# taz.de -- Bildungsentwicklung in Ruanda: Mit Laptops aus der Stunde null | |
> Der Völkermord-Staat versucht sein Bildungswesen mit viel Aufwand aus dem | |
> Mittelalter herauszubeamen. Aber Laptops allein machen noch keine | |
> Wissensgesellschaft. | |
Bild: Junge Schüler aus Afrika: Bildung mit Hilfe von Computern steht in Ruand… | |
KIGALI taz | Wenn man aus der Stadt zur Kagugu-Schule will, fährt man durch | |
einen Ort namens Nyarutarama. Ein Villenviertel, kleine Paläste hinter | |
Mauern, auch die großen Hilfsorganisationen wohnen schick. Links in der | |
Senke glitzert ein See, dahinter spielen sie Golf. Spötter nennen das | |
Viertel "Vive la guerre o Congo". Schwarzgeld und Blutdiamanten aus dem | |
Nachbarstaat bauen hier mit großer Geste - Kigali ist sicher, Ruanda ruhig | |
und Nyarutarama entwickelt sich rasant. Wo jetzt ein Mercedes in der Sonne | |
glänzt, trotteten vor fünf Jahren Ziegen über Weiden. | |
Die geteerte Ausfallstraße ist neu. Ein Geschenk der Chinesen. Die Groupe | |
Scolaire Kagugu liegt weiter nordwestlich, wo der Blick schon über Felder | |
schweift. Hinter dem Eingangstor steht Jonathan mit einer Rute. Damit | |
vertreibt er die neugierigen Kinder, die trotzdem als Pulk, als Horde aus | |
Armen, Beinen und Winken dem "Muzungu", dem Weißen, entgegenstürmen. Sie | |
lachen und schreien und wollen anfassen, ehe sie jubelnd vor der Rute | |
davonspritzen. | |
Rund 3.000 Schüler gehen auf die Kagugu-Schule, der junge Direktor Edouard | |
Nizeyimana erklärt, dass es eine Kombination aus Grundschule und | |
weiterführenden Jahrgängen ist, die auch Re-Integrationsklassen hat. | |
Klassen also, in denen die vielen Schulabbrecher nach Jahren wieder an den | |
Unterricht gewöhnt werden. Jetzt grade ist Pause. Der Direktor zeigt gerne | |
die einstöckigen Backsteingebäude, klassenzimmerbreit, mit blauen | |
Metalldächern. Simple Bauten sind es, sauber geputzt, die Wände frisch und | |
gelb verputzt. Die Fenster ohne Glas aber mit Gittern: Die Schule ist ein | |
Kontrast zum Wohnviertel, das sich schon bald um sie herumdrängen wird. Die | |
Schule ist staatlich, der Reichtum privat. | |
Die Zahlen, die Weltbank und die Entwicklungabteilung UNDP der Vereinten | |
Nationen für Ruanda bereithalten sind zumeist von 2008. Keine dreieinhalb | |
Jahre waren damals die Erwachsenen durchschnittlich zur Schule gegangen, | |
aber schon 95,6 Prozent der Kinder besuchten eine Grundschule. Nur etwas | |
mehr als die Hälfte beendeten sie ordnungsgemäß. Auf einen Grundschullehrer | |
kamen knapp 70 Kinder. | |
Ruanda ist das Land mit der dichtesten Besiedelung Afrikas, über 10 | |
Millionen Menschen drängen sich auf einer Fläche, kaum größer als | |
Mecklenburg-Vorpommern. Die Hügel sind bis zur Kuppe von Feldern | |
zerschnitten, über zwei Drittel der Ruander leben von der Landwirtschaft. | |
## Landschaft aus Elend und Zerstörung | |
Das Land entwickelt sich rasant. Und doch, der Ausgangspunkt, die Stunde | |
null ist allen gegenwärtig. Nach dem Genozid von 1994 beschreibt Gérard | |
Prunier in "Africa's World War" Ruanda als eine "Landschaft aus Elend und | |
totaler Zerstörung". Das Land galt als eines der aussichtslosesten des | |
Kontinents. | |
Doch Ruanda wurde kein neues Somalia. Dafür gab es viele Gründe, sicherlich | |
auch die straffe, vielleicht autoritäre politische Führung. Teil des Plans | |
von Präsident Paul Kagame ist es, Entwicklung über Bildung anzustoßen: Es | |
gibt kaum Rohstoffe, also muss Ruanda auf dem Weg zur eigenen Identität | |
eine Dienstleistungsnation werden. | |
Der Rückgriff auf Ruandas Vergangenheit ist allgegenwärtig. Wenn der | |
