# taz.de -- Konsequenzen aus den Heim-Skandalen: Bremen entschuldigt sich | |
> Rot-Grün-Rot will das Leid anerkennen, das Kinder in den | |
> Haasenburg-Heimen erlitten. Derweil wurde der Hilfe-Antrag eines Opfers | |
> zur Seite gelegt. | |
Bild: Ort leidvoller Erfahrungen: Fenster des ehemaligen „Haus Babenberg“ d… | |
HAMBURG taz | Als erstes Bundesland [1][nach Brandenburg] will sich Bremen | |
bei den ehemaligen Bewohnern der Haasenburg-Heime entschuldigen und das | |
dort erlittene Leid anerkennen. Gleiches gilt für die ehemaligen | |
Insassinnen der [2][Friesenhof-Mädchenheime] in Dithmarschen. Es sei | |
überfällig, den Betroffenen „aktive Unterstützung“ anzubieten, heißt es | |
[3][in einem Dringlichkeitsantrag], den die drei Fraktionen Die Linke, SPD | |
und Grünen in dieser Woche in die Bürgerschaft eingebracht haben. | |
Die Haasenburg-Heime wurden 2013 geschlossen, nachdem Missstände bekannt | |
geworden waren, der Friesenhof beendete 2015 den Betrieb. In die beiden | |
Privatheime schickten Jugendämter aus ganz Deutschland Kinder. Aus Bremen | |
waren in der Zeit von 2008 bis zur [4][Schließung 16 Kinder betroffen]. | |
Eine von ihnen ist Christina Witt, die vor einem Jahr, erschüttert durch | |
den [5][Suizid des ehemaligen Mitinsassen Jonas L.], in einer Petition | |
Entschädigung forderte. Die Petition fand über 30.000 Unterstützer. | |
In dem Antrag, der Anfang November debattiert wird, findet Rot-Grün-Rot | |
deutliche Worte. „In beiden Institutionen wurde auf bedingungslose | |
Unterordnung gesetzt, die mit Zwang, Herabwürdigung, zum Teil körperlicher | |
Gewalt, zum Teil mit wochenlangem Freiheitsentzug in 'Einzelhaft’ | |
durchgesetzt wurde“, heißt es dort. Einige der Betroffenen gingen selbst | |
mit leidvollen Erfahrungen an die Öffentlichkeit, Psychologen attestierten | |
ihnen zum Teil „andauernde schwere traumatische Belastungen“. | |
## Schutzlücke für die Jahre 1975 bis 2024 | |
Die Fraktionen sehen aber eine zeitliche „Schutzlücke“, die es höchst | |
unwahrscheinlich mache, dass die Opfer für zugefügte psychische Gewalt | |
entschädigt werden. Zwar habe das Land Bremen sich aktiv an der | |
Aufarbeitung der Nachkriegs-Heimerziehung bis 1970 beteiligt und die | |
Einrichtung der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ für deren Opfer | |
unterstützt. Und ab dem Jahr 2024 werde das heutige | |
Opferentschädigungsgesetz (OEG) in das neue Sozialgesetzbuch (SGB) XIV | |
überführt, sodass ab diesem Zeitpunkt auch eine Entschädigung aufgrund | |
psychischer Gewalt möglich sei. Doch für die Zeit von 1975 bis 2024 fehle | |
so eine Grundlage. | |
Der Bremer Senat solle nun nicht nur eine externe Studie in Auftrag geben, | |
um die konkreten Umstände und Folgen der Unterbringung in Haasenburg und | |
Friesenhof weiter aufzuarbeiten. Im Gespräch dafür ist eine | |
Kulturwissenschaftlerin, die bereits zur Heimerziehung in der NS-Zeit | |
forschte. Der Senat soll sich auch auf der Jugendministerkonferenz dafür | |
stark machen, besagte „Schutzlücke“ zu schließen, etwa durch einen Fond f… | |
die Betroffenen oder eben doch eine Berücksichtigung im neuen SGB XIV. Und | |
zudem sollen den Betroffenen „Gesprächsangebote“ unterbreitet werden. | |
Damit hebt sich Bremen positiv von Hamburg ab, wo sich 2014 der | |
Sozialsenator [6][weigerte mit Müttern von Betroffenen zu sprechen] und das | |
Sozialressort [7][diese Linie bis heute beibehält]. „Hamburg oder auch | |
Berlin sollten sich ein Beispiel an Bremen nehmen und auf die Betroffenen | |
