# taz.de -- JuLi-Chefin über den Zustand der FDP: „Lindner trägt eine zu gr… | |
> Der FDP würde ein diverseres Bild gut tun, sagt Ria Schröder von den | |
> Jungen Liberalen und plädiert für Trennung von Partei- und | |
> Fraktionsvorsitz. | |
Bild: Sie verfolgt „eine liberale Agenda für Selbstbestimmung und Emanzipati… | |
taz: Frau Schröder, Christian Lindner hat seine Generalsekretärin [1][Linda | |
Teuteberg durch Volker Wissing] ersetzt. Schon Wochen vorher wurde darüber | |
spekuliert, dass er sie loswerden will. Wie bewerten Sie das? | |
[2][Ria Schröder]: Ich hätte mir gewünscht, dass man sich frühzeitig | |
zusammengesetzt und gemeinsam eine Lösung gefunden hätte. Über die Presse | |
übereinander zu reden, das tut der Partei nicht gut, das ist kein guter | |
Stil. | |
Unabhängig von der Frage des Stils – war der Austausch notwendig? Ist | |
Wissing der bessere Generalsekretär? | |
Das wird sich zeigen. Als rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister bringt | |
er wichtige Kompetenzen in der aktuellen Wirtschaftskrise und | |
Regierungserfahrung mit. Durch die Ampelkoalition in Mainz steht er für | |
eine unabhängige FDP. Wir JuLis schätzen ihn als konstruktiven | |
Gesprächspartner und Unterstützer, etwa bei unserer Forderung nach dem | |
Wahlalter ab 16. | |
Teuteberg gehört zum konservativen Flügel, Wissing fällt gelegentlich mit | |
sozialliberalen Positionen auf. Und er hat Regierungserfahrung in einer | |
Ampelkoalition. Ist das die zu vermittelnde Message: Wir wollen regieren | |
und wir sind flexibel? | |
Natürlich ist das Ziel, dass die FDP an der nächsten Regierung beteiligt | |
ist. Sie sollte flexibel sein bei der Wahl der Koalitionspartner aus dem | |
demokratischen Spektrum – aber nicht flexibel bei den Inhalten. Das klare | |
Profil für Wirtschaft, Bildung und digitale Transformation muss sich in | |
einem Koalitionsvertrag definitiv wiederfinden. | |
Ist es trotzdem nicht bitter, dass eine der wenigen bekannten Frauen der | |
FDP, die Lindner auch selbst geholt hat, jetzt so rausgeekelt wird? | |
Es war eine große Hoffnung damit verbunden, dass in einer so wichtigen | |
Position eine Frau ist, aber das ist nicht das einzige Kriterium. Ich bin | |
sehr dafür, dass mehr Frauen in der vorderen Reihe das Bild der FDP prägen. | |
Aber ich mache es nicht am Geschlecht fest, ob ich mit Linda Teuteberg | |
einer Meinung bin. Dennoch: Respektvollen Umgang darf man nie vergessen. | |
Frauen haben nicht nur in der Politik, auch in den sozialen Medien mit | |
Hasskommentaren zu kämpfen. Jede Sache, die eine Frau äußert, wird fünfmal | |
mehr auseinandergenommen. Umso wichtiger finde ich, dass man Frauen, die so | |
viel aushalten müssen, innerhalb der Partei den Rücken stärkt. | |
Ist es ein Problem, dass sich so viel Macht auf Christian Lindner | |
konzentriert? | |
Ich wünsche mir ein breiteres Bild der FDP. Gerade liegt auf Christian | |
Lindner eine zu große Aufmerksamkeit und damit auch eine zu große Last. | |
Wenn er einen Fehler macht, dann wird das wochenlang rauf und runter | |
diskutiert. Es würde der FDP gut tun, ein diverseres Bild nach außen | |
abzugeben. Aber da kann Lindner nichts dafür. | |
Woran liegt es dann? | |
Qua Funktion ist Christian Lindner die interessanteste Figur. Ich wäre | |
dafür, Partei- und Fraktionsvorsitz zu trennen. Damit würde man automatisch | |
auf allen Ebenen Macht, Verantwortung und Repräsentation teilen. | |
Soll Christian Lindner den Fraktionsvorsitz aufgeben? | |
Die Voraussetzung für das Gelingen ist Teamwork und die Bereitschaft, | |
Verantwortung aufzuteilen. Dafür brauchen wir zunächst einen Kulturwandel. | |
In der FDP ist der Frauenanteil nicht besonders hoch. Sie sind aber | |
entschiedene Gegnerin der Quote. Warum? | |
Frauen sollen in Führungspositionen kommen können, ohne dass man dafür so | |
starre Mechanismen braucht. Eine Quote behandelt Frauen so, als wären sie | |
Politiker zweiter Klasse, als müsste man ihnen helfen, weil sie es alleine | |
nicht schaffen. Dabei liegt das nicht an den Frauen, sondern an den | |
Strukturen. | |
Aber die Quote geht doch genau an diese Strukturen. | |
Geschlecht ist kein entscheidendes Kriterium dafür, ob jemand einen guten | |
