# taz.de -- Krieg in Nahost: Nur mit Farbe Rot sofort in den OP | |
> In Rafah ist ein Feldspital des Roten Kreuzes die einzige medizinische | |
> Anlaufstelle. Dort kommen oft Dutzende Verletzte auf einmal an. | |
Bild: „Manchmal ist es fast apokalyptisch“. Pflegedienstleiter Simon Rinner… | |
Kairo taz | Vor dem Feldspital des Roten Kreuzes in Rafah herrscht Chaos. | |
Mehr als ein Dutzend Krankenwagen stehen vor dem Areal aus Zelten, warten | |
darauf, dass sie an der Reihe sind, ihre Verletzten auszuladen. Blaulicht, | |
Gehupe. Sanitäter geben Anweisungen. Immer wieder ist das | |
Auseinanderklappen der Ambulanzliegen zu hören, die dann Richtung Eingang | |
geschoben werden. | |
Das Feldspital ist derzeit die einzige Anlaufstelle für die | |
palästinensischen Verletzten nach israelischen Angriffen auf die Stadt | |
Rafah und die Zeltlager in deren Umgebung. Oft kämen, so der deutsche | |
Pflegedienstleiter Simon Rinnert, Dutzende Schwerverletzte auf einmal an. | |
„Dann triagieren wir“, sagt er. | |
Wer sofort operiert werden muss, erhält die Farbe Rot. Diejenigen im | |
kritischen Zustand, die aber noch etwas warten können, bekommen Gelb. Wer | |
noch aufrecht stehen kann, erhält Grün und muss warten, erzählt Rinnert. | |
Er erinnert sich auch gut an seinen ersten Tag im Feldspital. „Wir hatten | |
über 50 Verletzte, einige davon sehr schwer, und über 20 Tote, die | |
gleichzeitig hier angekommen sind. Es war fast schon apokalyptisch“, | |
schildert er. „Während die Leute angekommen sind, haben wir um uns herum | |
Explosionen und Maschinengewehrfeuer gehört. Raketen flogen durch die | |
Luft“. | |
## Kinder vor den Augen zerfetzt | |
Über 80 Prozent der im Feldspital eingelieferten Fälle sind | |
[1][Kriegsverletzte]. Einer von ihnen ist Muhammad Michemar, der ein Bein | |
verloren hat. Er ist der Einzige, der einen israelischen Raketeneinschlag | |
in sein dreistöckiges Familienhaus überlebt hat. 16 seiner Angehörigen sind | |
tot. „Kinder meines Bruders wurden vor meinen Augen zerfetzt, andere sind | |
bis ins Nachbarhaus geflogen. Meine Mutter, und meine Schwestern, mein | |
Bruder, mein Vater, alle waren tot. Mögen sie in Frieden ruhen“, sagt er. | |
Akram Abu Warda wurde bei einem israelischen Angriff auf das Mawasi-Lager | |
Mitte Juli schwer verletzt. Sein Darm lag frei und musste wieder | |
zusammengenäht werden, erzählt der Vater von zwei kleinen Kindern. „Seit | |
zehn Monaten sterben wir hier. Wir gehen zu Bett mit dem Geräusch von | |
Explosionen.“ Er nimmt ein Handtuch und wischt sich die Tränen aus dem | |
Gesicht: „Und wir wachen mit den gleichen Geräuschen auf.“ | |
Als die Bombe einschlug, färbte sich der Himmel rot, erzählt Nedaa | |
Muhammad, die ohne Beine auf einem der Betten des Spitals sitzt: „Ich habe | |
nach dem Knall der Explosion nichts mehr gehört und ich hatte keine | |
Schmerzen. Aber alle starrten auf meine zerrissenen Beine. Beide wurden | |
amputiert. Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe. Seit zwei Monaten | |
werde ich jetzt hier behandelt.“ | |
Vor dem Zelt schiebt sich der kleine Saleh Arafat in seinem Rollstuhl über | |
einen Pflasterweg zwischen den Zelten hindurch. Er ist vielleicht 12 Jahre | |
alt. Auf seinem Schoß liegt eine Decke, sie verdeckt den | |
Oberschenkelstumpf eines Beins. „Als die Bomben kamen, habe ich mein Bein | |
verloren. Um mich herum lauter Tote und Verletzte“, erinnert er sich. „Als | |
mein Vater mich wegtrug, gab es um uns weitere Explosionen, bis wir das | |
Auto erreicht haben.“ Am Ende ist er im Rot-Kreuz-Feldspital gelandet. | |
## Respekt für palästinensische Mitarbeiter | |
Über 30 internationale und 200 palästinensische Mitarbeiter und | |
Mitarbeiterinnen kümmern sich hier um die Verletzten. Vor allem für die | |
palästinensischen Mitarbeiter hat Rinnert großen Respekt, sagt er. | |
„Fast alle haben nicht nur eines, sondern mehrere Traumata erlebt. Das | |
macht es schwer, einfach mit seinem Job weiterzumachen“, so Rinnert. „Wenn | |
man sich Gedanken darüber machen muss, wie es der eigenen Familie geht, | |
während gerade irgendeine militärische Operation in dem Flüchtlingslager | |
stattfindet, in dem sie leben.“ | |
Allein von Mitte Juli bis Anfang August wurden über 6.000 Patienten in dem | |
Rot-Kreuz-Feldspital behandelt, Etwa die Hälfte von ihnen waren Frauen. | |
Kinder unter 15 Jahren machten etwa ein Drittel der Patienten aus. | |
Das Deutsche Rote Kreuz hat geholfen, das seit Mai arbeitende Spital | |
medizinisch auszustatten und Fachkräfte bereitzustellen. „[2][Die | |
humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal] und die medizinische | |
Versorgung völlig unzureichend, da viele Krankenhäuser nicht mehr | |
funktionsfähig sind“, erklärt Christof Johnen, der Leiter für | |
Internationale Zusammenarbeit beim DRK. | |
## Eine Frage des Überlebens | |
Der Palästinensische Rote Halbmond habe dringend um Unterstützung gebeten. | |
Angesichts der Erfahrung des DRK mit dem Aufbau und Betrieb solcher | |
Hilfsstrukturen sei es selbstverständlich gewesen, zur besseren Versorgung | |
der Zivilbevölkerung beizutragen, sagt er. „[3][Alle Probleme lösen“, | |
betont Johnen, „kann das Rotkreuz-Feldspital aber natürlich nicht“.] | |
Trotzdem ist eines sicher: Mit dem in Trümmern liegenden palästinensischen | |
Gesundheitssystem im Gazastreifen sind Projekte wie das | |
Rot-Kreuz-Feldspital in Rafah für viele Menschen im Gazastreifen | |
buchstäblich eine Frage des Überlebens. | |
Anmerkung: Da keine Journalisten in den Gazastreifen hineingelassen werden, | |
basiert dieser Text auf dem Material eines vom Autor beauftragten | |
Kameramanns, dem das ICRC exklusiven Zugang zum Rot-Kreuz-Feldspital in | |
Rafah gegeben hat. | |
22 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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