# taz.de -- Grüner Finanzminister über seinen Job: „Ein harter Rollenwechse… | |
> Danyal Bayaz grillte im Wirecard-Untersuchungsausschuss Olaf Scholz. | |
> Jetzt muss er sich als Finanzminister von Baden-Württemberg bewähren. | |
Bild: Zwei grüne Spitzenpolitiker, ein Paar: Danyal Bayaz und Katharina Schulz… | |
taz: Herr Bayaz, bis Mai waren Sie noch Bundestagsabgeordneter, jetzt | |
schlagen Sie sich als Finanzminister in Baden-Württemberg mit leeren | |
Landeskassen herum und müssen merkwürdige Debatten um Ihre Person | |
aushalten. Ist das Pflaster in Stuttgart härter als in Berlin? | |
Danyal Bayaz: Das war aus unterschiedlichen Gründen ein harter, auch | |
mentaler Rollenwechsel. [1][Vom Bund ins Land], von der Opposition in die | |
Regierung. Die Anfrage des Ministerpräsidenten kam ja überraschend, als ich | |
noch mitten im Wirecard-Untersuchungsausschuss steckte. Hier in Stuttgart | |
war ich dann gleich ohne Schonzeit mitten in den Beratungen für den | |
Nachtragshaushalt drin. | |
Und Sie sind seit Kurzem Vater. Hat Sie die Diskussion, ob ein Minister | |
Elternzeit machen darf, irritiert? | |
Da ist es ein bisschen wie beim Integrationsparadox. Die Gesellschaft ist – | |
wie bei der Integration auch – bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie | |
insgesamt sehr weit. Im Einzelfall gibt es aber dann doch noch eine | |
polarisierte, aufgeladene Debatte. Ich finde aber, es ist ein positives | |
Zeichen, dass auch ein männlicher Minister solche Fragen gestellt bekommt | |
und nicht immer nur Frauen. | |
Machen Sie nun Elternzeit oder nicht? | |
Direkt nach der Geburt hatte ich mich ein Stück weit rausgezogen und kaum | |
Termine wahrgenommen oder nur digital. Das geht ja mittlerweile gut. Unter | |
der Woche bin ich jetzt wieder meist in Stuttgart, werde mir aber weiterhin | |
gezielt Freiräume für meine Familie schaffen. Ich bin neu im Amt und neu in | |
der Vaterrolle, und da muss sich noch zeigen, wie das im Alltag konkret | |
geht. Aber klar ist auch, meine Partnerin … | |
… die grüne Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze | |
… | |
… hat einen ebenso anstrengenden und wichtigen Job. Sie wird nach der | |
parlamentarischen Sommerpause auch wieder voll arbeiten, da hat sie meine | |
volle Unterstützung. Wir wollen unseren Sohn gemeinsam aufziehen, die Omas | |
werden uns dabei helfen. | |
Auf rassistische Pöbeleien im Netz zur Geburt Ihres Sohnes haben Sie mit | |
Humor reagiert. Hat Sie das gar nicht getroffen? | |
Natürlich macht das etwas mit einem, für Rassismus und Frauenfeindlichkeit | |
darf es weder im Netz noch in der Gesellschaft Platz geben. Persönlich darf | |
man das aber nicht zu sehr an sich ranlassen. Das gilt gerade auch für den | |
anstehenden Bundestagswahlkampf. | |
In Baden-Württemberg müssen Sie jetzt Einsparungen durchsetzen. Im | |
Landeshaushalt fehlen wegen der Pandemie in den nächsten Jahren Milliarden. | |
Wir sind noch mitten in der Pandemie und haben mit Krediten wie alle Länder | |
und der Bund dafür gesorgt, die Pandemie und ihre negativen Folgen | |
einzudämmen. Das war gesundheitspolitisch, aber auch wirtschaftlich | |
richtig. So haben wir die Konjunktur und auch die Steuereinnahmen | |
stabilisiert. Deshalb ist es auch notwendig und vorausschauend, das Land | |
weiter gegen Coronarisiken abzusichern, und dafür werden wir jetzt noch mal | |
Notkredite aufnehmen. Anders sieht das mit dem Haushalt für nächstes Jahr | |
aus. Ich glaube nicht, dass wir 2022 noch objektiv sagen können, wir | |
stecken in einer Naturkatastrophe. Da gilt dann wieder die Schuldenbremse. | |
Warum gilt die Schuldenbremse für einen Grünen denn als selbstverständlich, | |
wenn die Zinsen niedrig sind und die Klimakrise entschlossenes Handeln | |
fordert? | |
Erst mal gilt sie, weil sie in der Landesverfassung steht. Damit muss ich | |
