# taz.de -- Kriegsverbrechen im Kongo: Terror per Textnachricht | |
> Die ruandische Miliz FDLR mordert und vergewaltigt in Ostkongo, macht die | |
> Region unregierbar. Über Täter und Opfer, die sich nun trauen zu reden. | |
Bild: 16 Jahre nach dem Völkermord wüten ruandische Milizen im Kongo: Ein FDL… | |
LUVUNGI/MUTOBO taz | Vom Hubschrauber sieht der Dschungel aus wie Broccoli. | |
Dicht reihen sich die Baumkronen, kaum ein Lichtstrahl dringt hindurch. | |
Dort, im Regenwald im Osten der Demokratischen Republik Kongo, sind die | |
Rebellen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur | |
Befreiung Ruandas) die Herrscher. Ihr Hauptquartier auf einem Hügel nicht | |
weit vom Dorf Kimua besteht aus Hütten, versteckt zwischen Palmen. Unter | |
einem dieser Strohdächer trinkt FDLR-Militärchef General Sylvestre | |
Mudacumura schon am Nachmittag Bier, während er mit seinen Kommandeuren | |
Operationen plant. Oberhalb der Siedlung befindet sich das Waffenarsenal, | |
auf einem anderen Hügel die FDLR-Militärpolizei mit Offiziersschule. | |
Von diesem Versteck im Dschungel aus regierte die Hutu-Miliz bislang ein | |
Gebiet, das größer ist als ihr Heimatland Ruanda. Sie kontrollierten die | |
Minen sowie die wenigen Zugangswege in den Wald - auch die matschige | |
Straße, die sich von Walikale aus in engen Kurven durch den Dschungel | |
Richtung Goma windet. Die Dörfer entlang dieser Achse lagen bisher auf | |
FDLR-Territorium. Seitdem die kongolesische Armee (FARDC) gegen die FDLR | |
vorgeht, schrumpft deren Gebiet zunehmend. Jetzt bemüht sich die UNO, | |
Vorposten im Dschungel zu errichten. | |
Der UN-Hubschrauber landet auf einem Fußballplatz: Bunyampuli, rund 40 | |
Kilometer nördlich des FDLR-Hauptquartiers. Bewaffnete Blauhelme stehen vor | |
dem Wald. Indische UN-Soldaten laden Benzinkanister aus dem Helikopter auf | |
einen Lkw. Es muss schnell gehen: Dunkle Regenwolken hängen über den | |
Bäumen. Die Inder schieben einen rostigen Geländewagen an, bis der Motor | |
anspringt und sie auf die Ladefläche hüpfen. Quietschend holpert das | |
Fahrzeug durch die Pfützen ins 3 Kilometer entfernte Dorf Luvungi. | |
Luvungi liegt im Tal. Lehmhütten mit Strohdächern schmiegen sich an die | |
Hänge. Dahinter ragt der Regenwald düster in die Höhe. Von dort kamen einst | |
die FDLR-Rebellen. Dorfvorsteher Livingstone Mbusa-Mbusa erinnert sich | |
genau. Während er erzählt, blickt er voller Furcht auf die Baumwipfel. Ganz | |
so, als könnten sie jeden Moment zurückkommen. | |
## Von Haus zu Haus | |
Es war dunkel, nach 23 Uhr am 30. Juli 2010. Wie Schatten drangen die | |
Gestalten in das Dorf ein. Sie gingen von Haus zu Haus, traten die | |
Holztüren ein, zerrten die Männer auf die Straße. Auch Mbusa-Mbusa stand | |
dort im Matsch. Von allen Seiten hörte er Rufe: "Ich sterbe, ich sterbe." | |
Auch er dachte, "jetzt werden sie uns alle umbringen". Stattdessen begannen | |
sie Hühner und Ziegen zusammenzutreiben. Schlachteten das Vieh. Ein Feuer | |
loderte auf. In einem Laden an der Straße fanden sie Bier und "tranken, | |
tanzten, sangen". | |
Am nächsten Tag musste Mbusa-Mbusa die restlichen Ziegen den Hügel hinauf | |
in den Dschungel treiben. Einige Rebellen begleiteten ihn, die Kalaschnikow | |
im Anschlag. "Wenn du davonläufst, kriegen wir dich", drohten sie ihm. Am | |
Abend des dritten Tages gelang es ihm, zu entkommen. Am vierten Tag wagte | |
er sich vorsichtig ins Dorf - die Rebellen waren weg. Doch was sie den | |
Frauen angetan hatten, lässt die Bewohner bis heute nicht los. 270 Frauen | |
und Mädchen wurden in den vier Tagen vergewaltigt. Das jüngste Opfer war 2 | |
Jahre alt, das älteste 79. | |
