# taz.de -- Gomringer-Gedicht an Berliner Fassade: „Das war nicht sehr demokr… | |
> Elfriede Müller, Künstler-Beauftragte in Berlin, ist für die Übermalung | |
> von Gomringers vermeintlich sexistischen Versen. Sie seien veraltet. | |
Bild: Kunst am Bau muss zu dem passen, was innendrin passiert, so Müller. Das … | |
taz: Frau Müller, Ihr Büro organisiert und begleitet die Kunst im | |
öffentlichen Raum in Berlin. Die Alice Salomon-Hochschule hat nun | |
beschlossen, das Gedicht von Eugen Gomringer an ihrer Fassade zu übermalen. | |
Kommt es öfter vor, dass so eine Art Kunst am Bau wieder verschwindet? | |
Elfriede Müller: Eigentlich nicht. Auf jeden Fall braucht man die | |
Einwilligung des Künstlers, wenn das Werk verändert werden soll. | |
Nun ist das Gedicht selbst als ein Stück Literatur ja nicht bedroht, | |
sondern nur seine Anbringung an der Fassade. Wie ist die Lage dann? | |
Es ist aber bewusst als künstlerische Gestaltung an der Fassade angebracht | |
worden, dann muss auch der Urheber einbezogen werden. Das Problem ist, dass | |
es keine klassische Kunst am Bau ist. | |
Warum nicht? | |
Weil für Kunst am Bau bei öffentlichen Gebäuden wie einer Hochschule | |
normalerweise ein Wettbewerb ausgelobt wird, und dann entscheidet eine | |
Jury. All das hat hier nicht stattgefunden. | |
Die damalige Rektorin hat die Anbringung zusammen mit der Poetik-Jury | |
entschieden, die Gomringer den Poetik-Preis verliehen hat. | |
Das ist nicht sehr demokratisch. Denn diese Literaturjury war ja nicht | |
beauftragt, über Kunst am Bau zu entscheiden. In einer Jury für Kunst am | |
Bau haben zum Beispiel bildende Künstler*innen immer eine Stimme Mehrheit. | |
Dann sitzt dort der Architekt oder die Architektin des Gebäudes mit am | |
Tisch, die Verwaltung, die örtlichen Fachkommission für Kunst im | |
öffentlichen Raum ist vertreten, und natürlich die Nutzer*innen. | |
Wären das die Student*innen gewesen? | |
Ja, und die Lehrenden. In der Regel fällt eine Entscheidung für Kunst am | |
Bau nicht gegen die Nutzer*innen. Denn eines der wichtigen Kriterien ist | |
ja, ob die Kunst am Bau zu dem passt, was in dem Bau passiert. | |
Und wenn Sie in der Jury gewesen wären, hätten Sie das Gedicht passend | |
gefunden? | |
Nein. Ich finde die Einwände der Student*innen stichhaltig. Das Kunstwerk | |
sollte auf dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung sein, auch der | |
Entwicklung der Geschlechterbeziehungen. Solche Argumente finden auch in | |
die Bewertung der künstlerischen Qualität des Ganzen Eingang. Ich finde das | |
Gedicht veraltet. Was ja nicht erstaunlich ist, weil es von 1951 ist. | |
Die Studierenden haben ja vor allem das Geschlechterbild problematisiert. | |
Das Wort „sexistisch“, das nun überall herumgeistert, haben sie zwar gar | |
nicht benutzt, aber die Medien haben es so verkürzt. Das klingt schon ganz | |
schön harsch, wenn eigentlich nur ein Mann Frauen bewundert, oder? | |
Man muss schon sagen, dass das Konstrukt der Muse in der Kunstgeschichte | |
ein sexistisches Konstrukt ist. Aber natürlich würde man ein Gedicht | |
deshalb nicht verbieten. Es ist einfach nur in der heutigen Zeit nicht | |
geeignet für die Fassade einer solchen Hochschule. | |
Das sehen ja viele Menschen anders. Sie haben das Gedicht zu einem ewig | |
gültigen Kunstwerk erklärt und die Kunstfreiheit generell in Gefahr | |
gesehen. | |
Ja, so etwas muss eine Jury dann diskutieren. Eine gute Jury ist in der | |
Lage, nach so einer Diskussion zu einem Ergebnis zu kommen, mit dem alle | |
leben können. Das setzt natürlich voraus, dass man überhaupt eine Auswahl | |
hat und nicht so eine Ja/Nein-Entscheidung, wie sie hier nun entstanden | |
ist. Diese undemokratische Entscheidung von damals schlägt nun quasi | |
zurück. Man hätte damals auch eine Temporalität festlegen können, so wie es | |
jetzt geschehen ist: Ein Kunstwerk bleibt für fünf Jahre. Das ist im | |
öffentlichen Raum oft sinnvoll, weil der öffentliche Raum sich ja | |
verändert. | |
Kulturstaatsministerin Monika Grütters vergleicht den Fall mit der | |
Absetzung von Mozarts „Idomeneo“ an der Deutschen Oper. Damals hatte man | |
Angst, dass der religionskritische Gehalt Islamisten provozieren könne. | |
Kunst könne sich nicht auf das allen Gruppen Zumutbare beschränken, warnt | |
sie. | |
Ich finde den Vergleich nicht richtig, weil die Oper ein zeitgenössisches | |
politisches Problem thematisiert hat, auf eine subversive Art und Weise. | |
Deshalb gab es Ärger, und sie wurde zurückgezogen, was ich falsch fand. Bei | |
dem Gedicht ist es ja eher so, dass es als nicht zeitgemäß wahrgenommen | |
wird. Wir führen heute eine andere Genderdebatte, als es 1951 der Fall war. | |
Die Oper war zeitgemäß, das Gedicht ist es nicht. | |
Oder doch, weil es diese Debatte provoziert hat? Weil viele Menschen nicht | |
verstehen, was an dem Gedicht überhaupt problematisch sein könnte? | |
Das ist ja das Gute an dem Protest der Studierenden. Kunst im öffentlichen | |
Raum steht viel stärker in der Debatte, als sie das in einem Museum jemals | |
könnte. | |
Bei dieser Debatte herrscht aber nun der Tenor, dass die Student*innen das | |
Gedicht hätten aushalten müssen, weil es ein großes und gültiges Kunstwerk | |
ist. | |
Der Stil der Diskussion war leider mehr als schrecklich. Man hat sich | |
gegenseitig die Legitimität abgesprochen, überhaupt eine Meinung zu haben. | |
So etwas entsteht, wenn die Leute nicht von vornherein einbezogen wurden. | |
Jetzt galt es, eine sehr harte Entscheidung zu treffen, die so mit einem | |
geordneten Verfahren sicher nicht zur Debatte gestanden hätte. | |
Was hätte die Hochschule denn im Jahr 2016, als der Protest laut wurde, | |
besser machen können? | |
Sie hätte sich künstlerischen Sachverstand holen sollen. Dann hätte man | |
auch eine Fachdebatte führen können. Dann hätte man sich vielleicht auf die | |
Temporalität des Gedichtes einigen können, und die Debatte wäre weniger | |
giftig gewesen. | |
29 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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