Job macht oder nicht. In der Politik müssen wir Posten und Listenplätze an | |
Leistung knüpfen. Das passiert meiner Meinung nach aber in keiner Partei. | |
Da spielt Regionalproporz eine viel größere Rolle als die Frage, wie viele | |
Stimmen jemand für die Partei holen kann oder ob jemand eine gute | |
programmatische Arbeit macht – das spielt bei der Auswahl von Vorständen | |
und Listen kaum eine Rolle. Ich bin überzeugt: Würden diese Aspekte | |
berücksichtigt werden, dann hätten Frauen bessere Chancen. | |
Im Jahr 2018 hat Lindner gesagt: „Die Frauen, die die FDP hat, sind | |
vielleicht nicht die besten Anwältinnen für die Frauen, die wir noch | |
bekommen könnten.“ Hat er recht? | |
Christian Lindner kann sich da nicht aus der Verantwortung stehlen. Und wir | |
können Männer nicht aus der Verantwortung entlassen. Gleichberechtigung und | |
gleiche Chancen werden wir nicht erreichen, indem wir sagen: Die Frauen | |
müssen sich mehr anstrengen oder die lassen sich gegenseitig zu sehr im | |
Stich. Frauen, die es in dieser Männerdomäne bis an die Spitze geschafft | |
haben, müssen sehr harte Ellbogen haben. Ich habe Respekt vor jeder, die | |
diesen Weg auf sich genommen hat, trotz der Widerstände. Deshalb müssen wir | |
die teilweise verkrusteten Strukturen in Parteien aufbrechen und Engagement | |
attraktiver machen – davon profitieren ja nicht nur Frauen. Wir kommen nur | |
voran, wenn Frauen und Männer gemeinsam arbeiten und einsehen, dass | |
gemischte Teams mehr Perspektiven einbringen und wir so bessere Politik | |
machen können. | |
Warum ist die FDP denn so unattraktiv für Frauen? | |
Ist sie nicht. Selbstbestimmung und Freiheit sind für Frauen zentrale | |
Anliegen. Im Beschluss vom letzten Parteitag gab es ein großes Papier zu | |
Frauen: zu Gründerinnen, Müttern, häuslicher Gewalt und Frauengesundheit. | |
Da haben wir das programmatische Update bekommen. Jetzt ist die Frage, wie | |
lebt man das? Wir haben uns 2017 vorgenommen, empathisch zu kommunizieren, | |
optimistisch zu sein, Lösungen anzubieten für echte Probleme von echten | |
Menschen. Es gibt Leute in der FDP, die sagen, wenn man liberal ist, | |
bedeutet das, dass man nicht bei allen beliebt sein kann. Aber ich glaube, | |
man kann durchaus liberale Positionen vertreten, ohne ein Arschloch zu | |
sein. Kommunikation ist wichtig. | |
Liegt es vielleicht auch daran, dass die FDP dafür bekannt ist, Politik für | |
Besserverdienende zu machen und Frauen oft in prekären Jobs arbeiten? | |
Das sind alte Klischees, die nicht wahrer werden, wenn man sie immer wieder | |
aufwärmt. Die FDP ist die einzige Partei, die das Individuum in den | |
Mittelpunkt stellt und damit Politik für alle in unserer Gesellschaft | |
macht. Wir wollen dafür sorgen, dass jede und jeder aus eigener Kraft zu | |
Wohlstand gelangen kann und dazu beste Chancen für Aufstieg schaffen. | |
Anders als linke Parteien gönnen wir den Menschen dann aber auch die | |
Früchte ihrer harten Arbeit, statt Neid und Misstrauen zu schüren. Dieser | |
Ansatz wird Frauen eher gerecht, als sie auf prekäre Beschäftigung zu | |
reduzieren. | |
Welche Lösungen bietet die FDP für Probleme, mit denen vor allem Frauen zu | |
kämpfen haben? | |
Wir verfolgen eine liberale Agenda für Selbstbestimmung und Emanzipation. | |
Frauen sollen ihren Lebensweg individuell und frei wählen können. Für echte | |
Wahlfreiheit wollen wir veraltete Rollenbilder überwinden, zum Beispiel | |
durch eine MINT-Offensive an unseren Schulen mehr Mädchen für technische | |
Berufe begeistern. Um Frauen Karrierewege zu erleichtern, setzen wir uns | |
für eine gleichmäßigere Aufteilung der Kinderbetreuung ein, etwa durch | |
flexiblere Kita-Öffnungszeiten, und wollen Alleinerziehende besser | |
unterstützen. Außerdem wollen wir mit dem Midlife-Bafög Chancen für | |
lebenslanges Lernen und Weiterbildung eröffnen und Rentensplitting auch für | |
unverheiratete Eltern ermöglichen. Von alldem profitieren in einer | |
gleichberechtigten Gesellschaft nicht nur Frauen, sondern alle. | |
Warum sagen Sie, es sei wichtig, empathisch zu kommunizieren? | |
Der Mindestlohn zum Beispiel ist ein Thema, mit dem wir lange gehadert | |
haben. Wir sind nicht deshalb dagegen, weil wir den Menschen nicht gönnen, | |
