# taz.de -- Prozess wegen Beteiligung am Völkermord: Von den Toten eingeholt | |
> In Deutschland war Onesphore Rwabukombe als Flüchtling gut integriert. In | |
> Ruanda erinnern sich Überlebende und Mittäter des Genozids an ihn als | |
> Freund von Killern. | |
Bild: Kirche in Kiziguro, Ruanda. Hier wurden am 11. April 1994 mindestens 1500… | |
Es ist ein schmuckloses, aber gepflegtes Haus, mit grauem Putz und einem | |
Gartenzaun aus Bambusstängeln. Die Nummer 03/10 prangt in Schnörkeln über | |
der Eingangstür. Hier, im Stadtviertel Cyivugiza in Ruandas Hauptstadt | |
Kigali, lebte einst Onesphore Rwabukombe mit Frau und zwei Kindern. Im | |
Volksmund heißen diese Straßen das "deutsche Viertel", weil die Häuser | |
unter Beteiligung einer deutschen Firma errichtet wurden, erzählt eine | |
Nachbarin. Sie lebte vor dem ruandischen Völkermord Tür an Tür mit | |
Rwabukombe. Er war Ende der achtziger Jahre der Verwalter, bei ihm mussten | |
die Anwohner monatlich die Raten abzahlen. "Er war eigentlich ein netter | |
Mann", sagt sie. | |
Die Nachbarin, nennen wir sie Christine, verlor beim Völkermord Vater, | |
Mutter und Geschwister. Aus Angst will sie ihren wirklichen Namen nicht | |
veröffentlicht wissen. Sie sitzt auf ihrem Sofa und kramt Dokumente des | |
lokalen Dorfgerichts Gacaca hervor, vor dem sie als Zeugin ausgesagt hat. | |
Onesphore Rwabukombe wurde dort am 6. Januar 2010 in Abwesenheit als | |
Drahtzieher von Massakern im April 1994 schuldig gesprochen. In den Tagen | |
vor dem Morden sei Rwabukombe mit Einwohnerlisten durch Cyivugiza gezogen, | |
erinnert sich Christine. "Er hatte bewaffnete Männer dabei, denen er die | |
Häuser der Tutsi-Bewohner zeigte", sagt sie. Ihre Schminke zerläuft mit den | |
Tränen, die ihr über die Wange rollen. | |
Rwabukombes Frau Celine - damals nannte sie sich Solina - hatte 1994 neben | |
dem Gemeindehaus eine Bar, nicht viel mehr als ein grüner Container mit Tür | |
und Fenster. Die Gäste hockten abends auf Plastikstühlen auf der Wiese | |
zwischen dem Container und dem knallblau gestrichenen, kreisrunden | |
Gemeindehaus. Rwabukombes Haus liegt einige hundert Meter entfernt an der | |
staubigen Straße. | |
Ein MG auf der Ladefläche | |
Die Stühle sind heute verschwunden, die Wiese ist ein staubiger | |
Volleyballplatz ohne Netz, Solinas Container liegt verwaist. Die einstige | |
Kneipe wirkt wie ein Mahnmal. Sie erinnert Christine stets an jene Tage im | |
April 1994, als die Hutu-Milizen "Interahamwe" durch das deutsche Viertel | |
zogen, um Tutsi zu finden. Der Hutu Rwabukombe, damals 37 Jahre alt, war zu | |
jener Zeit Kreisvorstandsmitglied der damaligen ruandischen | |
Regierungspartei MRND sowie Bürgermeister der Gemeinde Muvumba im Norden | |
des Landes. | |
Christine weiß noch, wie in der Zeit zuvor der Pick-up mit dem Emblem der | |
Gemeinde Muvumba an der Fahrertür durch die Straße rauschte - mit | |
bewaffneten Soldaten und einem Maschinengewehr auf der Ladefläche. Meist | |
sei er nur am Abend oder an den Wochenenden da gewesen, ansonsten | |
organisierte er die Flüchtlingslager für seine Gemeinde im Osten Ruandas. | |
Muvumba selbst war für Bürgermeister Rwabukombe nicht mehr zugänglich: Die | |
Tutsi-Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) des heutigen | |
Präsidenten Paul Kagame hatten es 1990 besetzt, die Hutu flohen. | |
Bevor das Massenschlachten am 7. April 1994 begann, habe sie Rwabukombe am | |
