# taz.de -- Kolumne Rollt bei mir: Sichtbar in Rio | |
> Bei den Paralympics in Brasiliens Hauptstadt wurden Hindernisse einfach | |
> aus dem Weg geräumt. Könnte die Welt nicht überall so sein? | |
Bild: Welt, wach auf – reiß die Barrieren ein! Schützen in Rio | |
Am Sonntag sind die Paralympics in Rio zu Ende gegangen. Die sportlichen | |
Ergebnisse sind bekannt, doch wie sah es vor Ort aus? | |
Besonders angetan war ich von den vielen brasilianischen und | |
internationalen Volunteers. Ich bin auf vielen Fotos auf den Smartphones | |
der Helfer verewigt. Ob sie mich für eine Athletin oder irgendeine sonstige | |
Sensation gehalten haben, kann ich nur vermuten. Es kam jedenfalls vor, | |
dass ein Volunteer auf mich mit dem Zeigefinger zeigte, meine Begleitung | |
anschaute und auf Englisch „Athlete?“ fragte. | |
Die HelferInnen wollten alles möglich machen und bekamen das auch hin. | |
Genauso spontan musste es auch beim Abschaffen der einen oder anderen | |
Barriere in den Stadien zugegangen sein; da wurde einfach mal ein bisschen | |
Beton an eine Bordsteinkante gekloppt, und schon war der Bordstein | |
abgesenkt. Ein Gelände ohne Stufe, ohne Hindernis. So könnte die Welt | |
überall sein. | |
Die Klientel, die sich in den Sportstätten bewegte, war ziemlich homogen. | |
Der üblicherweise spürbare Sicherheitsabstand zwischen RollstuhlfahrerIn | |
und FußgängerIn war hier aufgehoben. | |
Fußgänger, die den Umgang mit RollstuhlfahrerInnen nicht gewohnt sind, | |
versuchen normalerweise, die nächste Bewegung eines Rollstuhlfahrers zu | |
erahnen, und springen hektisch im Dreieck davon, wenn man ihnen zu nahe | |
kommt. Als würde man direkt auf die Hacken, auf die Ferse oder die Zehen | |
eines Fußgängers zielen. Immer ist da dieser physische Sicherheitsabstand. | |
Weil die Weite der Räder nicht abgeschätzt werden kann, weil man sich nicht | |
zu nahe kommen will. | |
## Kein exotischer Einzelfall | |
In Rio war man nicht mehr der exotische Einzelfall, man krachte mit den | |
Rollstühlen auch mal zusammen, wie sich Fußgänger eben auch manchmal | |
anrempeln. Man traf sich, starrte sich nicht an, auch wenn die eine oder | |
andere Gliedmaße zu kurz, zu lang war oder fehlte. | |
Die Stadionareale sind riesig, man fuhr mit Shuttles zwischen den | |
Spielstätten hin und her. Es gibt elektrische Rampen an den Bussen, sie | |
werden mit einem eigenen Steuergerät bedient. Der Blick des Busfahrers auf | |
das Steuergerät war stets eine Mischung aus Unsicherheit, Verzweiflung und | |
„Ich würde jetzt gern ein Bier trinken“-Gesicht. Die Siegesrufe der | |
SportlerInnen, die Verzweiflungsbrüllereien – all das wurde übertönt von | |
den schrillend piependen Rampen. | |
Auch im Straßenverkehr wurden die Busse mit den elektrisch betriebenen | |
Rampen eingesetzt. Der Verkehr in Rio de Janeiro ist der helle Wahnsinn, | |
alles ist hektisch und laut. Die sich langsam ausklappenden Rampen wollen | |
nicht so recht in das Bild passen, in dem die Menschen buchstäblich aus den | |
Bussen fallen, während der/die FahrerIn bereits anfährt und erst dann die | |
Türen schließt. So waren die Rampen auch häufiger außer Betrieb, sodass | |
keinE RollstuhlfahrerIn den Verkehr aufhalten konnte. | |
Was bleibt nach den Paralympics in Rio hängen? Die Stadien sind ein | |
abgegrenzter, barrierefreier Raum. Der Rest der Stadt ist nicht viel | |
weiter. Das Mindeste: Die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung war | |
zwei Wochen lang gegeben. | |
23 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Judyta Smykowski | |
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