Dass eine der Frauen jetzt darüber sprechen will - das ist mutig. Ihren | |
Namen will sie nicht nennen. Zu groß ist die Angst. Sie heißt hier Marie. | |
Vor dem Angriff hätten die Rebellen ihre Frauen geschickt, berichtet Marie. | |
Die kauften Seife, bezahlten mit Gold. "Nachdem sie fort waren, fanden wir | |
einen Brief." Wenn ihr Luvungi nicht verlasst, töten wir euch, hieß es | |
darin. Der Dorfvorsteher berichtete seinen Vorgesetzten in Walikale von der | |
Drohung. Doch niemand schickte Hilfe. | |
Marie sitzt in ihrer fensterlosen Hütte. Es ist dunkel. Gewitterwolken | |
ballen sich über Luvungi. Regentropfen prasseln auf das Dach. Die fünffache | |
Mutter hat ihr Jüngstes auf dem Schoß. Dass der Embryo die mehrfache | |
Vergewaltigung überlebte, ist ein Wunder. | |
Es war spät am Abend, erinnert sich Marie. Sie lag im Bett neben ihrem | |
Mann. Plötzlich traten uniformierte Männer die Tür ein. "Wir sind gekommen, | |
um uns um euch zu kümmern", sagten sie und zerrten Marie an den Haaren aus | |
dem Bett. Jeder der Männer verging sich an ihr. Ihr Mann musste zusehen. | |
Sie vergewaltigten auch die 2-jährige Tochter. Die schrie und schrie, | |
blutete. Dann schleppten die Rebellen Marie in den Busch und vergewaltigten | |
sie weiter. Nach vier Tagen verschwanden die Rebellen und ließen Marie und | |
die anderen Frauen im Unterholz zurück. Blutend, ohne Hilfe. "Viele sind an | |
den Verletzungen gestorben", sagt Marie. | |
Sie steht auf und ruft ihre 15-jährige Nachbarin herbei. Regennass, mit | |
dickem Bauch schlüpft das Mädchen mit vier weiteren Frauen in die Hütte. | |
Unter Schmerzen setzen sie sich auf eine Couch. Von der Unterleibsinfektion | |
habe sie sich nie erholt, gesteht das Mädchen. Ob sie die Kindsgeburt | |
überleben werde, wisse sie nicht. Alle Frauen sind im neunten Monat | |
schwanger, alle wurden vergewaltigt. | |
## Straffe Befehlskette | |
Was in Luvungi geschah, das geschieht in den Wäldern Ostkongos fast jeden | |
Tag. Seit 16 Jahren, seitdem die ruandischen Hutu-Milizen nach dem | |
Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 in den Kongo flohen und sich dort neu | |
formierten. Sie begehen diese Taten nicht willkürlich oder wahllos. Es ist | |
ein systematischer, von FDLR-Anführern befohlener und brutal ausgeführter | |
Terror. | |
Die FDLR funktioniert wie eine Exilregierung, verstreut über mehrere | |
Länder: mit einem gewählten Präsidenten, zwei Stellvertretern und | |
Kommissaren, die Funktionen ausüben wie Minister eines Kabinetts. Sie | |
verfügt über eine straff organisierte Armee. Deren Kommandeure sind | |
Generäle der ehemaligen ruandischen Armee, die den Genozid mit beging und | |
dann in den Kongo floh. Viele von ihnen wurden einst in europäischen | |
Militärakademien ausgebildet. Es gibt eine klare Befehlskette. | |
So auch für die Vergewaltigungen von Luvungi: Der ausführende Kommandeur | |
vor Ort hört auf den Kriegsnamen Lionceau (Kleiner Löwe), er ist im 2. | |
Bataillon für die Goldminen zuständig. Als Unteroffizier hat er keine | |
Befehlsgewalt. Sein Vorgesetzter und Bataillonschef ist Oberstleutnant | |
Evariste Kanzeguhera alias Sadiki, der wiederum die Befehle aus dem | |
Militärhauptquartier erhält, wo General Mudacumura das Sagen hat. | |
Die Spitze der Befehlskette geht aus den 74 Paragrafen der FDLR-Verfassung | |
hervor. Sie wurde in einem Heft auf kariertem Papier mit sauberer | |
Handschrift niedergeschrieben. Unterzeichnet hat sie der in Deutschland | |
lebende FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka am 24. Mai 2005 in Masisi, im | |
Ostkongo. Entscheidend für die Rolle des Präsidenten ist Paragraf 23: "Die | |
FDLR ist eine hierarchische Organisation. | |