Abend des 5. April in der Bar seiner Frau gesehen, erinnert sich Christine. | |
Er trank mit stadtbekannten Interahamwe, darunter Noel Hitimana, Journalist | |
beim Hetzradio RTLM, Präfekt François Karera, der inzwischen vom | |
UN-Völkermordtribunal für Ruanda eine lebenslange Haftstrafe erhalten hat, | |
und Interahamwe-Führer Robert Kajuga, heute ebenfalls verurteilt. Später | |
hätten sich diese Männer, jedoch nicht Rwabukombe regelmäßig nach den | |
Massakern im Gemeindehaus hinter verschlossenen Türen versammelt, berichtet | |
sie. Danach saßen sie draußen und bestellten bei Solina Bier. Interahamwe | |
hätten in Rwabukombe Haus übernachtet. | |
Flucht nach Deutschland | |
Fast 17 Jahre später beginnt am Dienstag vor dem Oberlandesgericht | |
Frankfurt der Prozess gegen Rwabukombe - der erste in Deutschland gegen | |
einen Ruander wegen Beteiligung am Völkermord. Die Staatsanwaltschaft | |
beschuldigt Rwabukombe, für den Tod von 3.730 Menschen verantwortlich zu | |
sein. | |
Deutschland ist seit 2002 die neue Heimat Rwabukombes, seiner Frau und der | |
mittlerweile drei Kinder. Ende April 1994 flüchteten sie nach Tansania, | |
dann nach Zaire, in die heutige Demokratischen Republik Kongo, zunächst ins | |
Flüchtlingslager Mugunga und dann in die Stadt Kisangani, von dort durch | |
den Dschungel nach Brazzaville, der Hauptstadt der benachbarten Republik | |
Kongo. 2002 flogen sie nach Frankfurt. | |
Der Ingenieur Rwabukombe spricht fließend Deutsch, er studierte dank der | |
Ruanda-Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz und mithilfe eines | |
Stipendiums 1982-85 Straßenbau in Trier. Rwabukombe stellte nach seiner | |
Einreise für sich und seine Familie einen Asylantrag. Zunächst lebten sie | |
im Asylbewerberheim Gerolzhofen bei Würzburg. Ihr Antrag wurde abgelehnt, | |
das Gericht zweifelte an der Echtheit der Geburtsurkunde der Tochter. Die | |
Familie zog weiter - nach Bayreuth, nach Schweinfurt, schließlich nach | |
Erlensee bei Frankfurt am Main. | |
Dort bekam sie 2007 Asyl. In Erlensee hat sich die Familie gut integriert. | |
Solina - jetzt Celine - absolvierte im Kindergarten ein Praktikum. Mit | |
ihren türkischen Nachbarn verstehen sie sich gut. Die Bedienung der | |
Eisdiele an der Hauptstraße nickt den Rwabukombes freundlich zu. | |
Für Rwabukombe kam die erste Verhaftung daher völlig überraschend. Auch er | |
und seine Frau hätten viele Angehörige verloren, sagt er, ihre Familien | |
seien ethnisch gemischt. Rwabukombe fürchtet, Kagames Geheimdienst sei | |
hinter ihm her. Der heutige Präsident Ruandas wolle die Hutu-Elite | |
auslöschen. Deswegen betrachtet er seine Verhaftung als politisches | |
Manöver. | |
Doch seit 2007 steht Rwabukombe auf der Interpol-Fahndungsliste sowie auf | |
Platz 435 der von Ruandas Justiz meistgesuchten für den Genozid | |
Verantwortlichen. Ruandas Generalstaatsanwaltschaft sandte damals einen | |
Haftbefehl nach Deutschland. Die deutschen Behörden nahmen Ermittlungen | |
auf. Im April 2008 wurde Rwabukombe in der Ausländerbehörde Gelnhausen | |
festgenommen, wo er seine Aufenthaltserlaubnis abholen wollte. Bis November | |
2008 blieb er in Untersuchungshaft. | |
Dann wurde seine Auslieferung nach Ruanda abgelehnt, Rwabukombe kam frei. | |
Zwei Tage vor Heiligabend kam er erneut in Untersuchungshaft. Nachdem der | |
Bundesgerichtshof den Haftbefehl im Mai 2009 wegen "nicht ausreichender" | |
Zeugenaussagen erneut aufhob, ermittelten die deutschen Behörden direkt in | |
