| # taz.de -- Krieg in Äthiopien: Der Himmel war voller Rauch | |
| > Ende Oktober flog Äthiopiens Luftwaffe fast täglich Angriffe auf Mekelle, | |
| > die Hauptstadt der Region Tigray. Ein Augenzeugenbericht. | |
| Bild: Opfer der Bombardierungen in Mekelle im Ayder-Hospital | |
| Dieser Text erreichte die taz vor wenigen Tagen aus der nordäthiopischen | |
| Region Tigray. Der Autor, dessen Identität der taz bekannt ist und der | |
| anonym bleiben möchte, berichtet darin von den Luftangriffen Äthiopiens | |
| Ende Oktober auf Tigrays Hauptstadt Mekelle, die von der aufständischen | |
| TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) kontrolliert wird. Die Rebellen haben | |
| seitdem mit einer Großoffensive in Richtung der äthiopischen Hauptstadt | |
| Addis Abeba reagiert. | |
| Am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg aus Adigrat nach Mekelle, um | |
| bei der UN-Agentur IOM ins Internet zu gehen. Es dauerte länger als | |
| erwartet, denn das Benzin vom Schwarzmarkt war mit Wasser versetzt und das | |
| Auto hatte damit Probleme. Als ich Mekelle erreichte, passierte ich gegen | |
| 10.20 Uhr den Fabrikkomplex Mesfin Industrial Engineering (MIE) im | |
| Nordwesten der Stadt. | |
| Ich war etwa 200 Meter weiter, als ich hinter mir einen lauten Knall hörte. | |
| Mir war klar, dass das ein Luftangriff sein musste, denn zwei Tage vorher | |
| hatte es schon einen gegeben. Ich versuchte zunächst weiterzufahren. Ich | |
| hörte noch mehrere andere Explosionen; später erfuhr ich, dass das von den | |
| Luftabwehrraketen kam. | |
| Die Menschen waren durcheinander, sie liefen in alle Richtungen und wussten | |
| nicht, wohin. Ich musste parken und stellte mein Auto an einem Hotel ab. | |
| Der Himmel von Mekelle war voller Rauch. Ich dachte erst, dass der Angriff | |
| ein Treibstofflager getroffen hat, denn der Rauch war schwarz und kräftig | |
| und stieg wellenartig in den Himmel. Ich fragte einen jungen Mann, was | |
| getroffen worden sei, er antwortete: „Das Krankenhaus von Mekelle.“ Das | |
| beunruhigte mich sehr, ich dachte an die vielen Patienten in der Klinik. | |
| Mit anderen rannte ich dorthin. | |
| Zum Glück war das Krankenhaus doch nicht das Ziel, aber manche seiner | |
| Gebäude waren getroffen worden. Viele Patienten verließen ihre | |
| Krankenzimmer und rannten weg. Die Pflegekräfte versuchten sie zu | |
| überreden, zurück in ihre Zimmer zu gehen. Als mir klar wurde, dass der | |
| MIE-Industriekomplex das Ziel des Luftangriffs war, holte ich mein Auto und | |
| fuhr zum UN-Gebäude. | |
| Die Leute waren sichtlich ängstlich und nervös. Viele sagten: Jetzt müssen | |
| wir gehen und kämpfen. Auch im UN-Büro waren die Leute beunruhigt. Sie | |
| waren damit beschäftigt, ihre Sachen zusammenzupacken, sie liefen hin und | |
| her. Ein Sicherheitsmann aus Somalia vergibt dort die Termine für die | |
| Internetnutzung, ich hatte schon früher zwei Mal mit ihm gesprochen. Ich | |
| bekam einen Termin für nächste Woche. Ich erfuhr auch ein paar Dinge über | |
| den Luftschlag, über die Zerstörung verschiedener Maschinen und einer | |
| Lagerhalle für Reifen. Zwei Ingenieure sollen dort getötet und über 20 | |
| Menschen verletzt worden sein. | |
| Nachdem die föderalen Regierungsstreitkräfte (Äthiopiens Armee; d. Red.) im | |
| Juni geschlagen und aus Tigray vertrieben worden waren, hatte ich neue | |
| Gewalt erwartet. Denn ein Berater des Premierministers (Abiy Ahmed; d. | |
| Red.) sagte, man könne den Krieg beenden, wenn man zehn Bomben auf jede | |
| Stadt in Tigray wirft. Trotzdem schockierte mich der Luftangriff. Die Leute | |
| rannten herum und blickten in den Himmel, um zu sehen, ob neue Bomben | |
| fallen. Es war der erste Luftangriff seit angem, den ich direkt erlebt | |
| habe, ich erinnere mich sonst nur an die Bombardierung von Hawzen 1989, als | |
| ich sieben Jahre alt war und die Kampfjets über mein Bergdorf jagten. | |
| Dieser Luftangriff jetzt ist Teil des Völkermordkrieges gegen die Tigrayer. | |
| Unsere brutalen Feinde haben mit Eritrea und Somalia zwei afrikanische | |
| Länder und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien zwei | |
| arabische Länder gegen uns aufgestellt, außerdem neun äthiopische | |
| Bundesstaaten und andere unsichtbare Verbündete. | |
| [1][Ich sehe das als Teil des Völkermordes gegen Tigray.] Das Ziel des | |
| Luftangriffs war eine der wenigen Fabriken, die noch nicht geplündert und | |
| kaputt waren, das sollte Tigrays Wirtschaft zerstören. | |
| Ich glaube, die Angriffe werden die jungen Leute dazu bringen, in den Krieg | |
| zu ziehen, denn sie werden sich sagen, dass Sicherheit auch dann nicht | |
| garantiert ist, wenn man zu Hause bleibt. Es wird den Kampf der | |
| tigrayischen Kräfte gegen die Bundesregierung und ihre Alliierten befeuern. | |
| Wir befinden uns in einer Totalblockade, seit über 100 Tagen kommt | |
| keinerlei humanitäre Hilfe zu uns, viele Menschen sterben an Hunger. Die | |
| Welt ist ungerecht, wenn man arm ist. Ich beschwere mich nicht darüber, ein | |
| Afrikaner zu sein; ich bin stolz, ein Tigrayer zu sein. Aber alle Afrikaner | |
| schauen zu, wie wir verhungern, und ihre Münder sind verschlossen. Wer kann | |
| Gewalt hören, wenn nicht der Nachbar? Bei uns gibt es ein Sprichwort: Wer | |
| absichtlich schläft, hört nicht, wenn du ihn zu wecken versuchst. | |
| Bomben oder Hunger, Medikamentenmangel oder Covid-19: Kein Tigrayer weiß, | |
| ob er oder sie morgen noch am Leben sein wird. | |
| Aus dem Englischen [2][Dominic Johnson] | |
| 13 Nov 2021 | |
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