Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Den Opfern eine Stimme geben
> Sie ist die prominenteste Tutsi-Überlebende des ruandischen Genozids in
> Deutschland: Esther Mujawayo, berichtet, wie sie den Angeklagten
> Onesphore Rwabukombe aufspürte.
Bild: Esther Mujawayo, Soziologin, Traumatherapeutin und Autorin aus Ruanda, be…
FRANKFURT taz | Seit nahezu zwei Jahrzehnten kämpft Esther Mujawayo gegen
das Vergessen. Sie hat den Völkermord überlebt, als 1994 in Ruanda in 100
Tagen eine Millionen Menschen ermordet wurden. Sie ist die bekanntste
Tutsi-Überlebende in Deutschland, und sie ist die lauteste. Die Soziologin,
die seit Jahren in Deutschland als Traumatherapeutin arbeitet, hat es sich
zur Lebensufgabe gemacht, über die Ereignisse in Ruanda aufzuklären.
Zusammen mit ihren drei kleinen Töchtern entkam Mujawayo den Mördern. Ihr
Mann, ihre Eltern, Schwiegereltern, Geschwister und zahllose andere
Verwandte aber wurden 1994 ermordet. Esther Mujawayo fühlte sich damals
"zum Leben verdammt", wie sie heute sagt. "Reden, reden, reden", das habe
auch ihr selbst geholfen.
Jetzt hat sie vor Gericht geredet, zwei Tage vor dem 17. Jahrestag des
Völkermordes. Esther Mujawayo stand am 4. April als Zeugin im Prozess vor
dem Oberlandesgericht Frankfurt gegen einen der mutmaßlichen Täter,
Onesphore Rwabukombe, während des Völkermordes Bürgermerister in Ruanda.
Dem Angeklagten wird Völkermord und Mord vorgeworfen. Die Zusammenarbeit
der 53jährigen Mujawayo mit Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) trug
maßgeblich dazu bei, dass der 54jährige Rwabukombe jetzt vor Gericht steht.
Durch ihre Bekanntheit war die Staatsschutzabteilung des BKA auf die
Ruanderin aufmerksam geworden.
Es gäbe eine Stelle bei der Polizei, die auf der Suche nach flüchtigen
ruandischen Völkermördern sei, erklärt die Zeugin dem Gericht, "die haben
mich kontaktiert." Falls sie Informationen über flüchtige Täter habe, solle
sie das dem BKA sagen. Seitdem versucht Mujawayo ihre Kontakte zu nutzen,
um mutmaßlichen Tätern auf die Spur zukommen. "Ich versuche die Wahrheit
herauszubringen", sagt die 53jährige.
## Das erste Treffen vor Gericht
Esther Mujawayo ist Onesphore Rwabukombe nie begegnet. Vor Gericht treffen
beide erstmals aufeinander. Den Namen aber kennt sie gut. Zuerst habe ihr
eine Freundin aus Belgien von dem ehehmaligen Bürgermeister erzählt. Später
rief sie ein junger Ruander aus Belgien an, der ihr berichtete, dass
Rwabukombe der Mörder seines Vaters sei und in Deutschland lebe. "Er hat
mir von Rwabukombe erzählt und mich gefragt, ob ich weiß, wo er ist."
Der Fall sei so grauenhaft gewesen, dass sie sich sofort an die Beamten des
BKA gewandt habe. Im gleichen Jahr schrieb Interpol Rwabukombe zur Fahndung
aus und die ruandische Generalstaatsanwaltschaft sandte einen Haftbefehl
nach Deutschland. Die deutschen Behörden nahmen die Ermittlungen auf. Im
April 2008 wurde der Mann schließlich verhaftet. Es folgte ein abgelehntes
Auslieferungsgesuch aus Ruanda, die Freilassung Rwabukombes und seine
erneute Festnahme aufgrund neuer Ermittlungen, die jetzt zum Prozess
führten.