Die höherstehenden Organe können die Weisungen an die untergeordneten | |
Organe ändern oder annullieren." In Paragraf 24 sind die Aufgaben des | |
Präsidenten festgeschrieben: "Das Oberkommando der Streitkräfte wahrnehmen" | |
sowie "nach der Beratung mit dem Widerstandskomitee den Streitkräften | |
Befehle zu erteilen sowie diese wieder aufzuheben." | |
Murwanashyaka und sein Stellvertreter Straton Musoni wurden am 17. November | |
2009 in Deutschland verhaftet; am 4. Mai 2011 beginnt in Stuttgart der | |
Prozess gegen sie. Für die Massenvergewaltigung von Luvungi können sie | |
nicht angeklagt werden, die geschah erst, als sie schon hinter Gittern | |
saßen. Es geht insgesamt um die Frage: Kann die deutsche | |
Generalbundesanwaltschaft nachweisen, dass Murwanashyaka und Musoni von | |
Deutschland aus über die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit für ihre | |
Kämpfer verfügen und damit für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, die | |
von der FDLR im Kongo begangen wurden? | |
Vor Gericht werden Loglisten der Telefonverbindungen eine zentrale Rolle | |
spielen. Diese beweisen: Mudacumura telefonierte von seinem | |
Satellitentelefon im Hauptquartier bei Kimua regelmäßig mit Murwanashyaka | |
in Mannheim. Auch SMS und E-Mails schrieben sie sich. Im März 2009 fing die | |
UNO einen Funkspruch ab, den Mudacumura vom Hauptquartier aus an seine | |
Bataillone im Feld sendete. Dieser lautete: "Die Bevölkerung angreifen, um | |
eine humanitäre Katastrophe zu verursachen." | |
Das war eine Reaktion auf zunehmende kongolesische Armeeoffensiven gegen | |
die FDLR. Seit diesem Befehl ereignen sich auf FDLR-Territorium regelmäßig | |
Massaker, brutale Überfälle und systematische Vergewaltigungen. So auch in | |
der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2009, als rund 1.500 Häuser im Dorf | |
Busurungi in Flammen aufgingen. | |
## Verbrannte Erde | |
Busurungi ist eine Siedlung zwischen vier Hügeln, 60 Kilometer südöstlich | |
von Luvungi, tief im FDLR-Gebiet. Satellitenaufnahmen vor und nach dem | |
Angriff lassen erkennen: Dort, wo einst Umrisse von Hütten zu erkennen | |
waren, befindet sich nur noch verbrannte Erde. | |
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sowie das kongolesische | |
Forschungsinstitut Pole haben Überlebende aus Busurungi in Ostkongos | |
Flüchtlingslagern gefunden. Deutsche Ermittler vernahmen diese Zeugen in | |
einem Hotelzimmer in der ruandischen Grenzstadt Gisenyi. Laut diesen wurden | |
in jener Nacht 94 Menschen dort ermordet, darunter mindestens 25 Kinder und | |
23 Frauen. Einige waren festgebunden worden. "Sie haben ihnen die Kehle | |
durchgeschnitten wie Hühnern", berichtet ein Zeuge. Busurungi soll im | |
Verfahren in Stuttgart eine zentrale Rolle spielen. | |
## "Ein Haufen wilder Tiere" | |
Zwei der Täter von Busurungi ist es gelungen, ihrem Kommando zu entkommen. | |
Jetzt hocken sie jenseits der Vulkane, die Ostkongo von Ruanda trennen, in | |
einem Camp aus Wellblechhütten in Ruanda: Mutobo, das Auffanglager für | |
Ex-FDLR-Kämpfer. Nkindi, 32, und Mustafa, 35, dienten im Kongo in der | |
Reservebrigade, die nahe dem Hauptquartier stationiert ist. Unterleutnant | |
Nkindi führte in Busurungi einen Zug von 20 Mann, Oberstleutnant Mustafa | |
hatte eine Kompanie mit rund 100 Mann unter seinem Kommando. Er wurde in | |
jener Nacht angeschossen. Er stellt fest: "Die FDLR ist wie ein Haufen | |
wilder Tiere, Verletzte sind nichts mehr wert." | |
Vor wenigen Wochen gelang es den beiden, davonzuschleichen. Vor ihrer | |
Flucht schickten sie Frauen und Kinder nach Ruanda, zur Sicherheit. "Wenn | |
sie einen schnappen, hacken sie dir den Kopf ab", erklären sie. Sie | |
