| # taz.de -- Interview mit Ifo-Chef Clemens Fuest: „Wir können uns das noch l… | |
| > Verschärfte Maßnahmen auf der einen, Lockerungen auf der anderen Seite. | |
| > Die Initiative No Covid fordert eine regionale Ausdifferenzierung. | |
| Bild: Ausgestorben: Die Innenstadt von Hannover an einem Januarmorgen | |
| taz: Herr Fuest, bereuen Sie, das No-Covid-Papier mit verfasst zu haben? | |
| Clemens Fuest: Um Gottes wlllen. Warum sollte ich? | |
| Aus der Wirtschaft hagelt es Kritik: Die Infektionszahlen auf null zu | |
| drücken sei kein realistisches Ziel. Eine solche Strategie schade der | |
| deutschen Wirtschaft erheblich. | |
| Es gibt da ein Missverständnis. In den vergangenen Wochen sind zwei | |
| Initiativen angelaufen, die sich in ihren Überschriften zwar ähneln, in der | |
| Substanz aber große Unterschiede aufweisen. Zero Covid will alles | |
| dichtmachen – auch die Wirtschaft – mit dem Ziel, nach vier Wochen die | |
| Pandemie zu überwinden. Das ist in der Tat ein sehr radikaler Plan, den ich | |
| ablehne. | |
| Wir hingegen wollen mit No Covid die Zahl der Neuinfektionen zwar auch | |
| massiv senken, die Wirtschaft grundsätzlich aber offenhalten. Denn die | |
| Volkswirtschaft darf nicht kollabieren. Insbesondere die Betriebe, in denen | |
| die Ansteckungszahlen im Verhältnis zur Wertschöpfung gering sind, sollten | |
| offen bleiben. Dort sollte lediglich der Infektionsschutz noch einmal | |
| verstärkt werden. | |
| Was soll denn sonst zurückgefahren werden, wenn nicht die Betriebe? Das | |
| meiste ist doch schon dicht. | |
| Die FFP2-Maskenpflicht könnte ausgeweitet werden. Wir brauchen deutlich | |
| mehr Tests. Die Möglichkeiten von Homeoffice sind meines Erachtens noch | |
| nicht ausgeschöpft. Einer Studie des Ifo-Instituts zufolge könnten 56 | |
| Prozent der regulär Beschäftigten im Homeoffice arbeiten. Im November und | |
| Dezember waren es gerade einmal um die 20 Prozent. Da ist also noch viel | |
| Potenzial. Man könnte auch mehr tun bei der Ausstattung der Betriebe mit | |
| Luftreinigern. Und man kann und muss noch viel mehr tun bei Impfungen. | |
| Bei Ihrer Initiative geht es also nur noch um Details. | |
| Die jüngsten Beschlüsse von Bund und Ländern gehen schon in die richtige | |
| Richtung. Was No Covid aber davon unterscheidet: Die 7-Tage-Inzidenz auf 50 | |
| Fälle pro 100.000 Einwohner zu drücken reicht uns als Ziel nicht. Zuletzt | |
| suggerierte die Politik, sobald wir unter 50 sind, könne der Lockdown | |
| beendet werden. Das halte ich für sehr problematisch. Die Gesundheitsämter | |
| sind auch bei diesem Wert noch stark belastet. Auch bei einer Inzidenz von | |
| knapp unter 50 sollten wir viele Maßnahmen weiter aufrechterhalten. | |
| Zuletzt ist die [1][Inzidenz auf rund 110 gesunken]. Schon jetzt werden | |
| Forderungen nach Lockerungen aus der Wirtschaft laut. Wie wollen Sie denen | |
| erklären, dass das erst bei einer einstelligen Inzidenz möglich sein soll? | |
| Derzeit liegt die Reproduktionszahl bei etwa 1. Das heißt nichts anderes, | |
| als dass die Zahlen auf hohem Niveau stagnieren und jederzeit wieder | |
| exponentiell steigen können. Das ist nicht nur für das Gesundheitssystem | |
| schlecht, sondern auch für die Wirtschaft höchst ineffizient. Hinzugekommen | |
| ist das Risiko, dass sich die viel ansteckendere britische Virusvariante | |
| verbreitet. | |
| Wenn wir jetzt eine dritte Infektionswelle bekommen, die uns womöglich dazu | |
| zwingt, auch große Teile der produzierenden Wirtschaft herunterzufahren, | |
| wäre das wirklich sehr schlimm. Das müssen wir unbedingt vermeiden und | |
| rasch auf eine Reproduktionszahl von höchstens 0,7 kommen, die wir dann | |
| auch halten. | |
| Wie lange können wir uns denn einen so harten Lockdown finanziell noch | |
| leisten? | |
| Wir haben gar keinen wirklich harten Lockdown. Den gibt es nur für | |
| bestimmte Branchen: den stationären Einzelhandel, die Gastronomie und den | |
