# taz.de -- Hamburger Staatsfeinde: „Wir wollen keine Polit-Sekte sein“ | |
> Die linksradikale Splittergruppe „Roter Aufbau Hamburg“ hat sich mit | |
> ihren antiimperialistischen Genossen verkracht. Ein Gespräch über | |
> Spaltungen, Selbstironie und die befreite Gesellschaft. | |
Bild: Manchmal hat der Dresscode eine gewisse Schutzfunktion: der schwarze Bloc… | |
taz: Herr Hein, Herr Henning, warum hat sich die eh schon überschaubare | |
antiimperialistische Szene in Hamburg gespalten? | |
Denis Hein: Es gab halt Differenzen über die politische Taktik. Wir vom | |
Roten Aufbau gehen davon aus, dass man sich in Deutschland auf die Leute zu | |
bewegen muss - und nicht so eine Radikalität propagieren sollte, wie die | |
anderen das vor einigen Jahren auf der 1.-Mai-Demo vorgeführt haben, als | |
sie auf der Reeperbahn zum Volkskrieg aufgerufen haben. | |
Ihnen sind die anderen Antiimps zu realitätsfern geworden? | |
Hein: Viele von denen sind ziemlich weit weg von den realen Verhältnissen | |
in Deutschland. Wir wollen eine Bewegung schaffen, die die Verhältnisse zum | |
Wanken bringt. Die Leute nehmen dich auch nicht ernst, wenn du mit 30 | |
Leuten zum bewaffneten Kampf aufrufst. Das ist Idiotie. | |
Neuerdings haben Sie sich umbenannt, von der Roten Szene in den Roten | |
Aufbau, warum? | |
Hein: Weil wir den Begriff der Szene kritisch sehen. Wir wollen eigentlich | |
gar keine Szene darstellen, weil das so etwas Kodiertes ist. Wir wollen | |
eine Bewegung sein, bei der jeder mitmachen kann. Man muss nicht im | |
linksradikalen Dresscode auftauchen, das ist uns egal. Wir wollen eine | |
Bewegung der Unterdrückten aufbauen und keine Subkultur, die sich auf sich | |
selbst bezieht. | |
Auf der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ spielt der Dresscode aber doch eine | |
große Rolle … | |
Hein: Natürlich hat so ein schwarzer Block manchmal einen Sinn, eine | |
Schutzfunktion, dass man eben nicht identifiziert werden kann. In anderen | |
Bereichen geht das aber zu weit. | |
Wie wollen Sie eine Bewegung auf die Beine stellen? | |
Hein: Wir versuchen langfristige Strukturen aufzubauen und arbeiten daran, | |
ein soziales Zentrum ins Leben zu rufen. Einen Nachbarschaftstreff, wo es | |
Yoga gibt, wo jemand seinen 18., 20. oder 30. Geburtstag feiern kann, aber | |
auch politische Diskussionen stattfinden - einen Ort, an dem man ein | |
solidarisches Miteinander kennenlernt. | |
Laut Verfassungsschutz ist ja das „Internationale Zentrum B5“ Sitz und | |
Treffpunkt Gewalt-bejahender Linksextremisten. Da sind Sie vor einem Jahr | |
rausgeflogen. | |
Ernst Hein: Die B5 hat für Jugendliche schon so ein Auffangbecken geboten, | |
um eine Jugendbewegung zu etablieren. Doch das scheint uns jetzt nicht mehr | |
möglich. | |
Denken Sie an eine weitere Rote Flora? | |
Henning: Die Flora hätte wunderbare Möglichkeiten. Aber sie ist für mich zu | |
einer Art Selbstzweck verkommen. Da finden ja vor allem Partys statt. Auch | |
die Räume sind nicht einladend, das sieht ja so verwahrlost aus und ist | |
auch nur noch für eine bestimmte Szene. | |
Gibt es auch einen inhaltlichen Streit mit den anderen Antiipms? | |
Henning: Es geht vor allem um die Art, wie Politik gemacht wird. Diese | |
Leute haben einen sehr autoritären Politikstil - alles, was sich einer | |
gewissen Linie nicht unterordnet, sehen die als Gegner und als überflüssig | |
an. So erging es auch unserer Gruppe, aber wir lehnen dieses | |
Schwarzweiß-Denken ab. | |
Hein: Antonio Gramsci hat es Philosophie der Praxis genannt: Es ist bei uns | |
nicht nur der Weg - der ist ja auch immer Teil der Philosophie. Wir | |
