# taz.de -- Kanzlerkandidat der SPD: Gabriel verzichtet | |
> Sigmar Gabriel tritt nicht gegen Angela Merkel an und legt den | |
> SPD-Parteivorsitz nieder. Als Kanzlerkandidaten will er Martin Schulz | |
> vorschlagen. | |
Bild: Gabriel (r.) gibt die Kanzlerpläne auf – zugunsten von Martin Schulz (… | |
BERLIN taz | Nach wochenlangen Spekulationen klärt sich die K-Frage in der | |
SPD überraschend innerhalb weniger Stunden. Der amtierende | |
Parteivorsitzende Sigmar Gabriel erklärte am Dienstag in der | |
Fraktionssitzung der SPD im Bundestag seinen Verzicht auf die | |
Kanzlerkandidatur und zugleich seinen Rücktritt vom Parteivorsitz. Als | |
seinen Nachfolger will er am Wochenende in der Sitzung des Parteivorstands | |
Martin Schulz vorschlagen. Das Parteipräsidium stellte sich nach einer | |
Sitzung am Abend geschlossen hinter Gabriels Vorschlag. | |
Mit diesem schnellen Vorgehen war Gabriel sich selbst zuvor gekommen. | |
Eigentlich wollte er erst auf einem kurzfristig anberaumten Treffen am | |
Nachmittag zunächst die engste Parteiführung und danach das Präsidium von | |
seiner Entscheidung informieren. Doch dann kamen [1][Vorabinformationen aus | |
dem neuesten Stern] dazwischen, dem Gabriel seinen Rücktritt schon vor den | |
Genossen erklärt hatte. Der Zeitplan war nicht mehr zu halten. Offiziell | |
sollte der Spitzenkandidat – Frauen waren nicht im Gespräch – erst am | |
Sonntag öffentlich vorgestellt werden. | |
Gabriels Gespräch im Stern geriet zur Abrechnung mit Angela Merkel. Er | |
macht die Kanzlerin und Wolfgang Schäuble für einen „europäischen | |
Scherbenhaufen“ verantwortlich. Erst hätte diese beim Sparen Franzosen und | |
Italiener „gedemütigt“. „Und dann hat sie dort angeklopft, man möge doch | |
einige Hunderttausend Flüchtlinge aufnehmen.“ Gabriels Schlussfolgerung: | |
„Keinen zu fragen, aber hinterher von allen Solidarität zu verlangen, ist | |
einfach naiv.“ Mit diesem Interview dürfte der Bundestagswahlkampf eröffnet | |
sein – und zwar mit Knalleffekt. | |
Er wisse seit einigen Tagen von Gabriels Zweifeln, ob er der richtige | |
Kandidat sei, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann nach der Sitzung. Für | |
seine Entscheidung zolle er Gabriel Respekt. Dieser habe eigene Interessen | |
zurückgestellt im Interesse der Partei. Oppermann dankte Gabriel für sein | |
Verdienst, die Partei zusammengehalten zu haben. „Ich bin jetzt sehr | |
zuversichtlich, dass wir den Wahlkampf erfolgreich bestreiten werden.“ | |
Die Fraktionsmitglieder quittierten Gabriels Ankündigung in der Sitzung mit | |
Standing Ovations: Ausdruck des Respekts gemischt wohl auch mit | |
Erleichterung. Nicht nur Gabriel war im Zweifel, ob er der richtige | |
Kanzlerkandidat war, auch in der Partei hatte es laut Mitgliedern schon | |
seit Monaten heftige Diskussionen gegeben. Nicht zuletzt sprachen auch | |
Gabriels schlechte Umfragewerte gegen eine Kanzlerkandidatur. Aber auch die | |
Tatsache, dass Gabriel Anfang Februar erneut Vater wird, nährte die | |
Spekulationen auf einen Rückzug. | |
## Hoffnung auf Aufbruch mit Martin Schulz | |
Gabriel ist nach Willy Brandt der am längsten amtierende | |
Nachkriegs-Parteichef der SPD. Er übernahm den Vorsitz der kriselnden | |
Partei 2009, da war die SPD gerade aus der Großen Koalition abgewählt | |
worden. Während der folgenden Jahre konnten die Sozialdemokraten in | |
Landtagswahlen punkten, schafften aber die bundespolitische Trendwende | |
nicht. Derzeit stagniert die Partei in Umfragen nahe der 20-Prozent-Marke. | |
Von Martin Schulz erhoffen sich viele Genossen nun einen Aufbruch. „Er ist | |
ein großer Sympathieträger an der Basis“, sagte der thüringische | |
Fraktionsvorsitzende Matthias Hey der taz. „Wir hoffen natürlich, dass er | |
nicht nur innerparteilich viel aktivieren wird, an den Wahlkampfständen | |
mitzuwirken, sondern auch nach außen hin wirkt.“ | |
Der linke Flügel der SPD unterstützt die Kanzlerkandidatur von Martin | |
Schulz. „Jetzt kommt es überhaupt nicht auf rechte, linke Sozialdemokraten | |
an“, sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias | |
Miersch. „Wir werden wie eine Eins, egal ob Seeheim oder Parlamentarische | |
Linke, hinter Martin Schulz stehen und mit ihm, denke ich, einen tollen | |
Wahlkampf machen.“ | |
Martin Schulz ist Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises und steht | |
damit eher den Parteirechten nah. Als langjähriger Präsident des | |
Europaparlament hat sich Schulz aber auch den Ruf eines weltoffenen und | |
zupackenden Liberalen erarbeitet. | |
## Ein Achtungserfolg für die SPD | |
Seine Biographie passt hervorragend in die SPD und lässt sich wohl auch als | |
Kanzlerkandidat gut vermarkten: als elfter Sohn eines Polizeibeamten in | |
Würselen geboren, machte er Mittlere Reife. Nun hoffen wohl viele | |
Sozialdemokraten, dass Schulz die Partei am Schopf aus dem Sumpf zieht, so | |
wie einst sich selbst. | |
Schulz war schon seit längerer Zeit als möglicher Kanzlerkandidat im | |
Gespräch, hatte aber stets betont Gabriel den Zugriff zu lassen. „Derjenige | |
soll antreten, der die besten Chancen hat“, hatte Schulz immer wieder | |
gesagt. | |
Gabriel und Schulz sind eng befreundet, ohne den Segen und die | |
Rückendeckung Gabriels hätte Schulz die Aufgabe wohl nicht angenommen. | |
Ohnehin wird es für Schulz schwierig, Merkel herauszufordern. Ein | |
Achtungserfolg wäre es wohl schon, wenn er die SPD wieder über die | |
30-Prozent-Hürde hieven könnte. | |
Medienberichten zufolge soll Gabriel seinen Chefsessel als | |
Bundeswirtschaftsministerium räumen und strebt einen Wechsel ins Auswärtige | |
Amt an. Als Bundeswirtschaftsministerin ist Brigitte Zypries im Gespräch, | |
derzeit Staatssekretärin. Für sie wäre die Rochade in jedem Fall ein | |
Aufstieg. | |
24 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://meedia.de/2017/01/24/noch-vor-treffen-der-spd-parteispitze-sigmar-ga… | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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