# taz.de -- Kunsthallenleiter zu Mode aus den 80ern: „Mugler gab Frauen Masch… | |
> Der Designer Thierry Mugler prägte den Look, der Frauen breite Schultern | |
> gab. Roger Diederen von der Kunsthalle München freut sich auf die Schau. | |
Bild: Ausschnitt von Ellen von Unwerths Aufnahme der Mugler-Kollektion Les Cow-… | |
taz: Herr Diederen, Sie sind mit einem Tusch ins Kunstjahr 2020 gestartet: | |
eine Show über das Kunstverständnis des französischen Modedesigners Thierry | |
Mugler. Nun ist Ihr Museum mit unausgepackten Kisten vollgestellt. Wie groß | |
ist die Enttäuschung? | |
Roger Diederen: Unsere Vorfreude ist riesig. Muglers Couture ist | |
atemberaubend. Wann hat man schon die Chance, seine Kreationen aus der Nähe | |
zu bewundern, wenn man nicht zu Modeschauen eingeladen wird – und selbst da | |
rauschen sie nur an einem vorbei. Noch müssen wir abwarten, was möglich | |
sein wird, wenn die Museen wieder öffnen. Auch sitzt die Leiterin des | |
Thierry-Mugler-Archivs in Paris und darf noch nicht anreisen. Aber wir | |
stehen in den Startlöchern – und könnten binnen zwei Tagen die Türen | |
öffnen. | |
Sie haben bereits Jean-Paul Gaultier ausgestellt, also Mode rund um Punk, | |
Grunge, Ringelshirts zu Schottenkilts und meterhohen Irokesenschnitten. | |
Wann gehört Mode ins Museum? | |
Mode ist ein wesentlicher Spiegel jener Zeit, in der sie kreiert wird – | |
etwa bei Gaultier, der wichtige Gesellschaftsthemen in seiner Couture | |
angesprochen hat. Bei Mugler ist dies auch der Fall. Er prägte maßgeblich | |
den Look der achtziger und neunziger Jahre, der der Frau mit breiten | |
Schultern ein neues Auftreten gegeben hat. Dies und seine Robot-Couture, | |
inspiriert von Filmen von Fritz Lang sind wegweisend: Auch heute | |
beschäftigen wir uns mit künstlicher Intelligenz, mit dem Verhältnis von | |
Maschinen und Menschen. Muglers Entwürfe haben das Zeitbild gelenkt und | |
mitbestimmt. | |
Thierry Mugler hat in den neunziger Jahren einen neuen Frauentyp entworfen: | |
Er verknüpft Sexappeal mit offensivem weiblichem Machtbewusstsein und | |
beruflichem Erfolg. Sie sprechen von Robot-Couture – andere nannten seine | |
Kreationen aus Latex und anderen Fetischstoffen „Sex Couture“. | |
Mugler ist der Erste, der dies so auf den Punkt gebracht hat. Es war ihm | |
ein Anliegen, Frauen eine maschinelle Kraft zu geben und damit auch eine | |
Stärke darzustellen. Sexuelle Interpretationen sind dann eine individuelle | |
Hinzufügung des Betrachters. Muglers Kreationen sind für die popkulturelle | |
Szene gemacht. Ich denke nicht, dass er sich vorgestellt hat, dass man dies | |
im Alltag trägt. | |
Die feministische Kunsthistorikerin Linda Nochlin schrieb über Mugler: „Er | |
ist so extrem, dass diese Frauen keine Sexobjekte sind, sondern | |
Sexsubjekte.“ So progressiv dies damals sicher war: Sind wir da nicht schon | |
wieder einen Schritt weiter? Wie vermitteln Sie die Kreationen heutigen | |
Betrachtern, die sexuelle Bemächtigungsfantasien – egal ob von Männern oder | |
Frauen – einfach nur ermüdend finden? | |
Ach, dieses Verständnis ist schon immer noch aktuell. Auch eine Lady Gaga | |
greift solche Themen auf. Es ist keine Idee, die schon überholt wäre. Aber, | |
sicherlich: Die Schau stellt einen Überblick dar über eine Epoche – und die | |
Entwicklung zeigen zu können stellt eine Chance dar. | |
Mugler hat sich selbst physisch stark verändert. Sein Alter ist nicht | |
bekannt. | |
Ja, das wüssten wir selbst gern. In zahlreichen Operationen hat Mugler sein | |
eigenes Bild, seine eigene Aura kreiert. [1][Auch bei Karl Lagerfeld war | |
das genaue Alter unbekannt]. Das Divenhafte des Couturiers! | |
Ist Thierry Mugler, radikaler als Karl Lagerfeld, eine Kunstfigur? | |