Viele Leute hätten sie inzwischen angerufen und ihr von Rwabukombe erzählt,
sagt Esther Mujawayo. Sie nennt eine Augenzeugin, die ihr berichtet hat,
dass der Angeklagte Vergewaltigungen und Morde angewiesen und organisiert
habe. Ein Mann aus dem Heimatort Rwabukombes rief sie an und fragte, "ob
ich weiß wo Rwabukombe ist. Er sagte, dass dieser zusammen mit Gatete den
Genozid in ihreen Gemeinden organisiert hat." Gatete war der Bürgermeister
von Murambi gewesen, der Nachbargemeinde der Gemeinde des Angeklagten, und
während des Völkermordes Direktor im ruandischen Frauenministerium. 2002 in
Kongo-Brazzaville verhaftet, wurde er am 29. März 2011 UN-Ruanda-Tribunal
im tansanischen Arusha wegen Völkermordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
## Bürgermeister waren höchste Autorität
Von der Verurteilung Gatetes hört der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel
während der Vernehmung Esther Mujawayos offensichtlich zum ersten Mal,
obwohl sie für das Rwabukombe-Verfahren von erheblicher Bedeutung sein
könnte: es geht um Massaker in benachbarten Orten und um die Stellung von
Bürgermeistern. "Die Bürgermeister waren die höchste Autorität", erklärt
Mujawayo, deren Anweisungen habe sich niemand widersetzen können.
Als Esther Mujawayo die Augenzeugin erwähnt, die mit ihr Kontakt aufnahm,
fordert der Richter sie auf, die Telefonnummer der Augenzeugin laut
vorzulesen. Die meisten der Anwesenden im Publikum schreiben die Nummer
mit. Das bemerkt auch Richter Sagebiel und fordert die Zuschauer zur
Zurückhaltung auf. Er hoffe, dass niemand aus dem Zuschauerraum "vor hat
mit der Zeugin Kontakt aufzunehemen." Diesen eindringlichen Apell
wiederholt der Richter mehrfach - ohne dabei einen der wenigen Ruander im
Zuschauerraum aus den Augen zu lassen.
Esther Mujawayo wertet den Prozess trotz solcher Merkwürdigkeiten als einen
Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Sie will den Opfern eine Stimme geben.
Denn den meisten Überlebenden, erklärt sie, sei es bis heute fast
unmöglich, über das Erlebte zu sprechen. "Wer überlebt hat, der ist von
Grund auf erschöpft. Man hat keine Worte für das Unsagbare. Ich will
darüber reden, damit nie wieder jemand sagen kann, wir haben nichts
gewußt."
12 Apr 2011
## AUTOREN
M.-C. Bianco
## TAGS
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kriegsverbrechen im Kongo: Terror per Textnachricht
Die ruandische Miliz FDLR mordert und vergewaltigt in Ostkongo, macht die
Region unregierbar. Über Täter und Opfer, die sich nun trauen zu reden.
Ruanda-Völkermordprozess: Alles wissen, nichts sagen
Im Völkermordprozess gegen Exbürgermeister Rwabukombe aus Ruanda wegen
Massakern an Tutsi sprechen nur die Opfer. Wer den Angeklagten kennt,
schweigt.
Bildungsentwicklung in Ruanda: Mit Laptops aus der Stunde null
Der Völkermord-Staat versucht sein Bildungswesen mit viel Aufwand aus dem
Mittelalter herauszubeamen. Aber Laptops allein machen noch keine
Wissensgesellschaft.
Ruandische Hutu-Miliz FDLR: Reden von Frieden, aufrüsten für Krieg
Die Regierung verhandelt mit der ruandischen Hutu-Miliz FDLR über die
Auflösung ihres Militärhauptquartiers. Ob dieses Angebot ernst ist, bleibt
zu bezweifeln.
Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Die seltsamen Freunde
Der angeklagte ruandische Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe war auch im
deutschen Exil politisch aktiv. Sogar der Präsident der Hutu-Miliz FDLR
unterstützte ihn.
Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: "Das ist ein Tutsi, ja"
Wie spricht man vor einem deutschen Gericht über den Völkermord in Ruanda?
Ein Besuch beim Prozess gegen den Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.