| # taz.de -- Justin Kurzels Film „Macbeth“: Triggert die kranke Psyche | |
| > Mit dem Kindstod als elterliches Trauma gelingt in Justin Kurzels | |
| > „Macbeth“ eine moderne Psychologisierung der bekannten Charaktere. | |
| Bild: Michael Fassbender (l.) als Macbeth und Marion Cotillard (r.) als Lady Ma… | |
| Lady Macbeth bringt es auf den Punkt: „Was getan ist, ist getan und | |
| bleibt’s.“ In anderen Worten: Einer der großen Vorteile an der Verfilmung | |
| eines Theaterstücks, zumal wenn es gute 400 Jahre alt ist, besteht darin, | |
| dass man die Handlung nicht neu erfinden muss. Wie es mit Macbeth und | |
| seiner Lady endet, kann als bekannt vorausgesetzt werden und bedarf keiner | |
| Spoilerwarnung. | |
| Statt auf den Effekt der überraschenden Wendung zu setzen, können sich die | |
| Filmemacher ganz auf das Wesentliche konzentrieren: auf die Ausstattung, | |
| das Sounddesign und so weiter. Mithin auf all jene Äußerlichkeiten, die im | |
| Zusammenspiel das schaffen, weshalb man ein 400 Jahre altes Theaterstück, | |
| dessen Plot bekannt ist, überhaupt noch mal sehen will: eine | |
| Interpretation. Natürlich möchte man auch einfach wissen, wie sie diesmal | |
| das inszenatorische Problem mit jenem Wald lösen, der nach Dunsinan wandert | |
| … | |
| Schon in den ersten Einstellungen von Justin Kurzels „Macbeth“ wird klar, | |
| dass der Australier an der Front von Ausstattung und Sounddesign nicht | |
| enttäuschen will. Die Erde dampft, die Gewänder sind hären, Schwerter | |
| schlagen dumpf aufeinander und Männergebrüll dringt durch Nebelschwaden. So | |
| suggestiv malt der Film ein winterliches Schottland des frühen Mittelalters | |
| auf die Leinwand, dass man fast meint, die Tageshöchsttemperatur ablesen zu | |
| können, inklusive Windchill-Faktor, denn man fühlt regelrecht, wie es zieht | |
| über den Hügeln, aber auch in den Zelten und den steinernen Hallen. | |
| Auch betont Kurzel seine Entschlossenheit zur eigenen Interpretation, indem | |
| er seine Verfilmung nicht mit der berühmten Hexenszene und ihrem „Fair is | |
| foul and foul is fair“-Spruch beginnen lässt. Hier zeigt die Kamera als | |
| Erstes die Leiche eines bläulich-weißen Säuglings in einem Erdgrab. Es ist | |
| eine kleine Beerdigung, den Eltern Macbeth (Marion Cotillard, Michael | |
| Fassbender) ist tiefe Erschütterung in die Gesichter geschrieben – und man | |
| sieht augenblicklich, dass diese „Macbeth“-Version auch an der Front des | |
| Schauspiels auf höchsten Einsatz geht. | |
| ## Schlechtes Wetter, guter Film | |
| Dass Lord und Lady Macbeth keine eigenen Kinder haben, steht so auch bei | |
| Shakespeare, aber Kurzels Entscheidung hat weiterreichende Konsequenzen: Wo | |
| sonst die Verdrehung, im Wortsinn die Perversion, der Werte (“Foul is | |
| fair“) ein Leitthema ist, entwickelt Kurzel sein Drama tatsächlich entlang | |
| den Motiven einer eher modern gedachten Psychologie, die aus dem Kindstod | |
| ein fortschwelendes Trauma für die Eltern macht. Die Schlachterfahrungen | |
| eines Feldherrn wie Macbeth werden so gewissermaßen zu Trigger-Momenten für | |
| dessen kranke Psyche. | |
| Dass Kurzel seinen Macbeth statt in theaterhaften Innenräumen zum größten | |
| Teil in der freien Landschaft spielen lässt, bei unwirtlichem, aber | |
| zugleich ungeheuer ästhetisch inszenierten Wetter, steht deshalb in einem | |
| interessanten Spannungsverhältnis zur eigentlichen Perspektive des Films. | |
| So echt der lehmige Untergrund gluckst, so zeitlupenhaft die Blutstropfen | |
| fliegen und so artistisch der Nebel einzelne Aktionen im Schlachtgetümmel | |
| hervorhebt, so sehr geht es hier ums Innere der Figuren. All die grausamen | |
| Taten, das Morden von Männern und Frauen und Kindern, in angebrachter | |
| Ungemütlichkeit in Szene gesetzt, sollen sich letztlich niederschlagen in | |
| den Psychen. | |
| Wo Cotillard meisterhaft eine zunehmende Erstarrung ob der Kälte der | |
| Machenschaften ihrer Lady zeigt, teilt sich Fassbender in ebenfalls | |
| bravouröser Schauspielleistung vor unseren Augen gleichsam in zwei: Man | |
| sieht den Mann, den die eigene Grausamkeit verrückt macht, und man hört | |
| gleichzeitig den Darsteller, der dazu Shakespeares kluge Worte spricht. | |
| Leider wird die Intensität dieses Spiels immer wieder von der im Schmutz | |
| watenden Opulenz der Inszenierung in den Hintergrund gedrängt. Etwas | |
| weniger Intensität und weniger Opulenz würde das Interpretieren hier | |
| tatsächlich leichter machen. | |
| 1 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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