Ruanda. Am 26. Juli 2010 wurde Rwabukombe wieder festgenommen. | |
Seine Anwältin Natalie von Wistingshausen spricht jetzt von einer "schweren | |
psychischen Belastung". Für Völkermord gilt in Deutschland allerdings das | |
Weltrechtsprinzip, das heißt, die deutsche Justiz darf selbst dann tätig | |
werden, wenn die Taten nicht in Deutschland begangen wurden und der | |
mutmaßliche Täter kein Deutscher ist, sondern sich lediglich in Deutschland | |
aufhält. So steht Rwabukombe jetzt vor einem deutschen Gericht. Mehrfach | |
hat Ruandas Generalstaatsanwalt Martin Ngoga die deutschen Ermittler in | |
Ruanda willkommen geheißen. Er hat ihnen "unbeaufsichtigten Zugang zu | |
Zeugen, Tatorten und mutmaßlichen Mittätern gewährt", sagt er. | |
In Ruandas Gefängnissen hätten viele Männer etwas über Rwabukombe | |
auszusagen. Ein bulliger Mann, dessen Name nicht genannt werden kann, da er | |
selbst noch nicht verurteilt ist, sitzt in rosafarbener Häftlingskleidung | |
in einem kahlen Zimmer in Kigali. Der Mann begrüßte Onesphore Rwabukombe | |
einst in Murambi, als er dort nach 1990 auf der Flucht aus seiner Gemeinde | |
ankam. Bürgermeister von Murambi war damals Jean de Dieu Mwange. Er hat | |
sich inzwischen vor einem Gacaca-Gericht in Ruanda schuldig bekannt, | |
Massaker befohlen zu haben, und sitzt im Gefängnis - lebenslang. | |
Rwabukombe soll mit Mwange den Plan ausgeheckt haben, alle Tutsi in der | |
Region zu töten. Regelmäßig hätten sich ab 7. April 1994 die Bürgermeister | |
aus den umliegenden Kommunen, auch Rwabukombe, vormittags in der Kantine | |
gegenüber der Gemeindeverwaltung in Murambi getroffen, um die Massaker | |
vorzubereiten. Am 11. April sei bei einem solchen Treffen beschlossen | |
worden, die über 1.200 Tutsi zu töten, die sich in die Kirche von Kiziguro | |
geflüchtet hatten. | |
Noch am selben Tag begann das Massenmorden. Rwabukombe und die übrigen | |
Bürgermeister hatten Gewehre und Macheten aus Kigali erhalten, die sie an | |
die jungen Männer der Interahamwe verteilten. Rwabukombes Miliz sei | |
besonders grausam gewesen, erinnert sich der Mittäter, selbst ein | |
Interahamwe-Anführer. Als er in Kiziguro eintraf, habe Rwabukombes Miliz | |
bereits mit dem Töten begonnen. | |
Blumen auf dem Altar | |
Die Kirche in Kiziguro ist ein lang gezogener Ziegelbau mit bunten | |
Fenstern. Die Holzbänke, auf denen sich einst Leichen türmten, stehen in | |
Reih und Glied. Frische Blumen schmücken den Altar. Für die Menschen in | |
Kiziguro bleibt unvergesslich, was hier geschah. Zahlreiche Überlebende | |
berichten, sie hätten Rwabukombe auf dem Kirchplatz gesehen, als drinnen | |
gemordet wurde. | |
Auch Claudine Nyirandegeya hatte in der Kirche Schutz gesucht. Nach dem 7. | |
April 1994 kamen immer mehr Tutsi gelaufen. Die Kirche war voll von | |
weinenden Kindern und ängstlichen Frauen. Die heute 56-Jährige hatte Glück. | |
Am Abend des 10. April versteckte sie sich mit ihren Kindern außerhalb der | |
Kirche. Am nächsten Tag stürmten die Interahamwe das Gebäude. Rwabukombe | |
habe den Befehl gegeben, Granaten zu werfen. | |
In einem deutschen Gerichtssaal werden diese Grausamkeiten wohl | |
unvorstellbar bleiben. Den Überlebenden gibt es trotzdem ein bisschen | |
Seelenfrieden, dass jetzt ein Gericht die Rolle von Onesphore Rwabukombe | |
beim Völkermord untersucht. | |
18 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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