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# taz.de -- Historikerin über ihr Buch zu 1968: „Die NS-Väter sind ein Myth…
> Die SDS-Männer waren nicht weniger sexistisch als die anderen damals.
> Dagegen organisierte sich 1968 die Frauenbewegung, sagt Christina von
> Hodenberg.
Bild: Beate Klarsfeld 1971 am Eingang zum Gericht in Köln neben Demonstranten.…
taz: Frau von Hodenberg, die 68er sind politisch gescheitert, hatten aber
lebenskulturell durchschlagenden Erfolg. Einverstanden?
Christina von Hodenberg: Diese Deutung hat sich durchgesetzt. Das war auch
so.
Warum dann noch ein Buch über 68?
Weil der weibliche Teil fehlt. Lange galten die siebziger Jahre mit Alice
Schwarzer und der Kampagne gegen den Paragrafen 218 als Beginn der neuen
Frauenbewegung. Doch deren Kern entstand 1967/68. Das war mehr als eine
Vorphase.
Hat sich das feministische Selbstbewusstsein im Kampf mit den 68er-Männern
entwickelt?
Zum Teil. Die linken Frauen beschäftigten sich mit Ideen, die um Autonomie
und Protest kreisten. Sie waren frustriert über die Männer im SDS, weil
ihre Lebensentwürfe nichts galten. Die SDS-Männer waren ja auch nicht
weniger sexistisch als die anderen damals. Die Norm war: Männer sind für
Kinderbetreuung und Haushalt nicht zuständig. Dagegen organisierte sich
1968 die Frauenbewegung. Sie formulierte etwas Neues: Das Private ist
politisch. Das war die Initialzündung für den Feminismus.
War der Kern der Revolte also weibliche Befreiung aus diesen Zwängen?
Ein Kern. Weibliche Emanzipation ist ein Teil, nicht das Ganze. Es gab den
Vietnamkrieg und die internationale Solidarität. Es gab die Utopie, das
Antiautoritäre, die Idee der radikalen Partizipation von unten. All das ist
im Gedächtnis abgespeichert, nur der weibliche Teil nicht.
Warum?
Auch wegen der immer gleichen Bilder, die eine Männerrevolte zeigen:
demonstrierende Studenten, Rudi Dutschke auf dem Vietnamkongress. Es gibt
aber kein Bild von dem Tomatenwurf auf Hans-Jürgen Krahl, mit dem
SDS-Frauen gegen den Sexismus protestierten. Zudem: Das Bild, dass 1968 die
Revolte einer Generation war, ist ja später retrospektiv im Zusammenspiel
von Akteuren von 68 und Medien inszeniert worden. Die SDS-Frauen waren bei
dieser Selbststilisierung zurückhaltender.
Selbst schuld, oder?
Das entsprach der klassischen Frauenrolle, sich nicht nach vorn zu
drängeln. Kaum jemand kennt die Namen Helke Sander und Sigrid Damm-Rüger,
die damals die Tomate warf. Diese Namen fehlen auch in vielen historischen
68er-Darstellungen. Dabei war langfristig der Geschlechterkonflikt
wichtiger als der Generationenkonflikt.
Kühne These. 68 war keine ödipale Revolte gegen die Älteren?
Nein.
Es gab SDSler mit Nazivätern: Hannes Heer, Bernward Vesper, KD Wolff …
… das sind Einzelfälle, die medial verallgemeinert wurden. Die Akteure der
Revolte haben sich geschickt selbst eine heroische Rolle bei der
Demokratisierung der Bundesrepublik geschneidert. Der Aufstand gegen die
NS-Väter ist ein Teil davon. Das stimmt so nicht, sondern ist ein
literarischer Mythos, den wir schon bei Schillers Drama „Don Karlos“
finden. Die Idee, deutsche Geschichte als Abfolge von politischen
Generationen zu erzählen, die sich bekämpfen und ablösen, ist ein
männliches, bildungsbürgerliches Modell, in dem Frauen und Nicht-Eliten
nicht vorkommen. Die Revolte gegen die Naziväter war ein dramatisches
Muster, das sich gut vermarkten ließ. In den Familien lief es aber anders.
Wie?
Der Konflikt mit den Vätern fand kaum statt, weil die Kinder mit den Eltern
emotional verbunden waren und weil sie oft materiell von ihnen noch
abhängig waren. Zudem war es schwierig, sichere Informationen über konkrete
Taten in der NS-Zeit zu beschaffen und die eigenen Eltern damit zu
konfrontieren. Es gibt verständliche Gründe, warum in den Familien die
NS-Zeit in der Regel kein Thema war.