Bildungsminister sein Leitmotiv ausgibt, "Ignoranz und Analphabetismus | |
bekämpfen", dann schwingt dahinter die grausame Erfahrung des Genozids. Im | |
Zuge dessen wurden die meisten Schulen zerstört und viele Lehrer ermordet. | |
Noch heute fehlen Schulgebäude und qualifiziertes Personal. Die | |
Klassenräume können die Flut der Schüler kaum beherbergen. Der Human | |
Development Index von 2010 platziert Ruanda auf Rang 152 von 169 Ländern. | |
Außer Afghanistan kommen alle Länder, die schlechter abgeschnitten haben, | |
aus der Sub-Sahara. | |
Wer aber von den Möglichkeiten des Landes und den technischen Neuerungen | |
hören möchte, muss Nkubito Bakuramutsa im Bildungsministerium, Erdgeschoss | |
links, besuchen. Bakuramutsa, vor 41 Jahren im Exil geboren, hat in den USA | |
Computertechnik studiert und war an der Modernisierung des Landes | |
beteiligt: Glasfaserkabel wurden im Land verlegt, entlegene Regionen an | |
Strom und Internet angeschlossen, in Kigali basteln sie an flächendeckendem | |
W-LAN. Die Computerisierung ist nicht das einzige ehrgeizige Projekt. Etwa | |
stellte das Land fix von Französisch als Unterrichtssprache auf Englisch um | |
- angesichts der wenigen englischsprachigen Lehrer ein babylonisches | |
Unterfangen. | |
## Wissensgesellschaft mit Dienstleistungsökonomie | |
Dennoch, mit den Computern geht es schnell in der traditionell | |
obrigkeitshörigen Gesellschaft voran, das Ziel klingt gewaltig: "Wir | |
versuchen aus einem rückständigen Bauernstaat eine Wissensgesellschaft mit | |
einer Dienstleistungsökonomie zu machen", fasst Bakuramutsa die Idee | |
zusammen. | |
Allerdings handelt es sich bei der Bildung nicht nur um ein von Oben | |
verhandeltes Dekret - fast die Hälfte der Ruander ist mittlerweile nach dem | |
Genozid geboren. Allerorten reibt man sich vor lauter Bildungshunger die | |
Augen: Kinder erzählen, dass sie gerne zur Schule gehen. Computeringenieur | |
ist ein beliebter Berufswunsch. Die etwas Älteren studieren, "um mein Land | |
zu verbessern". Auch wenn sie das Ausland im Blick haben, sagt dann zum | |
Beispiel und ganz ernst die Wirtschaftsstudentin Nibagwire Didacienne, 21, | |
"ich würde zurückkommen, ich möchte hier etwas aufbauen." | |
Bildung steht also weit oben auf der Prioritätenliste, deren Überschrift | |
ist, aus Ruanda das Singapur Afrikas zu machen. Man könnte also, wenn man | |
aus Nyarutarama den Weg zur Kagugu-Schule einschlägt, vom Kontrast | |
geblendet und etwas enttäuscht sein, wenn man über den Pausenhof mit dem | |
Fahnenmast geht. So wie die junge Reporterin aus Deutschland, die vor | |
kurzem auf diesem Hof herumlief, sehr bedacht, die weiße Hose nicht staubig | |
werden zu lassen. Nachher moderierte sie mit säuerlicher Miene einen | |
Beitrag ab, der wohl bereits in der Redaktion in Grundzügen festgestanden | |
hatte: Technologischen Fortschritt gäbe es ja nur in der Schule, im Alltag | |
sähe es düster aus - so weit sei alles gar nicht im Land. | |
Tatsächlich können heute nach Unesco-Angaben 77,2 Prozent der Jugendlichen | |
unter 24 Jahren Lesen und Schreiben - aber 2008 gingen dennoch nur 4,8 | |
Prozent auf eine Hochschule. Dem Ansturm sind die Bildungsinstitutionen | |
kaum gewachsen, es fehlt an Infrastruktur und der Staat kommt mit der | |
Ausbildung von Lehrern nicht hinterher, nicht nur im Englischen. | |
Man kann dies aber auch anders sehen, etwa wie Eugene Nyabutsisi. Er kann | |
vom Land in die Kagugu-Schule kommen. Eugene wohnt in einer ärmlichen | |
Siedlung, Trampelpfade winden sich um Lehmbauten, Hühner gackern, die | |
