# taz.de -- In Erinnerung an Bukowski: Zum Geburtstag was Heftiges | |
> Am 16. August wäre Charles Bukowski 100 geworden. Das Berliner Magazin | |
> „Drecksack“ hat dem Undergroundpoeten eine Sonderausgabe gewidmet. | |
Bild: Leben in Los Angeles, als fotografische Bukowski-Würdigung im aktuellen … | |
BERLIN taz | Zu behaupten, dass Charles Bukowski Literaturzeitschriften | |
besonders geschätzt hätte, wäre glatt gelogen. Die meisten Hefte ödeten ihn | |
an oder er war (in frühen Jahren) beleidigt, weil er ihnen Texte anbot und | |
keine Antwort bekam. So schrieb Bukowski in seinem Essay „Die Minipresse in | |
Amerika“ über derlei Publikationen: „Viele dieser Magazine werden von | |
lahmarschigen Jungs gegründet, die absolut kein Durchhaltevermögen haben | |
und zum ersten Mal in ihrem Leben etwas ohne Mutti auf die Reihe kriegen | |
wollen und sich in Tesafilm, Gin, banalen Geschichten, unrealistischen | |
Liebesgeschichten, Manien, Skandalen, Politik, fickenden Hunden im | |
Vorgarten, Jazz, dem ersten Joint und weiß Gott noch was alles verstricken | |
und worauf Gott – und ich – getrost scheißen.“ | |
An anderer Stelle urteilte der [1][alte Knurrer aus L. A.]: | |
„Literaturmagazine sind wie eine Dose Thunfisch. Und hat man das Zeug mal | |
verdaut, ist es schnell wieder vergessen. Die meisten dieser Magazine | |
werden von verzweifelten jungen Männern oder alten Lesben herausgegeben. | |
Aber was verstehen die von Kunst? Genau. Gar nichts.“ | |
Letzteres Zitat kann man jetzt auch nachlesen – in einer | |
Literaturzeitschrift, die so gänzlich unlahmarschig daherkommt. Der | |
Drecksack sieht sich dem literarischen Underground verpflichtet, schon der | |
Untertitel („Lesbare Zeitschrift für Literatur“) hätte Bukowski vermutlich | |
gefallen. Das Magazin gibt es seit knapp 10 Jahren, herausgegeben wird es | |
vom Berliner [2][Autor und Fotografen Florian Günther]. | |
Am 16. August wäre Bukowski 100 geworden, deshalb ist die neueste Ausgabe | |
ganz ihm gewidmet. Denn für Günther und die Autorinnen und Autoren seines | |
Hefts hat der 1994 verstorbene Dirty Old Man eine besondere Bedeutung, | |
stand er doch seit jeher für eine lebens- und alltagsnahe, nichts | |
beschönigende, oft auch spontane Literatur wider den Gestus der | |
hochgeistigen Kunst. | |
Der Drecksack Nummer 41 ist eine lesenswerte Hommage an Bukowski geworden. | |
Er enthält kleine Gedichte, Miniaturen, literarische Analysen, Mailwechsel | |
und jede Menge Anekdoten – bei einem Typen wie Bukowski besonders spannend. | |
So beschreibt Fotografin Signe Mähler, wie sie Bukowski 1977 besuchte, mit | |
ihm in einem VW über den Hollywood Boulevard düste und essen ging („Ich | |
hatte ja schon ein paar Fotos von ihm gesehen, aber in Wirklichkeit war | |
sein Gesicht wie eine Landschaft“). Thomas Kapielski und Michael Schulte | |
schreiben über die legendäre Hamburg-Lesung Bukowskis 1978 und welche | |
Spuren sie in ihren Biografien hinterlassen hat. | |
Die meisten Texte sind in diesem Sinne auch eher persönliche Erinnerungen | |
und Annäherungen an Bukowski – was in dem Falle sehr gut passt. Schließlich | |
war für viele die Lektüre seiner Texte eine Art Erweckungserlebnis à la: | |
„Oh, so kann Literatur auch sein.“ | |
In einem Text von Roni, dem Vorsitzenden der Charles-Bukowski-Gesellschaft | |
(ja, so etwas gibt es), erfährt man dagegen aus zweiter Hand, wie das war | |
mit Charles Bukowski und dem Cunnilingus. Roni berichtet von einer | |
Unterhaltung mit dessen Ex-Geliebter Linda King, die ihm diese Praxis in | |
fortgeschrittenem Alter beigebracht haben will: „I put a lot of tricks into | |
the old dog.“ | |
Welche Tricks er beim Schreiben draufhatte, analysiert Frank Schäfer in | |
seinem Essay „Das Geklapper“. Warum kommt das Schreiben bei Bukowski so | |
leicht rüber und ist dabei doch alles andere als leicht? Schäfer, ein | |
Bukowski-Kenner (in diesen Tagen erscheint auch mit „Notes on a Dirty Old | |
Man. Charles Bukowski von A bis Z“ ein neues Buch von ihm), erklärt, wie | |
Bukowski oft mit Trial and Error gearbeitet und zudem versucht hat, das | |
Schreiben nicht immer allzu ernst zu nehmen. Im Interview von Florian | |
Günther mit [3][Benno Käsmayr (deutscher Verleger Bukowskis)] erfährt man | |
dazu mehr. | |
Toll sind die Miniaturen und Gedichte, zum Beispiel „Bukowski vs. Flaubert“ | |
von Silke Vogten oder die allesamt stark von Bukowski beeinflussten | |
Kurzgedichte von Florian Günther, Franz Dobler, Jerk Götterwind und Katrin | |
Schings. In manchen Texten – wie dem von Todd Moore und Clint Lukas – | |
klingt für meinen Geschmack zu viel Ehrerbietung und Vergötterung durch. | |
Ersterer tut so, als könne es kein anderer Autor auf Erden mit Bukowski | |
aufnehmen. Letzterer erinnert sich an eine Begegnung mit Bukowskis Tochter | |
Marina in Berlin – eigentlich ein lesenswertes Stück, aber darin stehen | |
auch Sätze wie: „FUCK. Du sitzt hier wirklich mit seiner Tochter. Der | |
echten, leibhaftigen Tochter von Charles Bukowski.“ | |
Das erinnert dann doch eher an einen angestaubten Geniekult. Wenn wir schon | |
beim Meckern sind: Eine jüngere Stimme oder ein/e Autor/in jenseits des | |
Bukowski-Fankreises hätten der Ausgabe gut getan. Etwas mehr Beef und | |
Widerspruch! | |
Wie die Faust aufs Auge passen die großartigen Fotografien von Michael | |
Dressel, mit denen die Ausgabe (überwiegend) bebildert ist. Seine Bilder | |
sind alle innerhalb der vergangenen vier Jahre in Downtown L. A. und am | |
Hollywood Boulevard aufgenommen. Auf dem Cover des Drecksacks ist dann auch | |
nicht Bukowski zu sehen, sondern ein älterer Typ in Anzug, der den | |
Fotografen an den Style Henry Millers oder Bukowskis erinnert hat. | |
Ein Blick auf die Fotos reicht aus, um zu verstehen, dass Bukowski uns auch | |
heute noch sehr viel zu sagen hat. | |
15 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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