| # taz.de -- Jennifer Kents „The Nightingale“ auf DVD: Geblieben ist Verzwei… | |
| > In Jennifer Kents „The Nightingale“ übt Clare Selbstjustiz im Jahr 1825 | |
| > in Australien. Neben Gewalt erzählt der Film von Empathie mit den Opfern. | |
| Bild: Zwei Unterdrückte erkennen einander: Billy (Baykali Ganambarr) und Clare… | |
| „Jeder Mann in diesem Raum wollte dich haben“, sagt Leutnant Hawkins (Sam | |
| Claflin) zu Clare (Aisling Franciosi). Dann nimmt er sie sich und | |
| vergewaltigt sie. Brutal, mehrfach, in der Überzeugung, dass sie ihm | |
| gehört. Als Frau, als Verurteilte, die aus Irland stammt und als | |
| Verbrecherin nach Tasmanien verbannt worden ist. Nach Van Diemen’s Land, um | |
| genauer zu sein, denn so heißt die australische Insel im Jahr 1825, in dem | |
| Jennifer Kents „The Nightingale“ spielt. | |
| Es ist die Zeit des sogenannten „Black War“, in Wahrheit eher ein Genozid | |
| an der indigenen Schwarzen Bevölkerung der Insel, die dabei binnen weniger | |
| Jahre fast ausgelöscht wurde. | |
| Dieser Hintergrund ist wichtig. Kent hat für den Film eng mit | |
| Vertreter*innen der Aboriginal Australians zusammengearbeitet. Sie stellt | |
| einen Schwarzen neben Clare ins Zentrum ihres Films, Billy (Baykali | |
| Ganambarr), der als bezahlter „Boy“ Clare auf ihrem Rachefeldzug begleitet. | |
| Nicht nur hat Hawkins sie vergewaltigt. Als ihr Mann Aidan sich wehrt, wird | |
| er getötet, auch Clares und Aidans Baby wird ermordet. Nichts ist ihr | |
| geblieben als die Verzweiflung, die Wut. | |
| Hawkins und seine Männer sind unterwegs in die Hauptstadt, dort will der | |
| Leutnant um seine Beförderung kämpfen. Clare hinterher, Billy mit ihr. Er | |
| hasst sie als Weiße, er verachtet sie als Frau, sie verachtet ihn als | |
| Schwarzen. Die Verhältnisse sorgen dafür, dass sich ihre Ansichten ändern. | |
| Das klingt etwas didaktisch, aber davon ist der Film, der in jeder Hinsicht | |
| schonungslos ist, Welten entfernt. [1][Bei der Uraufführung in Venedig] | |
| haben Teile des Publikums, wie man liest, das Kino türenschlagend | |
| verlassen. Und ja, es ist keine Frage, niemand soll das, was Jennifer Kent | |
| hier zeigt, sehen müssen. Triggerwarnungen sind angebracht. Es ist aber | |
| auch keine Frage, dass sie es, will sie diese Geschichte ehrlich erzählen, | |
| so zeigen muss, wie sie es zeigt: In aller Härte, den Blick nicht wendend | |
| von der Gewalt, die geschieht. | |
| ## Selbstjustiz in einem mörderischen Unterdrückungsregime | |
| Dem Genuss der Gewalt aber sind konsequent alle Wege versperrt. Es geht um | |
| nichts als Empathie mit den Opfern, und zwar als Subjekten, mit denen sich | |
| unser Blick, unser Verstand und unser Mitgefühl identifiziert. Daher auch | |
| das Verständnis für ihre Selbstjustiz in einem mörderischen | |
| Unterdrückungsregime, das die Frau wie den Schwarzen eher als Sachen denn | |
| als Menschen behandelt. | |
| Gerechtigkeit ist unter diesen Umständen nicht anders zu haben. Der | |
| Rache-Film ist ein Genre, aber seine Topoi werden hier gezielt mit | |
| historischer Genauigkeit aufgenommen und dadurch auch unterwandert. | |
| Selbst die Anleihen, die Kent in Traumszenen beim Horrorfilm nimmt, spielen | |
| historischen Wahrheiten zu. In diesen Motiven liegt eine Spur zu ihrem | |
| gefeierten Regiedebüt „The Babadook“, einem psychologischen Horrorfilm nach | |
| allen Regeln der Kunst. In „The Nightingale“ aber sprengt sie von Beginn an | |
| die Schutzwände der Genre-Ummantelung entschlossen weg. Und erlaubt dem | |
| Blick keinen Ausweg. Für einen Landschaftsfilm, der „The Nightingale“ | |
| durchaus auch ist, ist das Bildformat eng. | |
| Jennifer Kent hat als Regisseurin spät debütiert. Sie hatte Schauspiel | |
| studiert, weil ihr ein Karriere als Regisseurin in einem so stark männlich | |
| dominierten System im Australien der späten Achtziger kein Ding der | |
| Möglichkeit schien. In den nuller Jahren versuchte sie es dann doch, wild | |
| entschlossen. Sie erkämpfte sich eine Regieassistenz bei Lars von Triers | |
| „Dogville“, drehte 2005 ihren ersten Kurzfilm „Monster“, der Motive von | |
| „The Babadook“ vorwegnimmt. | |
| Sie ist ein Musterbeispiel dafür, mit welcher Energie sich eine Frau im | |
| sexistischen Filmbusiness ihren Weg erkämpfen muss. Nach dem sehr | |
| beeindruckenden „The Nightingale“ ist aber klar: Jennifer Kent ist | |
| gekommen, um zu bleiben. | |
| 2 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Lidokino-10--Historisches/!5531146 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
| ## TAGS | |
| Spielfilm | |
| Australien | |
| Aborigines | |
| Unterdrückung | |
| Rache | |
| Horrorfilm | |
| Film | |
| Spielfilm | |
| Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
| Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Horrorfilm „Der Unsichtbare“ auf DVD: Der Freund mit den tausend Augen | |
| Das Remake des Horrorklassikers „Der Unsichtbare“ mit Elizabeth Moss wird | |
| zur feministischen Ermächtigung. Jetzt ist es auf DVD erschienen. | |
| Margot Robbie in „Birds of Prey“ auf DVD: Vereinte Frauenpower | |
| Comics sind längst kein reines Männergenre mehr. Das zeigt die Geschichte | |
| der Superheldin Harley Quinn, die sich von ihrem Ex Joker emanzipiert. | |
| Australischer Western „Sweet Country“: Lektionen in Demut | |
| Soziale Verschiebungen im Blick: Warwick Thorntons australischer Western | |
| „Sweet Country“ erzählt detailreich von einen Aborigine-Farmhelfer. | |
| Lidokino 11: Der Abschluss: Die Größe kleiner Geschichten | |
| Der Goldene Löwe geht in Venedig an den Film „Roma“ des Mexikaners Alfonso | |
| Cuarón. Und damit erstmals an eine Netflix-Produktion. | |
| Lidokino 10 – Historisches: Szenenapplaus für die Rächerin | |
| Lidokino 10: Erster Weltkrieg, eine Jagd durch Australien und hippieske | |
| Tanzrituale – Endspurt bei den Filmfestspielen in Venedig. |