zugehen“, sagt Ronald Prieß vom „Aktionsbündnis gegen geschlossene | |
Unterbringung“, der sich für ehemalige Haasenburg-Bewohner engagiert. | |
Gefragt, was sie vom Bremer Antrag halten, sagt zumindest die Hamburger | |
Grünen-Fraktion, es sei denkbar, dass sie sich einer solchen Initiative | |
anschließen. | |
Der Bremer Antrag konterkariert die [8][Äußerungen der Brandenburger | |
Jugendministerin Britta Ernst] (SPD), die als Reaktion auf Witts Petition | |
erklärt hatte, für eine Entschädigung aufgrund schlechter Pädagogik gebe es | |
„keine Rechtsgrundlage“, diese könne nur individuell nach dem | |
Opferentschädigungsgesetz (OEG) erfolgen. Die Betroffenen könnten sich | |
dafür an die Versorgungsämter wenden. Dort wären auch „die Betroffenen der | |
Haasenburg sehr gut aufgehoben“. | |
## Prozeß um Schließung seit neun Jahren offen | |
Der ehemalige Insasse [9][Renzo Martinez] hat inzwischen in Bremen einen | |
solchen Antrag gestellt. Er war mit 13 Jahren in die Haasenburg gekommen | |
und über längere Zeiträume auf einer Liege fixiert worden. Ein Therapeut | |
attestierte ihm eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung vom | |
Schweregrad eines Kriegsgefangenen. Doch obwohl Martinez Atteste, Material | |
und Zeugen benannte, teilte ihm nun das Versorgungsamt mit, dass man das | |
laufende Gerichtsverfahren zur Schließung der Haasenburg abwarten werde, | |
und Akteneinsicht nehmen werde, sobald dies möglich sei. Das Verfahren | |
werde sich aber noch hinziehen. | |
Die Rede ist von einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Cottbus, bei | |
dem die Heimfirma gegen die Schließung klagte. Nur lässt dieser Prozess | |
schon neun Jahre auf sich warten und wird auch in diesem Jahr nicht mehr | |
angesetzt. Im Eilverfahren hatte die GmbH ihre Klage verloren. | |
Martinez sagt, er verstehe nicht, warum sein individueller Antrag von jenem | |
Verwaltungsprozess abhängen soll. Das Verfahren nach OEG sei ohnehin sehr | |
belastend. „Es ist, als ob man als Opfer auf dem Prüfstand steht. Ich sehe | |
die Gefahr, dass es uns Betroffene retraumatisiert und abschreckt“. | |
Martinez sieht sich psychisch geschädigt durch nicht gerechtfertigte | |
körperliche Zwangsmaßnahmen. Er geht davon aus, dass ihm auch nach jetziger | |
Gesetzeslage OEG-Entschädigung zusteht. | |
Nach dem Fall gefragt, sagt Sozialbehördensprecher Bernd Schneider: „Zu | |
Einzelfällen können wir uns nicht äußern.“ Generell sei es aber so, dass | |
das Versorgungsamt bei Prüfung eines OEG-Antrags alle Unterlagen | |
heranziehen müsse, die „Beweiserheblichkeit“ haben. Es gehe dabei nicht um | |
den Ausgang eines Prozesses, sondern um die Unterlagen. „Das ist auch im | |
Interesse der Betroffenen.“ | |
Renzo Martinez sagt indes, er verstehe dennoch nicht, warum es in seinem | |
Fall auf diese Unterlagen ankomme. „Zumindest mit den Zeugen, die ich | |
benannt habe, könnte das Amt doch schon mal sprechen.“ | |
12 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Neuer-Haasenburg-Bericht/!5048681 | |
[2] /Missstaende-in-Jugendheimen/!5202196 | |
[3] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2022-10-11_Drs-20-1622_aa6b7… | |
[4] /Grosse-Anfrage-zu-Haasenburg-Heimen/!5850328 | |
[5] /Tod-eines-ehemaligen-Heimkindes/!5756902 | |
[6] /Kritik-an-Heimpolitik/!5021932 | |
[7] /Anerkennung-fuer-Haasenburg-Opfer/!5820253 | |
[8] /Gewalt-gegen-Kinder-in-Haasenburg/!5804644 | |
[9] /Betroffener-ueber-Gewalt-im-Jugendheim/!5835597 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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