umgehen und die Einhaltung entsprechend einfordern. Und niedrige Zinsen | |
sind für mich nicht per se ein Argument, mehr Schulden zu machen. Denn | |
weniger Zinslast könnte ja auch mehr Freiraum für sinnvolle Investitionen | |
bedeuten. Die Schuldenbremse schafft Vertrauen und zwingt zu | |
finanzpolitischer Disziplin und Schwerpunktsetzung. Wir dürfen unseren | |
Kindern weder überdimensionierte Schuldenberge noch einen ruinierten | |
Planeten hinterlassen. | |
Die [2][Klimaprojekte] stehen im Koalitionsvertrag von Grün-Schwarz in | |
Baden-Württemberg unter dem sogenannten Finanzierungsvorbehalt. Was heißt | |
das? | |
Wir haben uns das Ziel gesetzt, bis 2040 ein klimaneutrales Land zu werden, | |
und haben gerade auch das bundesweit ambitionierteste Klimaschutzgesetz | |
vorgelegt. Zentral ist bei diesen Zielen der Einsatz von privatem Kapital | |
und entsprechendem gesetzlichen Rahmen für neue, profitable, aber eben | |
klimaverträgliche Geschäftsmodelle. Niemand wird etwa Milliarden in die | |
Herstellung von klimaneutralem Stahl stecken, wenn er nicht sichergehen | |
kann, dass die Regeln langfristig so gestaltet werden, dass er damit | |
wettbewerbsfähig ist. Dafür braucht es verlässliche Rahmenbedingungen und | |
klare ökologische Regeln. | |
Und da kommt dann schnell wieder der Vorwurf, die Grünen seien eine | |
Verbotspartei … | |
Politik kommt ohne Regeln, ohne Gebote, und meinetwegen auch Verbote gar | |
nicht aus. Wenn aber auch der Häuslebauer sieht, dass mit der | |
Solardachpflicht, wie wir sie in Baden-Württemberg einführen, seine | |
Stromrechnung geringer ausfällt, dann haben wir eine echte Chance für eine | |
ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. | |
Im Wahlprogramm der Grünen findet sich auch die [3][Vermögensteuer]. Bei | |
Familienunternehmern im Ländle kommt die wahrscheinlich nicht gut an, oder? | |
In der Krise ist es sicher falsch, mit Steuererhöhungen auf breiter Front | |
zu reagieren. Ich finde, wir Grünen haben ein richtig gutes Programm auch | |
in Steuerfragen. Wir wollen kleine und mittlere Einkommen entlasten und | |
Spitzenverdiener ab einem sechsstelligen Einkommen moderat belasten. Zu | |
dieser Gruppe gehöre ich selbst und einige meiner Freunde auch. Die sind | |
ohne große Einbußen durch die Coronakrise gekommen und jetzt auch bereit, | |
ihren Fair-Share zu tragen. | |
Und die Vermögensteuer? | |
Ich persönlich habe die Vermögensteuer schon zu meiner Zeit im Bundestag | |
eher skeptisch gesehen. Der Staat hat in diesem und im letzten Jahr richtig | |
viel Geld in die Hand genommen, und da ist es schon legitim zu fragen, wer | |
zahlt eigentlich diese Rechnung? Die einfache Antwort ist | |
Wirtschaftswachstum. Dahinter stehe ich auch, denn mit nachhaltigem | |
Wachstum können wir einen Großteil der Coronaschulden zurückzahlen. Es gibt | |
aber eben auch die Gerechtigkeitsebene, also die Frage, wie beteiligen wir | |
diejenigen, die viel haben. Da könnte ich mir stattdessen eine ergiebigere | |
Erbschaftsteuer vorstellen. | |
Warum lieber eine wirksamere Erbschaftsteuer? | |
Eine Erbschaft ist eine Art Geschenk ohne eigene Leistung. Wenn das | |
Geschenk sehr groß ist, darf es auch entsprechend besteuert werden. Für | |
Unternehmenserben könnte eine Erbschaftsteuer Stundungsregeln enthalten. So | |
können Beschäftigung und Investitionen geschützt werden. Das wäre viel | |
praktikabler und gerechter. Bei der Vermögensteuer muss der Staat jedes | |
Jahr aufwändig das ganze Vermögen erfassen und bewerten, während die | |
Erbschaftsteuer einmal pro Generation anfällt. | |
Sie sind ja bisher einer der wenigen Grünen Spitzenpolitiker mit Erfahrung | |
in der Unternehmensberatung. Was haben Sie bei Boston Consulting für die | |
Politik gelernt? | |
Ich konnte Leadership – sorry, das ist Beratersprache, Führungskompetenz | |
