# taz.de -- Housing First in Norddeutschland: Eigener Herd ist Goldes wert | |
> Housing First gehört zu guter Wohnungslosen-Politik. In Hamburg steht nun | |
> endlich fest, wer das Projekt umsetzen soll. In Bremen ist man weiter. | |
Bild: Je länger sie andauert, desto schwieriger, wieder rauszukommen: Wohnungs… | |
BREMEN taz | Ein eigenes Heim beziehen, ganz ohne Hürden? Für viele | |
[1][wohnungslose Menschen] ist das unvorstellbar. Doch Housing First will | |
genau das ermöglichen. In Bremen läuft das Projekt seit Herbst. Inzwischen | |
sind elf Menschen aufgenommen worden, teilten die Träger-Vereine | |
Wohnungshilfe Bremen und Hoppenbank mit. Drei von ihnen hätten ihre Wohnung | |
bereits bezogen; zwei weitere stünden kurz davor. „Bei den restlichen sechs | |
Personen sind die Vorbereitungen dafür ebenfalls angelaufen.“ | |
Eine Voraussetzung für die Teilnahme gibt es, erklärt Projektkoordinatorin | |
Anne Blankemeyer: die Fähigkeit, Absprachen zu treffen. „Damit sind | |
Menschen, die schwer suchterkrankt sind, wahrscheinlich ausgeschlossen, | |
solche, bei denen sich das ganze Leben nur um Konsum dreht.“ | |
Wegen aggressiven Verhaltens aus anderen Unterkünften geflogen zu sein, sei | |
dagegen kein Ausschlusskriterium. „Wir wollen genau die, die bisher durchs | |
Hilfesystem gefallen sind“, sagt Blankemeyer. Wer auffällig sei, könne | |
schließlich daran arbeiten. Zumal es oft die Szene sei, die überhaupt | |
aggressiv mache. | |
Die Idee hinter [2][Housing First] ist genau diese Bedingungslosigkeit. Wer | |
mitmacht, muss nur eine grundsätzliche Bereitschaft zeigen, „zumindest lose | |
mit einem Sozialarbeiter zusammen zu arbeiten“ und einen Mietvertrag zu | |
unterschreiben. So steht es in der Ausschreibung. Da steht auch: „Anders | |
als in anderen Projekten soll nicht zur Voraussetzung gemacht werden, dass | |
der Betreffende zum Beispiel abstinent lebt oder einer Behandlung einer | |
psychischen Erkrankung zustimmt.“ Die Wohnung ist dabei der Ausgangspunkt | |
für alles Weitere. | |
## Projekt in der Szene bekannt | |
„Anschließend und davon unabhängig werden weitere Probleme bewältigt, um | |
den Weg in ein geordnetes Leben zu schaffen“, heißt es in der aktuellen | |
Erklärung der Träger. Im frisch bezogenen Büro in der Bremer Innenstadt | |
gebe es daher auch soziale Angebote und Freizeitbeschäftigungen; der Ort | |
solle als Treffpunkt und Anlaufstelle genutzt werden. | |
„Die Teilnehmer:innen kommen auf uns zu“, erzählt Blankemeyer. Das | |
Projekt habe inzwischen eine hohe Bekanntheit in der Szene, auch durch die | |
Mitarbeitenden, die selbst einmal wohnungslos waren. Zudem riefen | |
Streetworker bei Bedarf an. In Bremen leben laut Blankemeyer rund 600 | |
Menschen ohne Wohnung. „Nicht mitgezählt sind jedoch die, die in | |
merkwürdigen Beziehungsverhältnissen auf Sofas leben.“ | |
Vier der Teilnehmenden seien Frauen. In der Ausschreibung durch die Bremer | |
Sozialsenatorin hieß es, dass ein Frauenanteil von 25 bis 30 Prozent | |
sicherzustellen sei. Denn in etwa so viele Wohnungslose sind Frauen. | |
Um Wohnungen zu finden, kooperiere das Projekt mit privaten | |
Vermieter:innen und den Wohnungsbaugesellschaften Vonovia, Brebau, | |
Gewoba sowie Haus und Grund, sagt Blankemeyer. Zudem könne die Stadt über | |
sogenannte Belegrechte Wohnungen mieten. | |