Aber es gab doch einen Generationenkonflikt. Viele Jüngere lehnten sich
gegen die NS-belasteten Repräsentanten der Bundesrepublik – von Globke
über Kiesinger bis Lübke – auf?
In der politischen Öffentlichkeit war das möglich, privat eher nicht. Die
NS-Vergangenheit wurde politisch auch als Kampfmittel eingesetzt. Liberale
Professoren, die NS-belastet waren, wurden oft nicht angegriffen,
konservative schon. Hinzu kommt: Die Eltern der 68er waren oft zu jung, um
im Nationalsozialismus Karriere gemacht zu haben – das waren meist die
Großeltern. Das Bild „'68 war der Aufstand der Söhne gegen die Naziväter“
ist viel zu simpel. Und den Blick auf Männer zu fokussieren ist typisch für
die Geschichtsschreibung.
Inwiefern?
In den einflussreichen Meistererzählungen der Bundesrepublik wird die
Frauenbewegung zwar immer als wichtig gewürdigt – aber dann in zwei
Absätzen oder drei von tausend Seiten abgetan.
Wen meinen Sie?
Eckhart Conze, Ulrich Herbert, Hans-Ulrich Wehler – es ist überall das
gleiche Muster. Der Frauenbewegung wird eine Nische zugedacht, sie ist kein
integraler Teil der Erzählung.
Ist der Generationenkonflikt in Bezug auf 68 eine retrospektive Erfindung?
Ja und nein. Es gab Konflikte zwischen Jung und Alt, aber die waren viel
komplexer. 1968 existieren drei Generationen: Großeltern, Eltern, Jüngere.
Die Eltern hatten oft die Rolle, zwischen Jüngeren und Großeltern zu
vermitteln. Und viele der linken Aktivisten kamen auch aus linken Familien
mit Eltern, die Sympathien für die Revolte hatten.
Haben Sie neue Quellen für Ihr Buch „Das andere Achtundsechzig“ benutzt?
Ja, bislang nicht beachtete Interviews mit Älteren, die Bonner Psychologen
von 1964 bis 1984 führten. Und Interviews mit Jungen, die 1968 politisch
aktiv waren, vom RCDS bis zum SDS. Das Bild, das diese Interviews ergeben,
weicht stark von unserer mythischen Erzählung von 68 ab.
Ist dieses Material denn repräsentativ genug, um weitgehende
Schlussfolgerungen zu ziehen?
Es ist nicht repräsentativ im Hardcore-Sinne, als statistisches Material.
Aber diese 3.600 Stunden sind die frühesten Tonbandinterviews mit normalen
Bürgern in der Bundesrepublik und insofern eine gute Grundlage für
plausible Deutungen.
Eine Interpretation war bisher: Die Revolte von 68 war das Ventil für das
Schweigen in den Familien über die NS-Zeit. Müssen wir das revidieren? In
Ihren Schilderungen waren die Familien viel intakter, um nicht zu sagen
heil?
Nein, ich entwerfe kein Friede-Freude-Eierkuchen-Bild. Erst mal: Familien
sind für Historiker ein schwierig zu erforschendes Gebiet. Über die
Familien und die 68er gab es bisher fast nur Anekdoten und Spekulationen.
Wir wissen aber aus Studien, dass es in den sechziger Jahren weniger
handfeste familiäre Konflikte gab als in den Jahrzehnten zuvor.
Warum?
Wegen der Einführung der dynamischen Rente 1957. Die Alten sind seitdem
finanziell eigenständiger und nicht mehr so abhängig von den Jungen. Das
reduzierte die Konflikte. Es gab aber natürlich trotzdem Streit – neben
Geld ging es um die Partner- und die Berufswahl der Jungen. Die Jüngeren
wollten autonomer sein, als es die Eltern zulassen wollten. Das war der
Konfliktstoff. Nur mit der NS-Vergangenheit der Eltern hatte das kaum etwas
zu tun.
War 68 kein Schub für die Bewältigung der NS-Geschichte?
Eher nicht. Es gab zwar Beate Klarsfeld, die Bundeskanzler Kurt Georg
Kiesinger ohrfeigte, weil der NSDAP-Mitglied gewesen war. Aber die
marxistische Faschismustheorie, der viele 68er anhingen, und ihr bisweilen
in Antisemitismus umschlagender Antizionisumus waren kein Fortschritt für
die Aufarbeitung der NS-Verbrechen.
15 Mar 2018
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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