flüchteten nachts, krochen durch das Unterholz, bis sie bei Walikale auf | |
UN-Blauhelme stießen und sich ergaben. Die UNO brachte sie nach Mutobo. | |
Hier müssen sie lernen, sich in einem Leben ohne Krieg zurechtzufinden. | |
Mustafa kramt eine Digitalkamera hervor, liebevoll betrachtet er Fotos | |
seiner vier Kinder. "Ich wollte sie nicht im Dschungel aufwachsen lassen", | |
sagt er. Er hat selbst keinen Schulabschluss. Als der Völkermord 1994 an | |
den Tutsi begann, war er 17. Wie Millionen Hutu floh auch er in den | |
Ostkongo, als die Tutsi-Befreiungsarmee unter der Führung des heutigen | |
Präsidenten Paul Kagame Ruanda eroberte und die Hutu-Milizen in den Kongo | |
vertrieb. Die formierten sich im Kongo neu. "Ich wurde zwangsrekrutiert", | |
sagt er. Er durchlief später im Hauptquartier ein Offizierstraining. Nkindi | |
hat ein ähnliches Schicksal: Als 19-Jähriger geriet er in einen Hinterhalt. | |
Die Rebellen verschleppten ihn. Auch er besuchte die Offiziersschule. Artig | |
schlägt er die Hacken zusammen und salutiert. | |
Wenn Mustafa und Nkindi über Busurungi sprechen, klingt dies wie aus einem | |
Militärhandbuch: nüchtern, sachlich, präzise. Aus ihren Berichten wird | |
deutlich: Es war eine komplexe Operation - mit einer strikten, | |
übersichtlichen Befehlskette: Militärchef Mudacumura gab den Befehl an den | |
Kommandeur der Reservebrigade, Oberst Lucien Nzabamwita alias Kalume. | |
Dieser ernannte Oberstleutnant Wellars Nsengiyumva alias Sirius zum | |
Einsatzleiter, der auch in jener Nacht des Angriffs vor Ort war und die | |
Truppen befehligte. | |
Sirius war Mustafas und Nkindis direkter Vorgesetzter. Er erteilte ihnen | |
den Befehl: "Erschießt alle, brennt Busurungi nieder!" Der Grund, erklärt | |
Nkindi: "Erstens, damit die Bevölkerung fliehen muss. Zweitens, damit die | |
Soldaten sich nicht verstecken können. Drittens, um die Bevölkerung gegen | |
die Armee aufzuhetzen, damit sie diese nicht mehr unterstützt." | |
Der Angriff auf Busurungi wurde sorgfältig vorbereitet. Bereits am 4. Mai | |
musste Nkindi das Dorf ausspionieren. Die kongolesischen Soldaten hatten | |
sich in den Häusern der Bewohner verschanzt, er sah den Armee-Kommandeur in | |
einer Hütte ein- und ausgehen. Dies berichtete Nkindi Kommandeur Kalume. Am | |
8. Mai bestellte dieser seine Offiziere ein. | |
Auch Mustafa war dabei: "An diesem Tag haben wir die Entscheidung zum | |
Angriff getroffen", sagt er. Doch um die Operation auzuführen, benötigten | |
sie eine Genehmigung "von oben", sagt Mustafa. Kommandeur Kalume erstattete | |
seinem Chef Mudacumura im Hauptquartier Bericht. Dieser schickte am frühen | |
Nachmittag des 9. Mai seinem Vorgesetzten in Mannheim, FDLR-Präsident | |
Ignace Murwanashyaka, vier Textnachrichten. Kurz nach 16 Uhr antwortete | |
Murwanashyaka. | |
Zu diesem Zeitpunkt hockten 400 Kämpfer nahe Busurungi im Dschungel. | |
Nachdem Murwanashyakas SMS eintraf, marschierten sie los, nachts um 2 Uhr | |
schlugen sie los. "Ein Überraschungsangriff", erinnert sich Nkindi. "Nach | |
knapp 20 Minuten Feuergefecht zogen wir uns zurück." Im Morgengrauen des | |
10. Mai stürmten sie das Dorf. "Die Soldaten rannten davon", sagt Nkindi. | |
Die Rebellen zündeten die Strohdächer an, das Dorf brannte lichterloh. Sie | |
töteten jeden, dem nicht die Flucht gelang. "Operationsleiter Sirius stand | |
in der Dorfmitte und gab die Befehle", bestätigt Nkindi. Um 6 Uhr rief | |
dieser zum Rückzug. | |
All dies ist genau dokumentiert. Für die Frage der | |
Vorgesetztenverantwortung vor Gericht ist entscheidend: Die Truppen trafen | |
sich zur Besprechung. Danach funkte Sirius seinen Bericht an Brigadechef | |