## Unbefristete Mietverträge | |
Aus einer aktuellen Senatsantwort auf eine Anfrage der Linksfraktion geht | |
hervor, dass über dieses Instrument bislang acht Wohnungen angemietet | |
wurden. Über 23 weitere werde verhandelt. Bisher sei eine Teilnehmerin in | |
eine dieser Wohnungen gezogen, sagt Blankemeyer. „Wir gucken genau, ob die | |
Wohnungen zu den Menschen passen.“ | |
Das Projekt läuft bis Ende 2023. Im laufenden Jahr soll 30 | |
Teilnehmer:innen zu einer eigenen Bleibe verholfen werden; im kommenden | |
Jahr nochmal so vielen. Deshalb werde weiteres Personal eingestellt, auch | |
wenn der Betreuungsbedarf wohl sinken werde: „Der ein oder andere wird sich | |
dann ein soziales Netzwerk aufgebaut haben“, sagt Blankemeyer. „Sie dürfen | |
sich aber natürlich wieder melden, wenn nochmal ein Brief vom Amt kommt, | |
der überfordert.“ | |
Auch wenn das Projekt ausläuft: Die Mietverträge bei Housing First sind | |
unbefristet. Theoretisch dürfen die Teilnehmenden also für immer bleiben. | |
Wenn auch nach den zwei Jahren Betreuungs- oder Pflegebedarf besteht, | |
erklärt Blankemeyer, „würden wir Expert:innen installieren, wie etwa | |
einen Pflegedienst“. | |
In Hamburg ist das im rot-grünen Koalitionsvertrag festgehaltene | |
Housing-First-Projekt noch in der Vorbereitung. Doch jetzt stehen immerhin | |
die Träger schon einmal fest: Ein Verbund aus dem Diakonischen Werk | |
Hamburg, der Benno und Inge Behrens-Stiftung und dem | |
Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost soll das Projekt | |
umsetzen. Das teilte die Sozialbehörde am Montag mit. | |
## Hamburg möchte evaluieren | |
Der Projektstart ist für Anfang Juli vorgesehen, die Laufzeit auf drei | |
Jahre ausgelegt. 30 Wohnungen sollen vermietet werden. 880.000 Euro stellt | |
die Sozialbehörde dafür zur Verfügung. | |
Die Bürgerschaft hatte das Projekt [3][im Juni auf den Weg gebracht]. | |
Verschiedene Akteur:innen kritisierten damals, dass die Umsetzung zu | |
lange dauere und die geplante wissenschaftliche Evaluation unnötig sei. | |
Housing First sei bereits gut erforscht. Das Konzept wurde in den | |
90er-Jahren in den USA entwickelt. | |
Doch Hamburg möchte nicht nur „obdachlose Menschen langfristig in eigenem | |
Wohnraum stabilisieren“, sondern auch „Erfahrungen darüber gewinnen, ob und | |
unter welchen Voraussetzungen ein solches Vorgehen als ergänzendes | |
Instrument Bestandteil des Gesamtkonzeptes Wohnungslosenhilfe werden kann“. | |
In Hannover sieht das Housing First-Projekt etwas anders aus als in den | |
Hansestädten: Hier hat die [4][Stiftung „Ein Zuhause“] ein Gebäude mit 15 | |
Wohnungen im Stadtteil Vahrenwald gebaut. Das Grundstück stellt die Stadt | |
im Rahmen eines Erbpachtvertrags. Bereits im März vergangenen Jahres sei | |
das Haus bezogen worden, sagt Andreas Sonnenberg, Vorstand des | |
Trägervereins Werkheim. Nach Angaben der Stiftung leben in Hannover rund | |
4.500 Menschen auf der Straße. | |
11 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Obdachlosigkeit-in-der-Pandemie/!5838345 | |
[2] /Revolution-der-Wohnungslosenhilfe/!5805697 | |
[3] /Wohnraum-fuer-Obdachlose/!5774494 | |
[4] https://www.stiftung-einzuhause.de/ | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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