erlernen. Das kommt mir jetzt als Minister mit rund 23.000 Beschäftigten | |
sehr zugute. Beratern wird ja nachgesagt, sie machten nur Präsentationen, | |
die andere dann umsetzen müssen. Aber ich habe gelernt, man erreicht | |
nichts, wenn man nicht die ganze Organisation hinter sich hat, gerade bei | |
Veränderungsprozessen. Außerdem hatte ich die Chance, Einblicke in | |
verschiedene Branchen zu erhalten, insbesondere in die Bankenwelt. Das | |
Wissen hilft mir jetzt. | |
Aber es dürften sich doch bei vielen Grünen die Fußnägel aufstellen, wenn | |
Sie von sich sagen: „Ich bin wirtschaftsliberal.“ | |
Ich halte nichts davon, Politikerinnen und Politiker in solche starren | |
Kategorien einzusortieren. Aber die Lösungen für die großen | |
Herausforderungen unserer Zeit kommen nicht primär aus den Amtsstuben. Die | |
kriegen wir nur mit der Zivilgesellschaft, aber vor allem der Wirtschaft | |
hin. Und da stelle ich mir die Frage, wie wir die Kraft von Märkten besser | |
nutzen können, um damit gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Uns Grüne | |
unterscheidet ja von der FDP, dass wir Märkten, Kapital und Innovationen | |
eine Richtung geben wollen. Wenn man dem Markt freies Spiel lassen würde, | |
hätten wir vielleicht noch heute Kinderarbeit. Es braucht also einen klaren | |
ambitionierten Rahmen, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen – und | |
der Staat muss dafür sorgen, dass diese Regeln dann auch durchgesetzt | |
werden. Das ist für mich Ordoliberalismus. | |
Ein Beispiel bitte. | |
Nehmen Sie aktuell das [4][Lieferkettengesetz], da sagen manche: so eine | |
Regel braucht es nicht, das macht der Markt alleine. Da widerspreche ich. | |
Die Transparenz darüber, woher die Rohstoffe für Produkte eigentlich kommen | |
und unter welchen sozialen Bedingungen sie gewonnen und verarbeitet wurden, | |
ist eine elementar wichtige Info, gerade im Hinblick auf eine gerechtere | |
Wirtschaft. | |
Sie sind gerade erst in der Landespolitik angekommen, mancher sieht Sie gar | |
schon als Kretschmann-Nachfolger. Aber eigentlich bräuchten die Grünen doch | |
im Herbst einen Wirtschaftsexperten im Bund. Sind Sie schon wieder auf dem | |
Sprung? | |
Wenn ich etwas mache, dann mit vollem Einsatz. Die Legislatur hat in | |
Baden-Württemberg grade erst begonnen und das ist auch mein Zeithorizont. | |
Wir haben große Aufgaben zu bewältigen und können hier im Land auch einiges | |
bewegen. Natürlich verfolge ich den Bundestagswahlkampf intensiv. Auch weil | |
eine grüne Regierungsbeteiligung in Berlin uns die Arbeit hier im Land sehr | |
erleichtern würde. Und natürlich haben wir in Berlin auch weiterhin Leute | |
mit Wirtschaftsexpertise, zum Beispiel Katharina Dröge oder Cem Özdemir. | |
9 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gruenen-Finanzexperte-wird-Minister/!5766257 | |
[2] /Landtagswahl-Baden-Wuerttemberg/!5763952 | |
[3] /Vermoegensteuer-Politik-der-Gruenen/!5750815 | |
[4] /Einigung-beim-Lieferkettengesetz/!5775545 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
## TAGS | |
Grüne | |
Wirecard | |
Baden-Württemberg | |
Winfried Kretschmann | |
Haushalt | |
Finanzpolitik | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Wirecard | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lichtblick der Woche: Die Parteien im Klimacheck | |
Funktioniert ähnlich wie der „Wahl-O-Mat“, ist aber klimatechnisch einfach | |
besser eingestellt: der „Klimawahlcheck“. | |
Abschlussbericht zum Finanzskandal: Wirecard spaltet Große Koalition | |
Im Bundestagsgremium zum Bilanzskandal setzt sich die CDU von der SPD ab – | |
und erhebt schwere Vorwürfe gegen Finanzminister Scholz. | |
Grünen-Finanzexperte wird Minister: Im Südwesten jemand Neues | |
Der Grüne Danyal Bayaz wird neuer Finanzminister in Baden-Württemberg. Im | |
Bundestag konnte er sich als Wirecard-Aufklärer profilieren. |