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# taz.de -- Plädoyer im Ruanda-Völkermordprozess: Freispruch, auch wenn es we…
> Die Verteidigerinnen des Angeklagten Rwabukombe sagen im
> Abschlussplädoyer: Es gibt keine Beweise. Außer wertlose Zeugenaussagen
Bild: Onesphore Rwabukombes Anwältinnen Natalie von Wistinghausen (li.), Kerst…
FRANKFURT taz | Ihr vordergründig überzeugendstes Argument hob sich Natalie
von Wistinghausen in ihrem Abschlussplädoyer bis zum Nachmittag auf.
Penibel zählte die Verteidigerin von Onesphore Rwabukombe, der vor dem
Oberlandesgericht Frankfurt wegen Völkermordes in Ruanda 1994 angeklagte
ehemalige ruandische Bürgermeister, auf, wo der Name Rwabukombe alles nicht
vorkommt:
In keiner Zeugenaussage des UN-Ruanda-Tribunals ICTR zum Massaker von
Kiziguro, um das es in diesem Prozess geht und das bereits beim ICTR Thema
im Verfahren gegen Rwabukombes Bürgermeisterkollegen Jean-Baptiste Gatete
gewesen ist. In keiner Akte eines ruandischen Gerichts oder
Gacaca-Dorfgerichts. In keiner ruandischen Akte zu seinen Mittätern. In
keinem ruandischen Justizdokument. Auch nicht in dem Buch, das der Bruder
eines Überlebenden über das Kirchenmassaker geschrieben hat.
„Vor dieser Hauptverhandlung“, so die Anwältin, „wurde der Angeklagte nie
als Beteiligter in Kiziguro erwähnt.“
Die Bundesanwaltschaft hatte eine Woche zuvor in ihrem Abschlussplädoyer
dargelegt, Rwabukombe habe das Massaker mit mehreren hundert Toten auf dem
Kirchengelände von Kiziguro am 11. April 1994 mit befehligt. Damit ist es
nur schwer in Einklang zu bringen, dass kein Zeuge bei bisherigen Prozessen
zu Kiziguro in Ruanda selbst oder beim UN-Völkermordtribunal seinen Namen
erwähnt haben soll.
## Abgelehnt wegen „Bedeutungslosigkeit“
Wobei sich da eher neue Fragen auftun. Einen Antrag der Verteidigung in der
Hauptverhandlung, die Gacaca-Akten aus Ruanda zum Kirchenmassaker von
Kiziguro anzufordern, um zu sehen, ob Rwabukombe erwähnt wird, habe der
Senat abgelehnt, sagt Wistingshausen. Ebenso die Übersetzung des erwähnten
in Ruanda erschienenen Buches. Begründung in beiden Fällen:
„Bedeutungslosigkeit“.
Woher aber will man nun wissen, was in diesen Akten und in diesem Buch
steht? Diese behaupteten Erkenntnisse der Verteidigung sind offenbar in der
Hauptverhandlung weder eingebracht noch geprüft worden. Als Mittel zur
Entlastung des Angeklagten taugen sie also vermutlich wenig - als Grund für
ein Revisionsverfahren allerdings wohl umso mehr.
An mehreren Stellen lässt das Abschlussplädoyer der beiden Verteidigerinnen
am 5. Februar, das am 7. Februar fortgesetzt und beendet worden ist, dieses
Ziel erkennen.
Während die Anklage sich in ihrem Plädoyer auf die Zeugenaussagen stützt,
basiert die Verteidigung ihr Plädoyer darauf, die Zeugenaussagen insgesamt
anzuzweifeln und auch die Legitimität des gesamten Verfahrens grundsätzlich
in Frage zu stellen.
## Ruandas Justiz „nicht unabhängig“
Dieser Prozess behandele „Geschehnisse, die sich von zwanzig Jahren in
einem afrikanischen Land unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges“
abgespielt haben, sagt Kersten Woweries, die Kollegin von Wistinghausen,
zur Eröffnung des Plädoyers. Er betreibe die „Übertragung deutscher
Sachstrukturen auf afrikanische Bürgerkriegsverhältnisse“ und basiere auf
„Zusammenarbeit mit der Exekutive eines diktatorischen Regimes“. Die
ruandische Justiz sei nicht unabhängig und der deutschen nicht
gleichwertig.
Die Argumente für einen Freispruch des Angeklagten, die die Verteidigung zu
Beginn ihres Plädoyers vorbringt, sind dementsprechend eher defensiv.
