# taz.de -- Interview mit Mietenaktivist Taheri: „Der freie Markt regelt es n… | |
> 50 Prozent des Berliner Wohnraums in kollektiver Hand will Rouzbeh Taheri | |
> von Deutsche Wohnen und Co enteignen. Am 3. Oktober ist Demo. | |
Bild: Demokratisierung des Eigentums das Ziel bei der Wohnfrage: Rouzbeh Taheri | |
taz: Herr Taheri, wie kommt es, dass Sie sich für das Thema Wohnen so stark | |
engagieren? | |
Rouzbeh Taheri: Ich bin seit meiner Schülerzeit stadtpolitisch aktiv, seit | |
25 Jahren. Zum Thema Mieten und Wohnen bin ich gekommen, als ich ab 2011 | |
selbst davon betroffen war. Es ging um eine energetische Modernisierung mit | |
entsprechender Mieterhöhung. Im Zuge dessen habe ich die Erfahrung gemacht, | |
wie viel Druck auch für andere Menschen beim Thema Miete herrscht. Und | |
auch, wie viel Geld damit gemacht wird. Ich habe mich dann zusammen mit | |
meinen Nachbar*innen gewehrt. Das ist dann immer mehr geworden. | |
Was ist Ihr Ziel? | |
Ich bin dafür, Instrumente zu schaffen, die die Menschen ermächtigen, | |
kollektives und öffentliches Eigentum zu schaffen. Es gibt viele Formen, | |
öffentliches Eigentum zu schaffen und in kollektive Verwaltung zu | |
übergeben: Genossenschaften, das Mietshäuser-Syndikat, Vereine. Eine | |
Demokratisierung des Eigentums ist also das Ziel. Kurzfristig brauchen wir | |
eine Annäherung der Verwaltungsformen der öffentlichen | |
Wohnungsbaugesellschaften an die Ursprungsidee der Genossenschaft. | |
Wann ist Ihr Ziel erreicht, wann haben Sie sich als Aktivist selbst | |
überflüssig gemacht? | |
Als Zielmarke nenne ich 50 Prozent der Wohnungen Berlins in öffentlichem | |
oder nicht-profitorientiertem Eigentum. Und dass jede*r in dieser Stadt die | |
Möglichkeit hat, menschenwürdig zu wohnen. Diese beiden Punkte bedingen | |
einander. | |
Ist der sozialdemokratische Wohnungsbau der Stadt Wien also ein Vorbild? | |
Auch in Wien gibt es Probleme, aber es ist viel besser. Der Grund dafür | |
ist, dass in Wien nur rund 10 Prozent der Wohnungen auf dem freien Markt | |
sind. Alle anderen sind entweder städtisch, anderweitig gebunden oder durch | |
einen Mietendeckel humanisiert. 40 Prozent sind öffentliches Eigentum, 15 | |
Prozent genossenschaftliches Eigentum und etwas mehr als 30 Prozent sind in | |
Wien mietengedeckelt. Nur so schafft man in einer kapitalistischen | |
Metropole einen einigermaßen entspannten Wohnungsmarkt. Der freie Markt | |
regelt es nicht. | |
Wie geht es den Vermieter*innen in Wien damit? | |
Es gibt in Wien so gut wie keine Konzerne, die mehr als 2.000 Wohnungen | |
haben. Die anderen haben sich seit den 1920er Jahren darauf eingestellt, | |
dass sie eben keine Profitraten von 20 bis 30 Prozent bekommen. | |
Sondern? | |
Profitraten von drei bis vier Prozent. Was angesichts von Negativzinsen | |
ziemlich gut und langfristig sicher ist. | |
Man muss auch gönnen können? | |
Realistisch sein. Ich bin ausgebildeter Volkswirt, habe einige Jahre an | |
Instituten akademisch gearbeitet. Das war allerdings in einer Zeit, in der | |
linke Wirtschaftswissenschaftler*innen keine Konjunktur hatten, Anfang der | |
2000er Jahre. In Linkskeynesianismus und Marxismus musste ich mich nebenbei | |
selber schulen. Man kann sich auch als Volkswirt*in weiterbilden, wenn man | |
die Professor*innen nicht immer zu ernst nimmt. Ich habe wissenschaftlich | |
viel zur Staatsverschuldung gearbeitet. | |
Die berühmte schwarze Null? | |
Gerade bei Negativzinsen ist ein Schuldenverbot nichts als ideologische | |
Verbohrtheit. Mittlerweile sind ja sogar Teile der Arbeitgeberverbände | |
dafür, dass der Staat jetzt Schulden machen muss. Daran kann man erkennen, | |
dass die schwarze Null zu einem Fetisch geworden ist, der mit | |
wirtschaftlicher Realität nichts zu tun hat. Deutschland bräuchte eine | |
riesige Investitionsoffensive in allen Bereichen der Infrastruktur, | |
besonders im Hinblick auf den Klimaschutz. Dass nicht investiert wird, ist | |
nicht mal mehr mit der Neoklassischen Schule erklärbar; denn wenn man fürs | |
Schuldenmachen Geld geschenkt bekommt, sollte man so viel wie möglich | |
investieren. | |
Nun sind Sie führender Aktivist mit der Initiative Deutsche Wohnen und Co | |