| Tourismus. Abgesehen von diesen Branchen läuft die Konjunktur aber gut. Das | |
| ist auch sinnvoll so. Irgendjemand muss die Hilfen ja bezahlen. | |
| Dass der Lockdown sich sehr viel härter anfühlt, als er tatsächlich ist, | |
| hat sicherlich damit zu tun, dass die Schulen zu sind. Ich will nichts | |
| beschönigen, für viele Familien ist die derzeitige Situation wirklich hart. | |
| Wirtschaftlich können wir uns die Maßnahmen aber noch eine ganze Weile | |
| leisten. | |
| Einer Ihrer Vorschläge lautet: Lokalisierung. Regionen, die mit drastischen | |
| Maßnahmen einstellige Werte erreicht haben, werden zur grünen Zone erklärt | |
| und können wieder öffnen. | |
| Regional differenziert handeln, aber nach klaren Spielregeln, lautet unser | |
| Vorschlag. Eine Inzidenz unter 10 klingt utopisch, wenn wir das auf ganz | |
| Deutschland übertragen. Wenn sich eine Region dieses Ziel setzt, sieht das | |
| schon anders aus. | |
| Sobald sie dieses Ziel erreicht hat, heißt das natürlich auch, die | |
| Bewegungsfreiheit zu den Regionen einzuschränken, die diesen Wert noch | |
| nicht geschafft haben. Alles, was Wirtschaftsverkehr ist, also Lieferanten | |
| und Berufspendler, darf weiter die Grenzen überschreiten. Aber eben aus Jux | |
| oder zum Einkaufen in eine grüne Zone zu fahren – das geht dann eben nicht. | |
| Klingt nach Verhältnissen wie in China. Dort hat es die Führung mit | |
| Ausgangssperren geschafft, [2][die Inzidenz fast auf null zu drücken]. | |
| Nein, ich sehe da große Unterschiede. Bei uns entscheiden demokratisch | |
| gewählte Politiker, und es wird auch niemand in der Wohnung eingesperrt. | |
| Wir sollten nicht unterschätzen, welche Vorteile es hat, wenn in diesen | |
| Grünzonen die Kinder wieder in die Schule gehen können und die Geschäfte | |
| offen sind, ohne dass man ständig Angst vor einer Infektion haben muss. Ich | |
| persönlich halte es für zumutbar, für eine bestimmte Zeit auf Reisen zu | |
| verzichten. Und ich habe den Eindruck, viele sehen das ähnlich. | |
| China hat mit rigiden Mitteln die Pandemie überwunden und wird nun die | |
| einzige große Volkswirtschaft sein, die wieder nennenswert wächst. | |
| Ja, Chinas Wirtschaft wird am Ende des Jahres 2021 zehn Prozent größer sein | |
| als vor der Krise, die US-amerikanische Wirtschaft wird ungefähr so groß | |
| sein wie vor der Krise. Europas Wirtschaft hingegen wird schrumpfen. Das | |
| heißt: Europa fällt zurück. | |
| Ist China damit Vorbild? | |
| Mit Sicherheit nicht in allen Dingen. Dort sind ja während des Lockdowns | |
| Leute nicht mehr aus ihren Wohnungen gelassen worden. Ihnen wurden die | |
| Türen verriegelt. Das wollen wir auf keinen Fall. Ein vorausschauender | |
| Lockdown und eine relativ zügige Intervention bringen aber schon viel. | |
| Kaum zu glauben, aber im Frühjahr haben hierzulande viele noch | |
| argumentiert: Es sei schlecht, Masken zu tragen. Dabei lagen längst Belege | |
| für ihre Wirksamkeit vor. In China hat man nicht lange diskutiert, ob man | |
| jetzt Masken tragen soll oder nicht. | |
| Warum werden so simple Maßnahmen in westlichen Demokratien so viel mehr | |
| angezweifelt? | |
| Die Frage ist, wer entscheidet, dass eine Maßnahme sinnvoll ist. | |
| Kontroverse Debatten gehören zur Demokratie, sie sind eine Voraussetzung | |
| für die Akzeptanz der letztlichen Entscheidungen. In einem Föderalstaat wie | |
| Deutschland handeln dann die Bundesländer sogar unterschiedlich. | |
| Zentralstaaten wie Frankreich oder Großbritannien haben das übrigens nicht | |
| besser gelöst. | |
| Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen: Wir sind eine ziemlich satte | |
| Wohlstandsgesellschaft. Die Menschen sind nicht so leicht bereit, ihre | |
| Gewohnheiten zu ändern. Das ist in weniger saturierten Ländern, die auch | |
| zuletzt noch sehr viel Wandel durchgemacht haben, anders. | |
| 25 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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