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# taz.de -- Journalist Ochotin über Russlands Medien: „Information schützt�…
> Trotz institutionalisierter Repressionen wächst der Protest in Russland.
> Grigori Ochotin begleitet diesen journalistisch mit OVD-Info.
Bild: „Berichterstattung über Repressionen wächst schneller als die Repress…
taz: Herr Ochotin, 2019 gingen Tausende auf die Straße nachdem der
Oppositionskandidat für die Stadtratswahl in Moskau nicht zugelassen wurde
– nur ein Protest von vielen. Hat sich die Haltung gegenüber der
Staatsgewalt verändert?
Grigori Ochotin: Was sich rasend schnell verändert, ist die Wahrnehmung von
[1][Repressionen]. Vor ein paar Jahren waren repressive Maßnahmen noch
extrem effektiv. Die Menschen reagierten mit Passivität und Angst. Aber
inzwischen manifestieren sie ihre Positionen durch Solidaritätsschreiben
oder Kundgebungen.
Woher kommt diese Veränderung?
Die Leute haben das Gefühl, dass ihre Handlungen etwas bewirken. Im Sommer
gab es eine riesige Repressionskampagne mit einem Festnahmenrekord. Aber es
war auch das erste Mal, dass durch öffentlichen Druck sehr viele Leute
freigelassen wurden. Im Moment sieht es sogar so aus, als sei mindestens
die Hälfte von ihnen wieder auf freiem Fuß.
Sie haben [2][2011 OVD-Info gegründet], wie unterscheidet sich die aktuelle
Situation zu damals?
Vor 2011 zielten Repressionen vor allem auf bestimmte „Feinde“ wie Eduard
Limonow (Schriftsteller und politischer Dissident) oder Michail
Chodorkowski (Unternehmer, der im Exil lebt). Danach wurden die Maßnahmen
auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet. Heute sind politische Gesetze in
die Gesetzgebung integriert, um zivile Aktivitäten zu begrenzen: Die
[3][Repressionen] sind institutionalisiert.
Das heißt, die Menschen haben weniger Angst, obwohl die Restriktionen
schärfer sind.
Ja, aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Zum Beispiel wächst die
Berichterstattung über Repressionen schneller als die Repressionen selbst.
Das heißt, die Menschen sind deutlich besser informiert. Vor ein paar
Jahren dachte ein Großteil der Gesellschaft, sie würden sich nicht gegen
sie wenden. Jetzt wissen sie: Morgen kann es mich treffen.
Während der Proteste 2011 haben Sie und Ihr Kollege Daniil Beilinson
erstmals Fälle von politischen Repressionen dokumentiert. Heute ist
OVD-Info in Russland die wichtigste Quelle für Repressionen und Festnahmen.
Wie kommen Sie an die Informationen und wie werden sie verifiziert?
Wir haben eine Nachrichtenagentur, die Fälle von politischen Repressionen
durch eine 24-Stunden-Hotline und einen Telegram-Bot aufzeichnet. Bei
Massenfestnahmen ist es normalerweise leicht, eine zweite Quelle zu finden.
Bei einzelnen Fällen ist das schwieriger. Aber es gibt ständige Updates mit
den neuesten Entwicklungen, die wir mit den Daten unserer Anwälte
gegenprüfen. Und Intuition spielt eine Rolle. Unsere Hotline-Mitarbeiter
sind sehr erfahren.
Was macht OVD-Info noch?
Wir haben Anwälte, die kostenlose Rechtshilfe anbieten. Unser neuestes
Produkt ist ein Tool, dass das Einreichen einer Beschwerde beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vereinfacht. Der dritte Bereich
ist die Datenanalyse zu den Themen Versammlungsfreiheit und Zivilrechte.
Das hilft uns, zu planen. Unser Motto ist: Information schützt.
Ihr Vater ist einer der Gründer von Memorial, einer NGO für die
Aufarbeitung der stalinistischen Gewaltherrschaft und ihrer Opfer. Sehen
Sie Ihre Arbeit als Fortsetzung seines Engagements?
In gewisser Weise, ja. Unsere Arbeit basiert auf der Freiheit, die sie
erkämpft haben. Was wir machen, ist das Gleiche, nur mit anderen Mitteln.
Memorial hatte keine Möglichkeit, selbst einzugreifen. Wir haben viel mehr
Werkzeuge.