enteignen. Ist es für Sie als Wissenschaftler nervig, nun zusammen mit | |
Leuten zu kämpfen, die wirtschaftliche Zusammenhänge nicht durchblicken? | |
Nein, ich war ja bereits Aktivist gewesen, bevor ich studiert habe. Ich | |
finde, dass Wirtschaftswissenschaftler*innen auch aus ihrem Elfenbeinturm | |
heraus müssen. Auf der anderen Seite haben sich manche Aktivist*innen | |
großes Wissen angeeignet, das akademisch ausgebildetem Wissen oft in gar | |
nichts nachsteht. Manche kennen sich besser aus als Expert*innen in der | |
Verwaltung. Wir müssen sowohl auf der Straße aktiv sein, als auch fachlich | |
mindestens auf Augenhöhe mit unseren Gegnerinnen und Gegnern sein. | |
Dann erklären Sie mal. Was ist überhaupt Miete? | |
Offiziell ist das ein sogenanntes Dauerschuldverhältnis. Marx hat in der | |
Frage der Grundrente auch die Miete analysiert, sehr komplex. Jenseits des | |
Wirtschaftlichen ist die Miete jedenfalls de facto die Finanzierung des | |
Vermögensaufbaus des Besitzers. | |
Aber Hauskäufer*innen müssen ja ihrerseits Kredite abzahlen … | |
Nach 20 bis 30 Jahren ist klassischerweise ein Haus durch die Mieterinnen | |
und Mieter abbezahlt. Ein Teil der Miete wird natürlich für Instandhaltung | |
ausgegeben. Der Rest ist der Profit des Vermieters. Völlig absurd wird es, | |
wenn wir hinnehmen, dass Mieten steigen, ohne dass die Qualität der Wohnung | |
steigt. | |
Warum wurde das nicht grundlegend in Frage gestellt? | |
Es wurde immer in Frage gestellt! Seitdem Menschen vermehrt in Städten zur | |
Miete wohnen – und nicht mehr in ihrer Kate auf dem Dorf –, war das Thema | |
Miete ein Dauerbrenner. Denn die Miete frisst schon immer einen großen Teil | |
des Einkommens aller Arbeiter*innen und Angestellten wieder auf. Im Elend | |
des 19. Jahrhundert war die Wahl oft: Essen oder Miete zahlen. Die Miete | |
war immer ein existenzielles Problem. | |
Manche Menschen müssen heute teils wieder horrende 30 Prozent ihres | |
Monatseinkommens für die Miete an die Eigentümer abdrücken. Sind Zustände | |
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wieder da? | |
Die Anzeichen gibt es in Berlin seit einigen Jahren. Für Menschen mit | |
unterdurchschnittlichen Einkommen ist eine Mieterhöhung immer damit | |
verbunden, bei Urlaub, Kultur, Kleidung und schließlich beim Essen | |
streichen zu müssen. Diesen Zustand haben wir. Die Einkommen steigen ja | |
schon lange nicht mehr entsprechend. Und sinken schon lange bei realer | |
Kaufkraft. Möglichkeiten, sich bei der Wohnung zu verkleinern oder | |
umzuziehen, gibt es in der Stadt bei explodierenden Mietpreisen nicht. | |
Warum nimmt der Staat dann nicht billige Kredite auf und schafft den Leuten | |
damit Wohnraum? | |
Weil das eine Einschränkung der Profitmöglichkeiten der Privaten bedeutete. | |
Und die haben genug Einfluss auf die Politik. Man sieht ja jetzt beim | |
Vorschlag der Einführung eines Mietendeckels, was für ein hysterisches | |
Geschrei auf der Kapitalseite entsteht; es wird versucht, auf allen Ebenen | |
dagegen zu opponieren. Das Kapital setzt alles daran, die Politik unter | |
Druck zu setzen. | |
Ist es für Sie auffällig, dass neuerdings so viele notleidende Vermieter | |
Auftritte in den Medien bekommen? | |
Ja, es ist erstaunlich. Nicht dass diese Vermieter*innen noch zu | |
Aufstocker*innen werden, wie Hunderttausende andere in der Stadt, zum | |
Beispiel viele junge Kleinstunternehmer*innen. Ein Vergleich: So, wie der | |
Mindestlohn nichts Schlechtes ist, nur weil einige Klitschen wirklich | |
Schwierigkeiten hatten, ihn zu zahlen, so ist auch der Mietendeckel nichts | |
Schlechtes, nur weil Kleinvermieter eventuell aufstocken oder | |
hinzuverdienen müssen. | |
Das können ja nicht alle. | |
Eine weitere Möglichkeit: Wenn sie ihr Geschäftsmodell nicht | |
aufrechterhalten können, müssen sie eben einen Verkauf in Betracht ziehen. | |
Da scheinen die Gegner*innen des Mietendeckels ihre eigene Marktlogik zu | |
vergessen. Weniger als fünf Prozent der Berliner*innen haben Einkünfte aus | |
Vermietung und Verpachtung. Aber 85 Prozent wohnen zur Miete. Das sind die | |
relevanten Größenverhältnisse. Und dann muss man sich entscheiden, für wen | |