Kalume, der ihn an Mudacumura via Satellitentelefon weitergab. Mudacumura | |
schickte am nächsten Tag wieder eine SMS nach Deutschland. | |
Für die Rebellen war der Angriff ein Erfolg, so Nkindi - seitdem | |
kontrollieren sie wieder das Gebiet. Sechs Monate nach dem Angriff wird | |
Murwanashyaka am 17. November 2009 in Deutschland verhaftet. | |
## Oberst im Bayern-Trikot | |
Murwanashyakas Verhaftung war "der Anfang vom Ende der FDLR", gesteht | |
Oberst Dmitrie - einer der höchsten FDLR-Kommandeure, die je den Busch | |
verlassen haben. Er war einst im Hauptquartier Sekretär des Oberkommandos. | |
Heute sitzt der große Mann in Mutobo, versteckt seine ergrauten Haare unter | |
einer Kappe mit Deutschland-Flagge und trägt ein Bayern-München-Trikot: | |
"Ich liebe Bayern München" schwärmt er und gesteht: "Viele FDLR-Kämpfer | |
verfolgen die Bundesliga, weil unser Chef in Deutschland lebt." | |
Dmitrie bestätigt: "Jeder einfache Kämpfer kennt den Namen Ignace | |
Murwanashyaka, sie glauben an ihn." Seitdem dieser im Gefängnis sitze, sei | |
die Kampfmoral dahin. Auch er selbst entschied, zu desertieren. Es war eine | |
waghalsige Flucht, die er über ein Jahr lang vorbereiten musste. In dieser | |
Zeit sah er die Führungsstruktur kollabieren. Als am 11. Oktober 2010 | |
schließlich Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana in Paris verhaftet und | |
später an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt | |
wurde, "brach unsere Repräsentanz in Europa endgültig zusammen", sagt er. | |
Die FDLR hat sich jetzt eine neue, provisorische Führung gegeben, die nicht | |
mehr in Europa lebt. Die seit 2010 überfälligen Präsidentschaftswahlen | |
wurden auf 2016 zu verschoben. "Alle gehen davon aus, dass Murwanashyaka | |
freigesprochen wird und dann wieder übernehmen kann", sagt Dmitrie. Daran | |
mag er selbst aber nicht glauben. "Ich habe eingesehen, dass wir erledigt | |
sind", nickt er. Noch nie seien so viele Kämpfer geflohen wie nach der | |
Verhaftung: Laut UN-Zahlen knapp 1.600. Insgesamt brachte die UNO seit 2002 | |
rund 10.000 ruandische Hutu-Kämpfer aus dem Kongo zurück in ihre Heimat. | |
Maximal 2.000 sollen noch übrig sein. | |
Die Militäroperationen zeigen mittlerweile Wirkung. Viermal hat Kongos | |
Armee das Hauptquartier bei Kimua angegriffen, zuletzt im Januar. Zwar | |
können sie die Hügel im Urwald nicht halten. Doch immerhin: Mudacumura - | |
alt, dicklich und Alkoholiker - musste flüchten. | |
## Auf dem Rückzug | |
Auf einem Hügel über dem Dorf Luvungi stapft Polizeikommandeur Josephat | |
Mutayongwa durch sein Camp. Von hier aus lässt sich die Straße überblicken. | |
Er zeigt auf die Zelte, 93 Polizisten hausen darin auf Feldbetten. Gekocht | |
wird auf einer Feuerstelle. Ein paar Polizisten werkeln an einem Plumpsklo. | |
Mutayongwas Einheit ist seit März hier stationiert. Es ist eine | |
Elitetruppe: Von Polizisten der EU trainiert, mit zwei Fahrzeugen | |
ausgestattet. Wöchentlich kommt die UNO vorbei - ein ehrgeiziger Versuch, | |
einen Vorposten im FDLR-Territorium zu halten. Die Polizisten | |
patrouillieren in den Dschungel hinein, fahren die Straße ab. Am 23. April | |
wehrten sie einen Hinterhalt der FDLR ab. | |
Die Polizeipräsenz zeigt Erfolge: Die FDLR hat sich jenseits des | |
Osa-Flusses zurückgezogen - immerhin sieben Stunden zu Fuß entfernt. Und | |
die vergewaltigte Marie ist froh, dass sich der FDLR-Chef jetzt vor Gericht | |
verantworten muss. "Wenn die deutschen Richter noch Opfer benötigen, die | |
gegen die FDLR aussagen, dann bin ich bereit", sagt sie. | |
2 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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