Toilette ist ein Loch im Boden: afrikanische Realität. Eugene ist 15 Jahre | |
alt und jeden Morgen geht er die zwanzig Minuten hügelab zur Kagugu-Schule. | |
Sein Vater hat dann die Hütte, in dem es ganze zwei Glühbirnen gibt, längst | |
verlassen: Er ist Tagelöhner, schafft es kaum, die Familie über Wasser zu | |
halten. | |
Wenn sein Sohn Eugene zur Schule kommt, erwarten ihn dort nicht nur | |
Mathematik und Geografie, Englisch und Geschichte, sondern der Junge, der | |
zu Hause Trinkwasser aus einem Brunnen schöpfen muss und genau ein paar | |
abgetragene Schuhe hat, lernt die Fächer am Laptop. "Ich freue mich auf die | |
Schule", sagt er "auch wegen der Mudasobwa", der Computer. | |
## Von der Schule auf den Schwarzmarkt | |
Etliche Unterrichtseinheiten finden mit Rechnern aus dem "One Laptop Per | |
Child"-Programm statt. Überwacht wird das Programm von Herrn Bakuramutsa. | |
In jedem Distrikt Ruandas seien drei Schulen ausgesucht worden, um mit | |
Strom und Internet versorgt zu werden. "Unser Ziel ist es, alle Schulen | |
anzubinden, allen Ruandern Zugang zum Netz zu verschaffen." Das alles in | |
einem Land, in dem knapp 100.000 Haushalte an das Stromnetz angeschlossen | |
sind. | |
Natürlich, sie mussten den Umgang mit den Geräten lernen: Anfangs durften | |
die Schulkinder die Rechner mit nach Hause nehmen, und so fand manch ein | |
Computer sehr schnell den Weg auf den kongolesischen Schwarzmarkt. | |
Verständnisschwierigkeiten verkürzten manche Lebensdauer: Es gab Eltern, | |
die den Rechner sorgfältig mit dem Geschirr abwuschen, und in vielen | |
Schulen gab es Computer - nur keinen Strom. | |
Mittlerweile hat das Programm an Struktur gewonnen. Direktor Nizeyimana | |
schickte seine Lehrer zur Fortbildung, Unterrichtsstoffe wurden | |
aufbereitet, die Rechner bleiben in den Schulen: Nach Angaben der weltweit | |
operierenden "One Laptop"-NGO hat Ruanda 100.000 der Rechner zum Stückpreis | |
von 180 US-Dollar bestellt und erhalten, 20.000 kamen als Spenden. Im | |
übrigen Afrika wurden grade einmal 14.500 Geräte verteilt. | |
Etwa fünfzig Schüler drücken sich jetzt in die Holzbänke, stecken die | |
Stromkabel ein. Wenn die sehr disziplinierte Klasse jetzt ihren weißgrünen | |
Rechner aufklappt, ist dies auch ein Ergebnis von politischem Willen. | |
Wer die ruandischen Bildungskennziffern mit denen der direkten | |
Nachbarstaaten vergleicht, kann die Anstrengung erahnen, die dahintersteht: | |
Ruanda steht oft schlechter da, hatte bei Weitem die schlechtere | |
Ausgangslage, aber eine raschere Entwicklung: Schon jetzt soll die | |
Schulzeit der Kinder länger dauern als im Kongo oder in Uganda, der Kampf | |
gegen den Analphabetismus brachte in der Region die höchste Steigerung der | |
Rate derjenigen, die nun Lesen und Schreiben können. An die erheblich | |
reicheren Nationen Kenia und Tansania, aber auch an den Nachbarn Uganda | |
kommen sie nicht heran. | |
## Nach den Aufgaben im Netz surfen | |
Der Mathe-Unterricht geht dem Ende zu, nach den Aufgaben dürfen die Kinder | |
im Netz surfen. Mit gebührendem Stolz erklären Neunjährige dem Reporter die | |
afrikanischen Wurzeln des amerikanischen Präsidenten, suchen nach Berlin im | |
Internet. | |
Auf dem Hof steht Eugene in der blauen Schuluniform. "Gehst du gelegentlich | |
nach Nyarutarama?" Eugene schüttelt den Kopf. Dann grinst er breit: Wenn er | |
bald den Rechner mit nach Hause nehmen darf, will er mehr Zeit auf dem | |
Parkplatz eines Einkaufszentrums verbringen. "Da gibt es einen guten | |
Empfang." | |
20 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Lennart Laberenz | |
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