Wie wichtig sind diese Werkzeuge?
Sehr wichtig. Alle neuen Internettechnologien wie Facebook oder YouTube
helfen unserer Agenda. Sie machen Teilhabe und Kommunikation billiger und
schneller. Ich glaube weiterhin an das emanzipatorische Potenzial des
Internets, weil es keine Hierarchien kennt, weder in der Struktur der
Technologie noch in der Denkweise der Entwickler.
Auch in Russland?
Ja, auch in Russland ist das Internet noch vergleichsweise frei. Seit fünf
Jahren gibt es zwar immer mehr Gesetze, um Online-Aktivitäten
einzuschränken. Aber trotzdem sind Online-Aktivitäten noch deutlich freier
als Offline-Aktivitäten.
Der Kreml arbeitet im Moment am sogenannten Runet, einem eigenen Internet,
um sich vom internationalen Netz abtrennen und den Verkehr ausschließlich
über nationale Server steuern zu können.
Davor habe ich keine Angst. Bei der Entwicklung von Technologien gibt es
immer einen Wettbewerb zwischen denjenigen, die für mehr Freiheit kämpfen,
und anderen, die diese begrenzen wollten. Aber die Macht wird immer mit
denen sein, die für Freiheit sind.
Was macht Sie so sicher?
Es geht dabei nicht um Geld, sondern um Verstand, und Menschen, die für
Freiheit sind, sind in der Regel intelligenter. Russische Behörden haben
versucht, Telegram zu verbieten, weil Telegram-Gründer Pawel Durow sich
weigerte, Nutzerdaten an den russischen Geheimdienst FSB herauszugeben.
Doch Telegram wechselte auf ausländische Server und konnte so weiter
funktioniere. Dank einer riesigen Unterstützungswelle aus der IT-Branche
scheiterte das Verbot. Das russische Internet basiert auf Freiheit und
internationalem Verkehr. Die Entwicklung wurde von privaten Akteuren
vorangetrieben, nicht wie in China, wo der Staat von Anfang die Kontrolle
hatte.
Im Dezember 2019 hat Putin ein Gesetz unterschrieben, dass es erlaubt,
Individuen als ausländische Agenten zu kennzeichnen und sie so unter die
Überwachung der Behörden zu stellen. Glauben Sie, dass das Gesetz einen
Einfluss auf Meinungsfreiheit im Internet haben wird?
Sicher. Politische Repressionen funktionieren folgendermaßen: Eine
Minderheit ist tatsächlich unterdrückt und die Masse ändert ihr Verhalten.
Ein Beispiel: Als das erste Gesetz zu ausländischen Agenten verabschiedet
wurde, haben einige NGOs keine ausländischen Gelder mehr angenommen und
keine Berichte mehr veröffentlicht. Jetzt kann es also gut sein, dass sich
Leute gut überlegen, was sie auf Facebook posten.
Trotz all Einschränkungen ist die Medienlandschaft in Russland sehr
dynamisch. In den letzten Jahren wurden alternative Medienunternehmen wie
Mediazona oder The Bell gegründet. Woher kommt der Mut?
Wir vergessen oft, dass Restriktionen auch positive Auswirkungen haben
können. 2011 gab es zwar mehr Medienunternehmen mit höheren Budgets, die
sich unabhängig nannten. Doch sie wurden von Oligarchen kontrolliert. Als
die Behörden die Medien zunehmend unter Druck setzten, verließen viele
Chefredakteure ihre Häuser und es entstanden neue, unabhängige
Medienunternehmen, von denen viele gemeinnützig sind.
Letztes Jahr hat OVD-Info über Crowdfunding Rekordeinnahmen von über
500.000 Euro gemacht. Was kommt als Nächstes?
Wir versuchen unser Publikum weiter zu vergrößern und OVD-Info nachhaltig
zu machen. Die Risiken wachsen jede Woche und die einzig passende Antwort
darauf ist noch mehr Unterstützung. Wir überlegen, mit anderen Ländern
zusammenzuarbeiten. Rechtspopulismus ist ein weltweiter Trend und wir haben
große Expertise in diesem Feld.
20 Feb 2020
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## AUTOREN
Paul Toetzke
## TAGS
Russland
Medien
Schwerpunkt Pressefreiheit
Internet
Digitale Medien
Pussy Riot
Medien
Anna Politkowskaja
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