| # taz.de -- Herzliche EM-Gastgeber in Aserbaidschan: Am Kiosk zählt nur die Eh… | |
| > Wie anders man bei anderem Medienkonsum die Welt wahrnehmen kann. Ein | |
| > Gespräch beim Essen in der EM-Stadt Baku stößt an seine Grenzen. | |
| Bild: Ort des direkten Austauschs: ein Kiosk in Aserbaidschans Hauptstadt Baku | |
| Baku taz | Ich sitze mit Ceyhun im Restaurant, wir essen hervorragenden | |
| Plov – Reis mit Drumherum, in dem Fall Lamm und Aprikose – und reden über | |
| das Leben. Und ich denke, wie nahe die Wärme und der Schrecken oft | |
| beieinander liegen. Ceyhun, ein junger Kioskbesitzer bei mir um die Ecke in | |
| Baku, hatte mich eingeladen. Sehr ist er darauf bedacht, dass mir alles | |
| gefalle. „Ihr Europäer haltet uns alle für Terroristen und Barbaren“, hat | |
| er gesagt. | |
| Ceyhun stammt aus einer aserbaidschanischen Kleinstadt in den Bergen, die | |
| Hauptstadt war eigentlich nicht so sein Ding. Dann kam er trotzdem. Das | |
| Informatikstudium aber gab er schnell dran. Mit seinem Kiosk verdiene er | |
| fünfmal so viel, außerdem sei er frei. Ceyhun ist warm und großzügig, lacht | |
| viel, ist sehr emotional. Das Gespräch ist Meilen entfernt von dem oft | |
| oberflächlichen Geplänkel mit Europäern. Er schwärmt vom Fußball oder von | |
| seinem Traum, eines Tages nach Südamerika zu emigrieren. In anderen | |
| Momenten kippt es. | |
| [1][Vom Bergkarabach-Konflikt] habe ich nicht angefangen. Natürlich nicht. | |
| Er fängt damit an. Wie schlimm die Armenier seien, was für mordende | |
| Unmenschen. „Jeder weiß, das ist unser Land. Und in meinem Haus spielst du | |
| nach meinen Gesetzen.“ Er will keinen Widerspruch hören. „Mein Bruder war | |
| an der Front. Ich kenne die Wahrheit.“ Die Frage nach Autokratie oder | |
| Demokratie ist für ihn völlig irrelevant. Es geht um nationale Ehre. „Unser | |
| Land wird sonst überrannt.“ Er hat spürbar echte Angst davor. Ceyhuns große | |
| Helden sind starke Männer wie Erdoğan. „Die Türkei lässt sich nichts von | |
| euch gefallen. Und mittlerweile gehört sie zu den mächtigsten Ländern der | |
| Welt.“ | |
| Ich denke, dass es erstaunlich ist, wie anders man bei anderem Medienkonsum | |
| die Welt wahrnehmen kann. Die Demokratieaktivisten, die ich hier treffe, | |
| mögen noch so sehr davon reden, dass die Armut die Menschen belaste, aber | |
| ich befürchte, dass die Prioritäten vieler Leute die von Ceyhun sind. Als | |
| ich ihm sage, dass sie den Bergkarabach-Konflikt so niemals lösen werden, | |
| schaut er mich fast hasserfüllt an. „Das ist richtig, wir werden ihn | |
| niemals lösen.“ | |
| Der Kampf fügt sich in ein Weltbild. „Du kannst alles an mir kritisieren“, | |
| sagt er einmal, „aber nicht meine Religion und meine Ehre.“ Die Kleidung | |
| der muslimischen Frauen hier mag liberal sein, das Weltbild darunter ist | |
| knallhart. Für Ceyhun („und für fast alle von uns“) ist es so: Die Frau | |
| muss vor der Hochzeit Jungfrau sein. Sie muss sich nach den Wünschen des | |
| Mannes richten. Sie darf nicht rauchen. Recht gelassen schildert er einen | |
| Ehrenmord in der Shoppingmall. Einmal fragt er, wie ich denn reagiere, wenn | |
| mein Freund mir anordnet, abends nicht rauszugehen. Ich muss lachen. Ich | |
| weiß nicht, wo ich anfangen soll. | |
| Der Plov, den wir gegessen haben, war tatsächlich einer der besten, den ich | |
| je hatte. So schnell, [2][wie Düsternis kommt], kommt auch immer seine | |
| umsorgende Wärme zurück. Ceyhun lädt für einen nächsten Besuch ein, sein | |
| Bergdorf zu zeigen. Und will wissen, ob es mir denn gut gefallen habe in | |
| Baku. | |
| 15 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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