# taz.de -- Großflughafen Berlin-Brandenburg: Am Boden bleiben | |
> Die Aussichtsterrasse des neuen Hauptstadtflughafens ist beliebt – doch | |
> was gibt es dort gerade überhaupt zu sehen? Ein Besuch am BER. | |
Bild: Blick gen Westen von der Besucherterrasse des neuen Airports Berlin-Brand… | |
BERLIN taz | Die Ankunftshalle des neuen City Airports Willy Brandt wirkt | |
wie in Watte gepackt. Wäre nicht das Gebläse der Klimaanlage, man wähnte | |
sich in einer Kathedrale. Keine ratternden Rollkoffer, kein Geschiebe und | |
Geschubse auf den Rolltreppen, keine Schlangen vor dem Check-in. Nur Leere | |
– abgesehen von ein paar vereinzelten Menschen. | |
Fliegen ist zurzeit nicht angesagt. Nicht weil es so schädlich fürs Klima | |
ist. Eine Reise in die Sonne gönnen sich zu dieser Jahreszeit auch Leute, | |
die Grün wählen und ansonsten für Umweltschutz sind. Doch zu Hause und | |
damit auch am Boden bleiben ist nun die Devise, die Coronapandemie ist | |
schuld. | |
Auch wenn das jetzt angesichts der Klimakrise überhaupt nicht politisch | |
korrekt ist: Man hätte dem neuen Großflughafen von Berlin-Brandenburg (BER) | |
einen besseren Start gewünscht. Im November, dem ersten Monat nach der | |
Eröffnung, sind die Fluggastzahlen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 91,6 | |
Prozent eingebrochen. Nur noch rund 100 Maschinen pro Tagen heben von | |
Schönefeld ab oder kommen an. | |
Grau und dunkel ist der Himmel an diesem Mittwochnachmittag. Die Neugier – | |
war es in Wirklichkeit nicht Fernweh? – hat einen rausgezogen vor die Tore | |
der Stadt. Wie würde es sich anfühlen, jetzt die Biege zu machen, die | |
Tristesse hinter sich lassen zu können? | |
Am Stand von Starbucks drehen die Verkäuferinnen Däumchen. Ein Mann vom | |
Putzdienst, orange Kleidung, gelbe Handschuhe, steht mit gezückter | |
Desinfektionsflasche an einer der kaum frequentierten Rolltreppen, spritzt | |
ab und zu ein paar Tropfen auf das Gummi des Handlaufs und wischt mit dem | |
Lappen nach. „We remind you, please keep your distance“, erinnert eine | |
säuselnde Frauenstimme aus dem Lautsprecher daran, Abstand zu halten und | |
eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. | |
Ein Pfeil weist zum „Raum der Stille“ – aber ist das hier nicht alles sch… | |
ein Raum der Stille? Ein mit dunklen Klinkern verkleideter Raum in | |
Pyramidenform empfängt einen. Durch eine Milchglaskuppel an der Decke kommt | |
spärlich Licht, dahinter tun sich weitere Räume auf, alle gleich düster. | |
Eine Schale ohne Wasser, eine Gebetskette, ein Kreuz, kein Mensch ist hier. | |
Statt Stille – Rauschen der Klimaanlage. | |
Von einer verglasten Brücke, die zur Besucherterrasse führt, kann man in | |
die Markthalle gucken. So heißt der Duty-free-Bereich hinter dem Check-in. | |
Duft von Kosmetikartikeln steigt herauf. Wie Spielzeugfiguren sehen die in | |
der Markthalle wartenden Flugpassagiere von hier oben aus. Viele sind es | |
nicht. Auch die sechs Polizisten in der Passkontrolle sehen so aus, als | |
langweilten sie sich. | |
Die Tür zur Terrasse öffnet sich automatisch. Genauer gesagt: Sie fliegt | |
vor einem auf und gibt eine grandiose Sicht auf das Rollfeld frei. 80.000 | |
Menschen haben die Terrasse seit der Eröffnung des BER besucht. Bis Ende | |
des Jahres ist die Aussicht kostenlos, dann kostet sie 3 Euro. | |
Es dämmert. Der Blick geht nach Westen, bis zum Horizont. Wäre es nicht so | |
grau und diesig, würde man dort jetzt die Sonne untergehen sehen. Zwischen | |
blinkenden Lichtern, Flügel an Flügel sind die Maschinen neben dem Rollfeld | |
aufgereiht. Easy Jet, Lufthansa, Eurowings. Eine einizige, eine | |
portugiesische TAP, schiebt sich langsam Richtung Startbahn. „Berlin in | |
Depression“, sagt eine Frau mit schwäbischem Dialekt, eine der wenigen | |
Besucher an diesem Nachmittag auf der Terrasse. Sie studiere in Berlin und | |
habe sich gedacht: „Was kannst machen bei diesem Wetter? Fährste mal raus.“ | |
Die einzige Schlange im ganzen BER ist die vor dem Covid-19-Testzentrum. | |
Sie rechne mit bis zu zwei Stunden Wartezeit, sagt eine Spanierin, die in | |
zwei Tagen nach Hause fliegen will und dafür einen negativen Testnachweis | |
braucht. Eine Rentnerin mit frisch gefärbten Strähnchen im Haar will vier | |
Wochen nach Fuerteventura fliegen. Keine Angst, sich im Urlaub anzustecken? | |
„Nee, Berlin ist viel gefährlicher“, sagt sie. Auch Leute ohne Reisepläne | |
stehen an. Eine 14-Jährige will sich testen lassen, weil es in ihrer Klasse | |
einen Coronafall gab. | |
Das Tourist-Welcome-Center ist leer. „Touristen? Null!“, der Angestellte | |
lacht bei dieser Frage. Berliner seien die einzigen Gäste. Die Lagepläne | |
vom Flughafen seien sehr begehrt, inzwischen aber vergriffen. | |
Der Zufall will es, dass man dann doch einen Touristen trifft. Genauer | |
gesagt handelt es sich um einen 36-jährigen Zigarrenhändler aus Kanada. Er | |
ist gerade gelandet, stellt seinen Rucksack auf die Bank und erzählt, wie | |
entspannt der siebenstündige Flug war. Freie Plätze, keine quengelnden | |
Kinder, kein Nachbar, der die ganze Zeit hustet, Service auf das | |
Notwendigste reduziert. Nur das Schlafen mit Maske sei nicht angenehm. Beim | |
Aufwachen fühlte er sich durstig und nicht sonderlich erholt. | |
Vielleicht schiebt man den Traum vom in die Ferne Fliegen besser noch ein | |
bisschen auf. Mit der S-Bahn geht es zurück nach Hause. | |
11 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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Engelbert Lütke Daldrup | |
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