# taz.de -- Integrationsgesetz in Bayern: Watschn für die CSU | |
> Das bayerische Integrationsgesetz ist teilweise verfassungswidrig. Für | |
> die CSU ist die Entscheidung der Verfassungsrichter eine Niederlage. | |
Bild: Vor dem Münchner Justizpalast: „Nur für Deutsche ohne Migrationshinte… | |
MÜNCHEN taz | Vor dem Justizpalast steht eine überdimensionale Bank. „Nur | |
für Deutsche ohne Migrationshintergrund“ steht darauf. Die Anspielung ist | |
klar. Mit der Aufschrift „Nur für Arier“ hatten die Nazis in den 1930er | |
Jahren Parkbänke beschriftet. | |
Mit der Aktion protestiert der Künstler Günter Wangerin gegen ein Gesetz, | |
dessen Verfassungsmäßigkeit drinnen im Sitzungssaal 270 gerade unter die | |
Lupe genommen wird: das bayerische Integrationsgesetz. Auch mit dem Saal | |
hat es eine traurige historische Bewandtnis: Am 22. Februar 1943 wurden | |
hier Mitglieder der Weißen Rosen vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. | |
An diesem Dienstagvormittag nun ist es der Bayerische | |
Verfassungsgerichtshof, der hier seine Entscheidung bekannt gibt. Eine | |
Entscheidung, die der CSU nicht gefallen kann, auch wenn sie es kurz darauf | |
herunterspielen wird. Peter Küspert, der Präsident des | |
Verfassungsgerichtshofs, verkündet sie: Das von der CSU im Jahr 2016 mit | |
ihrer damaligen absoluten Mehrheit erlassene Integrationsgesetz ist in | |
Teilen verfassungswidrig. Grüne und SPD hatten das Gericht angerufen. | |
Für verfassungswidrig erklärte das Gericht unter anderem eine zentrale | |
Bestimmung des Gesetzes, wonach Sicherheitsbehörden Personen allein | |
aufgrund von Zweifeln an ihrer Einstellung zur freiheitlich demokratischen | |
Grundordnung zu einem Grundkurs über deren Werte verpflichtet können. Das | |
sei ein unzulässiger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Darüber hinaus | |
verletze die Verpflichtung von Rundfunkanstalten, die in der Präambel des | |
Gesetzes skizzierte „Leitkultur“ in ihrem Programm zu vermitteln, das Recht | |
auf freie Meinungsäußerung. | |
## Zwang zum Mia san mia? | |
Es war diese „Leitkultur“, ein Begriff, den [1][Friedrich Merz vor zwei | |
Jahrzehnten in den politischen Diskurs] eingebracht hatte, die vor vier | |
Jahren vor allem in den Reihen der CSU ein bemerkenswertes Revival erlebte. | |
Obwohl mittlerweile nicht weniger umstritten, trug man das Konzept eines | |
verbindlichen deutschen Wertekanons vor allem in den Reihen der CSU | |
monstranzartig vor sich her. Im Blick hatte man dabei vornehmlich | |
muslimische Zuwanderer und Flüchtlinge. 2016 dann goss der Landtag, in dem | |
die CSU damals noch über eine absolute Mehrheit verfügte, die Leitkultur in | |
Gesetzesform. | |
Besonders an der Schwammigkeit des Begriffs stießen sich die | |
Oppositionsparteien. Was, bitte, ist bayerisch, was deutsch? Gibt es im | |
Freistaat eine einheitliche Identität, der man sich zu unterwerfen hat? | |
[2][Und wenn, ja, wie sieht die aus?] Muss, wer hier lebt, in das | |
verbreitete Mia-san-Mia-Mantra einfallen? | |
Nein, natürlich nicht, entgegnet die CSU. „Es geht beim Thema Integration | |
nicht darum, jemanden zu bajuwarisieren“, versuchte etwa Generalsekretär | |
Markus Blume zu beruhigen. Es müsse nicht jeder Dirndl und Lederhosen | |
tragen. „Es geht darum, sich auf dieses Land einzulassen, zu wissen, welche | |
Werte uns hier wichtig sind, die Gepflogenheiten des Alltags zu verstehen. | |
Für uns ist die Leitkultur nichts Verordnetes vom Staat, sondern etwas, was | |
gelebt wird in unserem Land und was zur Identitätsbildung beigetragen hat.“ | |
Was die Definition freilich nicht leichter macht. | |
Bayern ist nicht das einzige Bundesland, das in den vergangenen Jahren ein | |
Integrationsgesetz erlassen hat. Auch Nordrhein-Westfalen, | |
Baden-Württemberg und Berlin haben die Bundesgesetzgebung durch eigene | |
Gesetze ergänzt. Nur: Anders als in Bayern gehe man dort nicht von einem | |
einseitigen Integrationsverständnis aus, erklärten Kritiker des Gesetzes. | |
Was das bayerische Gesetz von Migranten einfordere, sei nichts anderes als | |
Assimilation. | |
## „Schallendste Ohrfeige“ | |
Obwohl der Verfassungsgerichtshof den Begriff der Leitkultur als solches | |
nicht beanstandete, sahen sich Grüne und SPD von der Entscheidung | |
bestätigt. Das Entscheidende, so SPD-Fraktionschef Horst Arnold, sei, dass | |
das Gericht den Eingriff in die Meinungsfreiheit erkannt habe. Das sei eine | |
der „schallendsten Ohrfeigen“, die ein Gericht verteilen könne. Das Gesetz | |
sei von Anfang an rein parteipolitisch motiviert gewesen und habe | |
[3][Ressentiments gegenüber Migranten] geschürt. | |
Gülseren Demirel, integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, | |
bezeichnete die Entscheidung als „Erfolg für die Betroffenen“. Die | |
Staatsregierung habe an diesem Tag „ganz viele Hausaufgaben“ aufbekommen. | |
„Es war die sprichwörtliche Arroganz der Macht, die Horst Seehofer und die | |
stramm konservative CSU-Landtagsfraktion dazu verleitet hat, ihre | |
Freiheiten bei der Gesetzgebung deutlich überzustrapazieren.“ | |
Von gerade einmal zweieinhalb beanstandeten Artikeln des Gesetzes sprach | |
dagegen der parlamentarische Geschäftsführer der Landtags-CSU, Tobias Reiß, | |
und wertete die Gerichtsentscheidung als Erfolg für seine Partei. Mit den | |
Beanstandungen könne man leben. Auf Nachfrage räumte er zwar ein, dass es | |
Anspruch des Gesetzgebers sein müsse, rundum verfassungskonforme Gesetze zu | |
erlassen. Trotzdem resümierte er: „Insgesamt ein erfolgreicher Tag für die | |
bayerische Integrationspolitik.“ | |
3 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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