man Politik macht. Für die vielen oder für die wenigen. | |
Haben die Samwer-Brüder – die unlängst verkündeten, im Internet sei durch | |
Aufkauf junger Start-ups kein Geld mehr zu machen, sie würden nun lieber | |
Land und Häuser in Berlin aufkaufen – das Marx’sche Gesetz vom | |
tendenziellen Fall der Profitrate bewiesen? | |
Ja, sie haben es instinktiv verstanden. In bestimmten Bereichen sind keine | |
steigenden Renditen mehr drin. Wobei: Ihr Geschäftsmodell Rocket Internet | |
war irgendwo zwischen Scharlatanerie und Produktion angesiedelt. Betongold | |
ist gerade in und sie haben noch genug Geld übrig, um im großen Maßstab zu | |
investieren. | |
Angemerkt werden muss fairnesshalber, dass die Samwers nicht persönlich | |
boshaft sind, sondern ihr Handeln nur ein weiterer Ausdruck des | |
Kapitalismus. | |
Ja, gut, aber sie sind nun wirklich nicht nur blinde Ausführer im Rahmen | |
der Möglichkeiten, sondern haben sich weit oben in der Nahrungskette | |
angesiedelt. | |
Das Land Berlin testet ja im Moment gerade Landesbürgschaften für | |
Immobilienkäufe, die sogenannten Künstlerbürgschaften, um Vereine und | |
Freiberufler*innen zu ermächtigen, Kredite für Immobilien aufzunehmen. Ein | |
Vorbild auch fürs Wohnen? | |
Sicher, insbesondere für Genossenschaften! Man muss aber in Berlin zuerst | |
die aktuell hochspekulative Preisspirale durchbrechen. Das heißt: Deckelung | |
der Preise. Es gibt auch erstmals seit vielen Jahren wieder ein kleines | |
Förderprogramm für Genossenschaften, das der neue Berliner Senat aufgelegt | |
hat. Die Fördersummen sind allerdings viel zu niedrig. | |
2005 hat der damals rot-rote Berliner Senat über 100.000 Wohnungen der | |
städtischen GWG verscheuert … | |
… für ’nen Appel und ’n Ei im Vergleich zu heutigen Preisen. Diese falsc… | |
Verkaufsentscheidung von Gemeineigentum beruhte auf der allgemeinen | |
Stimmung. Der Neoliberalismus hatte seinen Höhepunkt von Beginn der | |
Neunziger bis Mitte der 2010er Jahre. Man war der Ansicht, dass man mit der | |
Privatisierung das Land retten würde, was sich im Nachhinein | |
finanzpolitisch als Quatsch herausgestellt hat. Zudem nahm man an, dass | |
manche Strukturen nicht mehr staatlich bewirtschaftet werden können. Was | |
sich als ebenso falsch erwiesen hat. | |
Ein Resultat entfremdeter Arbeitswelterfahrungen? So ein Wohnhaus ist doch | |
eigentlich eine ganz basale Sache und nicht schwierig zu errichten. | |
Mehr Menschen erschließen sich die Zusammenhänge jetzt wieder in | |
Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Mietwahnsinn. Ein gutes Beispiel | |
also, es gibt Hoffnung. Aber etwas kulturell aufgeprägtes wie Miete zahlen, | |
wird eben nicht so schnell in Frage gestellt … | |
… und etwa durch eine konstante Wohngebühr für Bau und Erhalt plus einer | |
Abgabe für Neubau ersetzt … | |
… was ein verallgemeinerbares Modell wäre. Ältere Genossenschaftsmitglieder | |
erzählen noch, wie es war, als ihr Haus gebaut wurde. Das gibt es heute | |
viel zu wenig. Und es ist eigentlich noch schlimmer: Es gibt seit 10 Jahren | |
kaum noch Vermieter*innen, die eine längere Beziehung zum Haus haben. Für | |
die großen Konzerne sind Mietshäuser nur noch Ware. | |
Wenn Sie Ihre Arbeit in einen Verfassungsgrundsatz gießen müssten, wie | |
würde dieser lauten? | |
Wohnen ist ein Menschenrecht! Es ist Aufgabe des Staates, für angemessenen | |
Wohnraum für alle Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Das reicht als | |
Erklärung, denn man muss wissen, dass man die schönsten Gesetze formulieren | |
kann, die aber nichts bringen, wenn nicht Bewegungen Druck ausüben. | |
Man kann aber auch die schönsten Bewegungen gründen, die nichts bringen, | |
wenn sie ihre Klagen nicht positiv in allgemeine Gesetze umsetzen. | |
Das stimmt, die Bewegungen müssen sich einigen. Das ist ein Prozess. Man | |
muss kurz- und langfristige Ziele setzen. Parteien können oder wollen uns | |
dabei derzeit nicht wirklich helfen. Mein Platz ist im Moment jedenfalls in | |
der außerparlamentarischen Bewegung. | |
28 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Anselm Lenz | |
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