„Rechtssicherheit“, doziert die Anwältin, „fordert einen Freispruch auch
dann, wenn er weder gerecht noch zweckmäßig erscheint.“ Eine Verurteilung
sei nur dann in Betracht zu ziehen, wenn erwiesen sei, dass die
Geschehnisse „sich ohne jeden verbleibenden vernünftigen Zweifel so und
nicht anders abgespielt haben“. Wenn nicht, mag ein Freispruch „als
ungerechtes Recht erscheinen - jedes andere Urteil wäre aber Unrecht.“
Was geht wohl einem Völkermordüberlebenden durch den Kopf, der solche Worte
aus dem Mund einer deutschen Juristin hört? Es ist aber keiner da, um das
zu hören. Im Plädoyer der Verteidigung ist Ruanda plötzlich wieder ganz
weit weg von Deutschland - so weit, dass dieser Prozess unmöglich zur
Wahrheitsfindung führen kann.
## Wer kannte Ruanda schon vor 1994?
„Die Meisten“ hätten doch von Ruanda vor 1994 nie gehört, sagt die
Verteidigerin, und hätten davon kaum eine Ahnung gehabt, auch der
Sachverständige Gerd Hankel, auf dessen Analyse von Ruanda vor dem Genozid
sich die Anklage weitgehend stützt. „Politische Interessen und
Protagonisten aus Ruanda“ würden „auf die Perzeption der Geschichte des
Völkermordes entscheidenden Einfluss nehmen“ - das ist als Vorwurf gemein .
Es bestünden „große Meinungsverschiedenheiten“ über den Völkermord in
Ruanda. Immerhin verwendet die Verteidigung hier doch mehrmals den Begriff
Völkermord, was sie zu Anfang noch konsequent vermieden hat.
Eine Einflussnahme der ruandischen Behörden auf die Zeugen, die in
Frankfurt ausgesagt haben, sei „weder ausgeschlossen noch erwiesen“, sagt
Wistinghausen und schließt daraus: Der Senat „wird sich nicht auf nicht
überprüfbare Aussagen dieser Zeugen verlassen können“. Ein Urteil könne
sich sowieso nicht nur auf den Zeugenbeweis stützen.
„Die ruandische Regierung instrumentalisiert ihre Bevölkerung“, behauptet
sie; „Zeugen, die etwas Positives über einen Hutu sagen, müssen mit
Anfeindungen rechnen“, und es gebe ein „Kartell der Zeugen, oder auch ein
„Bündnis der Opfer - menschlich nachvollziehbar, rechtlich fatal“.
Was könnte ein Völkermordüberlebender eigentlich tun, damit seine Aussage
in einem Völkermordprozess vor solchen Argumenten Bestand hat? Vermutlich
nichts. Deswegen auch der Rekurs auf Ruandas Justizakten und die fehlende
Nennung des Angeklagten Rwabukombe. Wobei: Würde Rwabukombes Name in
ruandischen Akten stehen, dann würden seine Anwälte das nicht umgekehrt als
Beweis seiner Täterschaft anerkennen, da sie Ruandas Justiz nicht für
objektiv halten, sondern für ein Instrument einer Diktatur.
## Alibi für die Tatzeit „nicht möglich“
Die Kernfrage bleibt unbeantwortet: Wenn Rwabukombe, wie die Verteidigung
in der Hauptverhandlung immer wieder ausgeführt hat, am 11. April 1994, dem
Tag des Massakers gar nicht in Kiziguro war - wo war er dann? Dazu hat es
nie eine Antwort gegeben. Auch jetzt führt die Verteidigerin aus: „Der
Angeklagte hätte den Vorwurf nur dann entkräften können, wenn es ihm
gelungen wäre, nachzuweisen, wo er genau am 11. April war. Dies war für ihn
zwei Jahrzehnte danach nicht möglich.“
Dies zielt auf die Unschuldsvermutung. Der Appell der Anwältin an den
Senat: „Streichen Sie in Gedanken alle Realitätserkenntnisse, die
genausogut dazu passen, dass der Angeklagte nicht in Kiziguro war. Nur was
dann übrigbleibt, zählt.“ Also nichts. Findet die Verteidigung.
In den wenigen Sätzen, die Onesphore Rwabukombe am 7. Februar selbst als
„letztes Wort“ vorträgt, trägt er da auch nicht zur Aufklärung bei. „I…
bin fassungslos über die von Zeugen, die ich nicht kenne, gegen mich
vorgebrachten Anschuldigungen“, übersetzt die Dolmetscherin sein
Französisch. Und er schließe alle Ruander in seine Gebete ein.
Da gibt es sogar Applaus von Rwabukombes Freunden auf den Zuschauerbänken.
Der Vorsitzende Richter Sagebiel greift ein und verbittet sich das
ausdrücklich. Vorsorglich auch für den 18. Februar, wenn das Urteil fallen
soll.
13 Feb 2014
## AUTOREN
Dominic Johnson
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