Mugler hat heute ein völlig anderes Aussehen als auf Fotos von vor zwanzig | |
Jahren. Mittels Schönheitsoperationen wollte er erkennbar einen ganz neuen | |
Look kreieren. Da geht es erkennbar um viel mehr als nur um die Beseitigung | |
von ein paar Falten. Er sieht deutlich anders aus. | |
Die Münchner Kunsthalle liegt in der Münchner Altstadt, in direkter Nähe zu | |
Modelabels wie Prada und Gucci. Erreichen Sie dadurch ein anderes Publikum? | |
Wir zeigen ein breites Themenspektrum, von Archäologie bis Gegenwart. Mode | |
hat die Berechtigung, neben den großen Themen der Kulturgeschichte | |
präsentiert zu werden. Dass in unserer Nachbarschaft Mode verkauft wird, | |
ist da eher Zufall. Der historische Rückblick ist für uns entscheidend: Was | |
war das damals, was hat es so besonders gemacht? Die Marke Mugler gibt es | |
noch, doch ist sie viel weniger präsent als in den achtziger und neunziger | |
Jahren. Mich als Ausstellungsmacher reizt, wie ich diese Kreationen aus der | |
zeitlichen Distanz neu bewerten kann. Heute können wir Abstand nehmen von | |
dieser Zeit, die manche vielleicht noch frisch in Erinnerung haben, und sie | |
anders beurteilen. Dies war auch unser Ansatz bei Gaultier, und dies ist | |
der Mehrwert. | |
Durch die aktuelle Situation dürfte dieser Abstand ja noch größer geworden | |
sein: Corona hat die ganze Welt verändert. Corona hat das Konsumverhalten | |
verändert. Hat Corona auch Ihr Verständnis von Kunst und Ihren Blick auf | |
diese Schau verändert? | |
Wir sind unerwartet auf uns selbst zurückgeworfen worden. Wir gehen in uns, | |
fragen, was in dieser Welt noch wichtig ist. Kunst konsumieren zu können | |
war in dieser Zeit ein Genuss. Ich hoffe und gehe davon aus, dass Menschen | |
es nach dieser Zeit noch mehr zu schätzen wissen, dass man sich mit diesen | |
Dingen auseinandersetzen kann. Wir haben versucht, ein Onlineangebot zu | |
bieten – unsere Faust-Ausstellung etwa haben wir mit großem Aufwand digital | |
für die Nachwelt zugänglich gemacht –, doch die Begegnung mit dem | |
originalen Objekt, dem Material, ist online nicht zu vermitteln. Umso | |
größer ist der Wunsch nach einem Dialog vor dem Kunstwerk. Das hat uns | |
diese Pause gezeigt. | |
Angesichts der Grenzen der Digitalisierung: Was genau macht den Dialog vor | |
dem Kunstwerk so unersetzlich? | |
Als Ausstellungsmacher setzen wir Werke in Dialog, wie sie in einer | |
ständigen Sammlung nicht zu sehen sind: Ein Werk neben ein anderes, mit | |
einer bestimmten Überlegung, oder Leihgaben, die sonst nicht zusammen zu | |
sehen sind. Das Format, der Rahmen, die Materialität – das sind sensorische | |
Elemente, die man wirklich nur vor Ort erleben kann. Und diese Möglichkeit | |
gibt es digital nur begrenzt. Es ist toll, wenn ich online Elemente | |
vergrößern und die Pinselstriche gut erkennen kann, aber die Präsentation, | |
die Gestaltung und die Erfahrung, durch ein Thema durchgeführt zu werden, | |
kann man am besten vor dem Original erleben. | |
Sie geraten mit der Schau nun in eine Zeit kurz nach einer | |
gesellschaftlichen Krise. Die Lebenslust wird Prognosen zufolge aufleben, | |
die Konsumkultur aber auch noch kritischer hinterfragt werden – und die | |
synthetischen, nicht gerade nachhaltigen Stoffe, die Mugler bevorzugt | |
verwendet, sowieso. | |
Vollkommen richtig. Das heutige Bewusstsein über Konsumverhalten und | |
Umweltschäden gab es in den 1980er Jahren nicht. Vor zwanzig Jahren war | |
Klimaschutz leider noch kein so großes Thema. Die heutige Modeindustrie | |
muss sich überlegen, ob es so weitergehen kann, und muss sich komplett neu | |
aufstellen, was einen historischen Rückblick umso spannender macht. | |
3 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Schmeller | |
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