vielfalt des Saatgutes ist ein Schatz, denn wir | |
bewahren wollen.“ Villacorta ist für die Nichtregierungsorganisation Andes | |
tätig und mindestens zwei bis dreimal pro Woche im Kartoffelpark. Sie | |
arbeitet mit den acht Technikern des Kartoffelparks, von den Gemeinden | |
gewählten, besonders kenntnisreichen Bauern, zusammen, die die gemeinsame | |
Vision der Bewohner in die Realität umsetzen sollen. | |
Alle traditionell in der Region vorkommenden Sorten wollen sie in ihrem | |
Kartoffelpark auf den kollektiv bewirtschafteten Flächen anbauen – eine | |
lebende Samenbank soll so entstehen. Dabei sind die Bauern in den letzten | |
Jahren gut vorangekommen. Sie haben in den Nachbargemeinden nach Sorten | |
gefahndet, arbeiten aber auch mit dem internationalen Kartoffelinstitut | |
(CIP) in Lima zusammen. | |
Dort lagert Kartoffelsaatgut in begehbaren Kühlräumen in rund viertausend | |
Reagenzgläsern. In vitro, wie es die Wissenschaftler nennen, die aus dem | |
Bestand neue ertragreichere und gegen Schädlinge und den Klimawandel | |
möglichst resistente Sorten züchten. Das Gros der alten Sorten im Kühlraum | |
stammt aus Peru und rund dreihundert der sogenannten Papas Nativas, der | |
traditionellen Sorten, haben die Wissenschaftlern den Pionieren des | |
Kartoffelparks zum Ausbau der eigenen lebendigen (in vivo) Samenbank | |
überlassen. Kein Zufall, denn eine Delegation der Kartoffelparks hatte | |
unterstützt von den Entwicklungsexperten von Andes 2005 um die Herausgabe | |
des Saatguts gebeten. | |
Nachvollziehbar, denn das Gros der Sorten geht auf die Inkas und deren | |
Vorfahren zurück. Als deren Nachkommen sehen sich die Bauern aus dem 9.300 | |
Hektar umfassenden Kartoffelpark und mittlerweile bauen sie 1.367 Sorten | |
auf ihren Feldern an. | |
„Dafür können sie sich jedoch nichts kaufen. Artenvielfalt allein hilft | |
nicht, den Lebensstandard in Dörfern wie Quello Quello, Pampallaqta oder | |
Paru Paru zu heben. Doch genau das ist unser Ziel. Wir setzen an mehreren | |
Punkten an“, erklärt Jessica Villacorta. 2015 wurden mehrere Gewächshäuser | |
gebaut, wo Saatkartoffeln von besserer Qualität gezogen werden, die an die | |
Gemeinden des Kartoffelparks abgegeben, aber auch an Nachbargemeinden | |
verkauft werden. Je besser das Saatgut, um so höher die Erträge und um so | |
widerstandsfähiger die Pflanzen, lautet die Devise der Agronomin. Sie | |
arbeitet eng mit Andes-Direktor Alejandro Argumedo zusammen, einem | |
peruanischen Agrarexperten, der lange in Kanada gearbeitet hat. | |
## Wiederentdeckung des Eigenen | |
Der motiviert die Gemeinden, auf ihr traditionelles Wissen zurückzugreifen, | |
auf Heilpflanzen genauso wie auf alte Gemüsesorten, Rezepte und | |
Anbautechniken. Das hat zu ersten Erfolgen geführt. Heute gibt es in jedem | |
der fünf Gemeinden ein Zentrum, wo eigene Produkte hergestellt, verbessert | |
oder angeboten werden. Eines, wo aus Heilkräutern Cremes gegen allerlei | |
Beschwerden, aber auch Seife, Shampoo und Co. produziert werden; eines, wo | |
die Wolle der Lampas und Alpacas zu feinen Tüchern, Schals und Ponchos | |
verarbeitet wird, und auch das Restaurant, wo traditionelle Gerichte für | |
Besucher zubereitet werden, gibt es. Hinzu kommt das Besucherzentrum, wo | |
Stoffe und Kleidungsstücke mit spezifischen Mustern aus dem Park angeboten | |
werden, aber auch Unterkünfte für Touristen, die im Park wandern wollen, | |
sind entstanden. | |
„Das hat dazu geführt, dass wir heute besser und bewusster leben als noch | |
vor ein paar Jahren. So ist Alkohol ein Tabu im Park“, meint Mariano Sutta, | |
der zum Team der Técnicos des Parks gehört. Die legen überall dort Hand an, | |
wo Bedarf besteht. Mal ist es eine Lehmmauer, eines der kollektiv | |
errichteten Gebäude des Parks, die repariert werden muss, mal ein Dach, | |
aber das Gros der Zeit sind die Técnicos in den drei Gewächshäusern des | |
Kartoffelparks, um Setzlinge für neue Saatkartoffeln zu ziehen, oder auf | |
den Feldern. | |
Saatgut ist mitten in der Pandemie knapp. „Der Austausch mit anderen | |
Dörfern ist unterbrochen, weist Andes-Direktor Alejandro Argumedo auf ein | |
Problem hin, das das Virus zu verantworten hat. „Hinzu kommt der | |
Klimawandel. Eigentlich regnet es im September und danach werden die | |
Saatkartoffeln ausgebracht. Doch der Regen ist ausgeblieben“, klagt der | |
Entwicklungsexperte, der in Cusco aufgewachsen ist. Das schafft Probleme in | |
der ganzen Region. Dort hat das Modell des Kartoffelparks Schule gemacht. | |
In Lares, drei Fahrtstunden von Cusco entfernt, hat ein Park eröffnet, wo | |
die rund 60 nur in Peru vorkommenden, meist farbigen Maissorten angebaut | |
werden. Pate steht der Kartoffelpark. Das motiviert nicht nur die acht | |
Techniker, zu denen Daniel Pacco gehört. „Im Mai letzten Jahres haben uns | |
mehr als 400 Kartoffelexperten aus aller Welt besucht und sich unsere | |
Arbeit angeschaut. Das war schon etwas Besonderes“, erinnert sich der | |
36-jährige Bauer mit einem zufriedenen Lächeln. Ereignisse, die Auftrieb | |
geben, sich im höheren Selbstvertrauen und dem Bewusstsein niederschlagen, | |
auf dem richtigen Weg zu sein. Doch der ist durch die Pandemie und das | |
Ausbleiben des Regens noch holpriger geworden. | |
8 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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