versuchen mit diesem dogmatischen Denken der Leute zu brechen, indem wir | |
Sachen kritisieren. Wir sehen auch uns selbstkritisch: Wir wollen nicht wie | |
so eine Polit-Sekte daherkommen. | |
Öffnen Sie sich auch für andere linke Gruppen? | |
Henning: Wir suchen schon den Kontakt zu anderen Gruppen, aber die haben | |
ihn manchmal nicht so gerne. | |
Hein: Das ist ja immer so, dass Bewegungen, wenn sie so marginalisiert | |
sind, sich noch weiter aufspalten, dass die Leute eher sich selbst | |
bekämpfen, anstatt den großen Gegner. Wir glauben nicht, dass wir die | |
revolutionäre Keimzelle sind. Mit so einer Stellvertreterpolitik haben wir | |
gebrochen. Wir wollen jetzt Leute animieren, selber aktiv zu werden. | |
Meinetwegen auch wie bei Recht auf Stadt. | |
Aber das Netzwerk Recht auf Stadt war Ihnen doch immer zu bürgerlich? | |
Hein: Das ist ein bürgerlicher Kampf, weil er systemimmanent bleibt. So | |
etwas wie ein Recht auf Stadt kann es einfach nicht geben. Wir wollen | |
primär keine bürgerlichen Rechte erkämpfen, sondern wollen es aufheben, | |
dieses bürgerliche System. | |
Wenn man gegen den Staat ist, ist es schwierig, sich auf das Recht zu | |
berufen. | |
Hein: Wobei wir das auch nicht komplett ablehnen: Wir sagen ja auch nicht | |
bei Polizeigewalt: Das ist normal. Da muss man auch gegen angehen. Auch das | |
Recht ist ein Kampfplatz. | |
Bestimmte Themen, etwa die Frage, wie man zu Israel steht, spalten die | |
Linke. Die Antideutschen werfen Ihnen vor, antisemitisch zu sein. | |
Henning: Als Gruppe haben wir uns mit dem Nahost-Konflikt wenig | |
beschäftigt, weil wir hier vor Ort Politik machen wollen. Einzelne Leute | |
von uns waren schon mal in Israel und den Palästinensergebieten unterwegs. | |
Die Diskussionen hier haben kaum Einfluss auf das, was vor Ort passiert. | |
Hein: Als Kommunisten haben wir schon ein Weltbild - wir sind ja auch | |
Humanisten und als solche können wir es nicht tolerieren, dass ein Staat | |
die Grundrechte einer Bevölkerung, die ihn nicht akzeptiert, unterdrückt. | |
Aber dieser Konflikt ist ja weit weg - das hat man in den 70er-Jahren in | |
Deutschland mit Nicaragua übrigens auch schon so gemacht: Man projiziert | |
seine Sehnsüchte und Wünsche in ein anderes Land und kämpft nicht mehr hier | |
für eine gesellschaftliche Veränderung. | |
Sie verstehen sich immer noch als Anti-Zionisten? | |
Hein: Ja, wir sind gegen religiöse Staaten. Aber wir sind auch ganz klar | |
gegen Antisemitismus in Deutschland, den es zu bekämpfen gilt. | |
Was wäre für Sie die Aufgabe Deutschlands im Kampf gegen Antisemitismus? | |
Hein: Unser erstes Anliegen müsste sein, dass Juden in Deutschland nicht | |
diskriminiert werden, und die deutsche Schuld nicht in den arabischen Raum | |
zu verschieben. | |
Im neuen Grundsatzpapier nehmen Sie sich selbst auf den Arm - zitieren die | |
Spaltung der Volksfront von Judäa aus dem Film „Das Leben des Brian“. | |
Hein: Die linke Szene wirkt manchmal wie eine einzige Satire, da kann es | |
nicht schaden, sich auch mal über sich selbst lustig zu machen. | |
Henning: Man darf sich auch nicht zu ernst nehmen. | |
Ist die Spalterei am Ende eine PR-Aktion? | |
Henning: Wir sehen das nicht als Spalterei. Man hat sich eben | |
auseinandergelebt, weil es nicht mehr zusammen ging. | |
Wie wirkt sich dieses Auseinanderleben jetzt aus? | |
Hein: Wir ignorieren die, die versuchen uns zu ignorieren. Natürlich hat | |
sich das am 1. Mai kristallisiert, bei zwei gleichzeitigen Demonstrationen. | |
11 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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