von ihrer Arbeit auch leben zu können. Im Gegenteil. Aber wenn man hört, | |
jemand ist gegen den Mindestlohn, dann könnte das ja die Folgerung daraus | |
sein. Es ist wichtig zu sagen, warum wir das so sehen. | |
Warum denn? | |
Wir wollen die Aushandlung der Löhne und anderer Konflikte den | |
Sozialpartnern überlassen. Wenn der Bundestag Arbeitslöhne, -zeiten und | |
-bedingungen bis hin zum Winkel der Schreibtischlampe reguliert, schwächt | |
das die Rolle der Gewerkschaften und befördert die Tarifflucht. | |
Aber darum geht es doch nicht, sondern um die Einhaltung von | |
Arbeitnehmerrechten. | |
Die Politik sollte die richtigen Rahmenbedingungen festlegen, damit | |
Menschen genug verdienen, um davon zu leben und Arbeitsschutz eingehalten | |
wird. Wir haben aber gute demokratische Instrumente dafür. Und je mehr die | |
Politik sich einmischt, desto mehr schwächt man die Gewerkschaften. | |
Wie bewerten Sie denn das Verbot der Werkverträge in der Fleischindustrie? | |
Der Corona-Ausbruch bei Tönnies hat doch gezeigt hat, dass zu viel | |
Flexibilität für Unternehmen zu Ausbeutung führt. | |
Jeder Unternehmer und jede Unternehmerin muss Verantwortung übernehmen für | |
die Menschen, die dort arbeiten. Bei Tönnies hat man sich aber die | |
Arbeitsleistung von Menschen zunutze gemacht, ohne sie angemessen zu | |
bezahlen und unterzubringen. Das ist ein Problem. Aber die Idee von einem | |
Werkvertrag ist ja eine andere. Für mich ist das einfach ein Missbrauch | |
eines gesetzlichen Rahmens. | |
Die FDP steht für neoliberale Politik, und dann kommt die Coronakrise und | |
der Staat springt ein. Wie vereinbart die Partei das mit ihrem | |
Selbstverständnis? | |
Neoliberal bedeutet doch, dass der Staat Rahmenbedingungen setzt, um faire | |
Wettbewerbschancen zu gewährleisten. Es gibt aber Kernbereiche, in denen | |
sich der Staat engagieren muss: Justiz, Infrastruktur, Einhaltung von | |
Menschenrechten, Klimaschutz oder Bildung. Denn ein Kind kann nichts dafür, | |
ob seine Eltern das Geld dafür haben, um in Bildung zu investieren. Da ist | |
es eine Frage der Gerechtigkeit, dass Bildung für alle gewährleistet wird. | |
Wenn uns individuelle Freiheit wichtig ist, dann müssen wir jedem die | |
Chance geben, sich zu entwickeln. Also ist Bildung eine zentrale staatliche | |
Aufgabe. In der Coronapandemie wurde aber klar, wie kläglich die Bildung | |
vernachlässigt wurde. | |
Zum Beispiel? | |
Wir brauchen eine Regierung, die Bildung an erste Stelle setzt. Es wurde | |
versäumt, Konzepte für hybrides Lernen zu erarbeiten. Niemand darf durchs | |
Raster fallen, wenn er kein Endgerät zu Hause hat, keinen | |
Internetanschluss. Wir brauchen eine Zusammenarbeit der Bundesregierungen | |
und der Landesregierungen, um die notwendige Transformation der | |
Bildungslandschaft voranzutreiben. Einen Bildungsboost kann es nicht ohne | |
Digitalisierungsboost geben. Diese Krise beeinflusst das ganze Leben von | |
Schülerinnen und Schülern. Ich denke nicht nur an Karrierechancen, sondern | |
auch an die psychische Gesundheit von Kindern. Die Versäumnisse der letzten | |
Jahre fallen uns auf die Füße. Da wünsche ich mir, dass die FDP die | |
Regierung noch stärker vor sich her treibt. | |
Wenn Sie von Bildung sprechen: Christian Lindner hat gesagt, man muss das | |
Aufstiegsversprechen in diesem Land erneuern. | |
Ja, die FDP muss den Fokus auf Menschen legen, die aufsteigen wollen, etwas | |
leisten wollen, die es mal besser haben wollen als ihre Eltern. Das Problem | |
ist: Es ist unheimlich schwer, durch eigene Arbeit in Deutschland reich zu | |
werden. Das muss sich ändern. | |
Wie? | |
Wir müssen die besten Schulen dahin setzen, wo viele Menschen Hartz IV | |
beziehen, wo es viele Menschen mit Fluchtgeschichte gibt, wo Eltern nicht | |
bei den Hausaufgaben helfen können. Da müssen wir besonders gute Schulen | |
haben, damit jeder die Chance bekommt, sein Leben in die eigenen Hände zu | |
nehmen. Außerdem braucht es mehr Finanzbildung. Es wurde lange darüber | |
diskutiert, ob man mehr Gesamtschulen braucht. Aber ich glaube: eine | |
Gleichbehandlung von allen führt nur dazu, dass sich alle Unterschiede | |
perpetuieren. | |
24 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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