# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Je brutaler, desto frommer | |
> Auch wenn sich die Stimmen mehren, die das verneinen: Religion ist die | |
> Sprache, in der sich Dschihadisten artikulieren – und das nicht rein | |
> zufällig. | |
Bild: Flagge der IS in Rawah, knapp 300 km von Bagdad entfernt. | |
Ist der Islamische Staat (IS) ein religiöses Phänomen? Die Stimmen, die das | |
verneinen, mehren sich. Es sind meist Muslime, die ihre Religion darin | |
nicht wiedererkennen. Der Politologe Farid Hafez etwa sieht im IS vor allem | |
eine jugendkulturelle Erscheinung mit popkulturellen Attributen – vom | |
IS-T-Shirt bis zur Videoästhetik. Im Unterschied zum Islamismus, der noch | |
einer entwurzelten Moderne angehörte, sei dieser Dschihadismus ein | |
postmodernes Phänomen – eine bricolage unterschiedlicher und | |
widersprüchlicher Versatzstücke. | |
Ein kluger Befund. Aber dennoch lässt sich das religiöse Moment beim IS | |
nicht so leicht durchstreichen. Die Dschihadisten mögen keine Theologen | |
sein, aber die Religion ist die Sprache, in der sie sich artikulieren. Und | |
das keineswegs zufällig. Die Religion – wie verzerrt auch immer – hat eine | |
Funktion für sie. | |
Mit den Dschihadisten trat eine Figur hervor, die man politisch als | |
„Partisan“ einordnet. Ein wichtiger Theoretiker des Partisanentums ist Carl | |
Schmitt. Und der „Kronjurist der Dritten Reichs“ hat auch für postmodernen | |
Faschismus Relevanz. Bei Carl Schmitt eröffnet erst der Legitimitätsverlust | |
bestehender politischer Formen den Raum für die Figur des Partisanen. Erst | |
ein Machtverlust oder ein Machtvakuum ermöglicht den irregulären Kämpfer. | |
Im Unterschied zum Soldaten einer Armee, der ein berechtigter Waffenträger | |
ist, ist der Partisan irregulär in dem Sinn, dass er seine Waffen ohne | |
Berechtigung trägt. | |
Mit der Idee einer „Berechtigung“ soll nicht die Grausamkeit des Tötens | |
verleugnet werden. Aber das Machtmonopol des Staates – so problematisch es | |
auch sein mag – ist zumindest an etwas gebunden: an Regulierungen. | |
Irreguläre Kämpfer agieren jenseits davon. Damit steht aber mit dem | |
Partisanentum der Kern des modernen Staatskonzepts auf dem Spiel: die | |
Hegung von Konflikten. Die Vorstellung also, dass gesellschaftliche | |
Konflikte begrenzt werden – im Politischen und im Militärischen. Die | |
Vorstellung also, auch in eine Ausnahmesituation wie Krieg eine Art von | |
Ordnung zu bringen. Natürlich gibt es immer wieder Verstöße gegen das | |
Kriegsrecht. Aber beim Partisanen geht es nicht um eine Übertretung. Der | |
Partisan ist die grundlegende Infragestellung des Kriegsrechts. | |
## Übertretung des Staatlichen | |
Beim Dschihadismus ist der Kampf gegen die Gegner zugleich auch ein Kampf | |
gegen die Regulierung der Kriegsführung, eine Kampf gegen diese Form der | |
staatlichen Ordnung. Dschihadismus ist auch ein Krieg gegen Hegungen des | |
Krieges. Herfried Münkler hat dies auf den beängstigenden Punkt gebracht: | |
„Die Staaten sind nicht mehr die Herren des Krieges.“ Die Folge davon ist | |
eine völlige Entgrenzung von Gewalt. Und da wird die Religion wichtig. | |
Warum artikuliert sich diese enthemmte Gewalt in einer religiösen Sprache? | |
Es gibt die langen Bärte, die frommen Sprüche und vor allem die | |
mittelalterlichen Hinrichtungsarten trotz modernster Waffen. Durch diese | |
Beschwörung der Vergangenheit versuchen sie, in einer „Hermeneutik der | |
radikalen Gleichzeitigkeit“ (Friedrich Wilhelm Graf), direkt an ihre | |
religiöse Quelle anzudocken. In entlehnten Kostümen und mit geborgter | |
Sprachen, wie es bei Marx heißt, inszenieren sie eine imaginierte religiöse | |
Urszene, die sie zu berechtigten Nachfolgern machen soll. Dies soll sie als | |
Gotteskrieger legitimieren. Solches Einschreiben in die Tiefe und | |
Kontinuität der Zeit entspricht genau dem, was Schmitt unter Legitimität | |
versteht. | |
## Perverse Legitimierung | |
Der IS schlachtet nicht nur, er will und braucht auch eine Legitimierung | |
dafür. Das Perverse ist, dass er diese Legitimität aus der Gewalt selbst | |
bezieht: Die Gewalt gegen eine angeblich sündhafte Welt im Dienste einer | |
„Gottesordnung“ liefert ihm diese Legitimität. Das heißt dann: je brutale… | |
desto frommer. | |
Zugleich ist diese Legitimität aber jener des modernen Staates, also den | |
Formen der Hegung, genau entgegengesetzt. Man kann nur hoffen, dass der IS | |
gestoppt wird. Aber das Problem, das mit ihm aufgebrochen ist, wäre damit | |
noch nicht gelöst: Ordnung im Sinne des modernen Staates als Weg zur | |
Befriedung der Region ist gescheitert. | |
26 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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