# taz.de -- Komplexe Rhythmen: Brandt Brauer Frick: Ach, Oper machen die jetzt … | |
> BBF betreten mit ihrem Album „Joy“ das Terrain experimenteller Popmusik. | |
> Nun vertonen sie „Gianni“ in der Tischlerei der Deutschen Oper. | |
Bild: BBF: Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick | |
Fast 20 Jahre ist es her, dass Gianni Versace von Andrew Cunanan ermordet | |
wurde. Zu dem Zeitpunkt war der Modeschöpfer auf dem Höhepunkt seiner | |
Karriere. Sein Mörder, ein Callboy aus New York, sah dagegen wegen einer | |
vermeintlichen HIV-Infektion seine Felle davonschwimmen. Als er Versace vor | |
dessen Haus in Miami niederschoss, hatte er auf einer Amokreise durch die | |
USA bereits vier Menschen getötet und stand ganz oben auf der | |
Fahndungsliste des FBI. | |
Aus diesem Stoff hat der britische Theaterregisseur Martin Butler eine Oper | |
gemacht. Die Musik kommt von dem Berliner Trio [1][Brandt Brauer Frick]. | |
Ach, Oper machen die jetzt also auch? Mit ihrer Musik konnte man doch von | |
jeher Menschen an Techno heranführen, die sich mit elektronischer Musik | |
schwertaten. Die gesetztere Verwandtschaft zum Beispiel. | |
BBF spielten nämlich nicht nur Festivals und in Technoclubs, sondern auch | |
bei Jazztagen. Ihre Tracks brachten sie bisweilen mit einem 10-köpfigen | |
Ensemble in klassische Konzerthäuser und führten die repetitiven Muster | |
elektronischer Tanzmusik mit den Klangwelten klassischer Musik zusammen. | |
Ist Techno endgültig in der Hochkultur angekommen? Schon möglich. Aber das | |
an dieser Band festzumachen greift doch zu kurz. Allein schon, weil das, | |
was man von „[2][Gianni]“ bisher weiß, dem Opernprojekt, das in der | |
Tischlerei, der experimentelleren Nebenbühne, der Deutschen Oper | |
Außergewöhnliches verspricht. | |
Zum Zeitpunkt des Interviews hat die Band gerade vier Probentermine hinter | |
sich und zeigt sich zufrieden darüber, dass sich „alle verstehen und keiner | |
davon genervt ist, dass die anderen anders arbeiten“. | |
Der Cast kommt schließlich aus sehr unterschiedlichen Richtungen: Neben der | |
Sopranistin Claron McFadden und Seth Carico, einem Ensemblemitglied der | |
Oper, wird der Eighties-Pop-inspirierte Alexander Geist auftreten, der | |
theatralische Traditionen von Bowie über Marc Almond bis zu Morrissey | |
zitiert. | |
Durch den Abend führt eine Vogueing-Queen, Amber Vineyard, die | |
„rhythmisch-autoritär skandierend“ in Erscheinung treten wird, wie | |
Schlagzeuger Daniel Brandt grinsend berichtet. Erzählt wird die Geschichte | |
von Versace und seinem Mörder nämlich als Voguing Ball, adaptiert in Form | |
dieser Performance-Art, die aus der afroamerikanischen Queer-Kultur in den | |
Pop-Mainstream eingesickert ist. | |
Dass es Brandt Brauer Frick nicht darum geht, sich in einer geförderten | |
Kulturnische bequem einzurichten, zeigen sie auch mit ihrem vierten Album | |
„Joy“, das Ende Oktober erscheint. Mit dem begeben sie sich stärker denn je | |
auf das Terrain experimenteller Popmusik. Artrock-Anleihen sind dabei – und | |
komplexe Rhythmen, die an Dubstep erinnern. Und, das ist die wohl | |
bemerkenswerteste Neuerung: richtige Songtexte. | |
Das bisherige Trio arbeitet dafür mit dem kanadischen Sänger und Dichter | |
[3][Beaver Sheppard] zusammen, für den Moment ist er ein festes | |
Bandmitglied. Und weil er nicht im Bandnamen vorkommt – „zu kompliziert, im | |
Ausland kommen die Leute schon jetzt nicht klar mit unseren Namen“, erklärt | |
Brandt –, schmückt sein Antlitz das Cover von „Joy“. | |
Dass Brandt Brauer Frick derzeit an zwei Projekten arbeiten, bei denen die | |
menschliche Stimme eine tragende Rolle spielt, erweist sich als zufällige | |
Synchronizität. Schon seit dem Vorgängeralbum „Miami“ interessierten BBF | |
sich dafür, wie sie mit Vocals ihren Sound ergänzen können. | |
Damals arbeiteten sie jedoch eher trackorientiert: „Wir haben die Stücke | |
fertig produziert und uns hinterher einen Sänger geholt“. Diesmal schrieben | |
sie zunächst, ganz klassisch singer-songwritermäßig, eine einfache Version | |
des Stücks. Die Produktion folgte, nachdem Sheppard seine Texte geschrieben | |
hatte. Das Ergebnis: Aus Tracks sind Songs geworden sind, ziemlich | |
seelenvolle Songs. | |
In denen geht es unter anderem um die Frage, wie Menschen in einer | |
postreligiösen Welt, in der wir – zumindest in unserem Teil der Welt – | |
leben, ihr Zusammenleben organisieren. Dabei balancieren BBF Abgründe und | |
Hoffnungsvolles aus: Die Clubkultur taugt ihnen immer noch als positive | |
Utopie, auch wenn sie dieser Tage eher langweilt, was sie auf Dancefloors | |
in aller Welt zu hören bekommen: zu funktionell und stumpf scheint ihnen | |
der Tech-House, dem sie oft begegnen. | |
Dem gegenüber steht die falsche Nähe, die soziale Netzwerke etwa zu Promis | |
herstellt, die so etwas wie „griechische Götter unserer Gegenwart“ geworden | |
sind – glaubt jedenfalls Brandt. „Letztlich sind diese Leute künstliche | |
Produkte, zu denen man nur deshalb ein Gefühl von Vertrautheit entwickelt, | |
weil man sie schon so oft bewegt und sprechend erlebt hat, dank Snapchat | |
und so weiter. | |
Alles läuft über das Telefon, über das man auch mit Freunden redet, deshalb | |
entsteht ein ähnlicher Eindruck. Man geht nicht mal mehr extra ins Kino, wo | |
man vielleicht noch ein erhabenes Gefühl haben kann. Die Geschichten, mit | |
denen man konfrontiert wird, kommen aus dem Alltagsgerät, das man immer bei | |
sich hat.“ | |
Brandt Brauer Frick, das wird bei ihren aktuellen Projekten deutlich, geben | |
sich nicht damit zufrieden, einmal eine gute Idee gehabt zu haben. Sie | |
suchen nach neuen Reibungsflächen, ob nun beim Voguing Ball, oder eben, | |
indem sie sich, mehr denn je in ihrer Karriere, ins unübersichtliche | |
Getümmel der experimentellen Popmusik stürzen. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
30 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.brandtbrauerfrick.de/ | |
[2] http://www.deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/gianni.13814569 | |
[3] http://beavershepherd.com/ | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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