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# taz.de -- Neues Gedicht an Berliner Hochschule: Ein vieldeutiges Sie
> „Avenidas“ von Eugen Gomringer sorgte für Aufregung. An dessen Stelle
> schmückt ab September ein neues Gedicht die Alice-Salomon-Hochschule.
Bild: Neuer Look mit neuem Gedicht: Die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in…
„SIE BEWUNDERN SIE
BEZWEIFELN SIE ENTSCHEIDEN:
SIE WIRD ODER WERDEN GROSS
ODER KLEIN GESCHRIEBEN SO
STEHEN SIE VOR IHNEN
IN IHRER SPRACHE
WÜNSCHEN SIE IHNEN
BON DIA GOOD LUCK“
Es hätte keine Bessere treffen können als Barbara Köhler, um [1][Eugen
Gomringers Gedicht] von der Fassade der Salomon-Hochschule zu
verabschieden. Köhler hat ihren Job gemacht, den sie mal mit „Schrift
stellen“ beschrieben hat. Sie hat Schrift gestellt, ganz in der Tradition
der konkreten Poesie, als deren Pionier Gomringer gilt.
Das Gedicht ist zentriert um das Wort SIE. Ein vieldeutiges Wort. Es
markiert das weibliche Geschlecht. Es markiert Vielfalt, den Plural. Und es
markiert die ehrerbietende Anrede an eine geschätzte, etwas distanzierte
Person. Und fasst damit den Prozess um dieses Gedicht auf eine leichte und
sehr konkrete und deshalb Gomringer sehr angemessene Art zusammen.
SIE BEWUNDERN. Gomringers lyrisches Ich bewundert die Frauen und Alleen,
aber das Publikum bewundert ihn auch. SIE WIRD ODER WERDEN GROSS. Die
Debatte, die weibliche Kritik, die Stimmen werden groß, aber auch der
Dichter Gomringer wird hier adressiert: Sie, Herr Gomringer, werden groß.
ODER KLEIN GESCHRIEBEN. Ja, die Kunstfreiheit wurde großgeschrieben. Herr
Gomringer wurde klein geschrieben. Die Studis wurden auch klein- oder
großgeschrieben.
Und nun stehen sie vor IHNEN, vor Gomringer, aber auch vor uns, dem
Publikum, wir sind auch angesprochen. Nun stehen neue Worte vor uns und
ihnen. IN IHRER SPRACHE. In Gomringers Sprache oder in ihrer eigenen
Sprache. (Gomringer schrieb das Gedicht auf spanisch.) Alles ist
aufgehoben. Und am Ende, so wie Gomringer sich entschied, einen subjektiven
Bewunderer, eine einzelne Person in die Szene treten zu lassen, in sein
Gedicht treten zu lassen, entscheidet sich Köhler für einen Abschied.
Der Bewunderer flaniert weiter, ihm wird noch ein guter Tag gewünscht. Die
Dinge machen sich selbstständig. Die Alleen, die Blumen und die Frauen. Der
Text macht sich selbstständig, er verabschiedet die eindeutige Perspektive
des Bewunderers. Er setzt ein plurales Sie an die Stelle des groß
geschriebenen Bewunderer/Bewunderten-Sies.
Köhler nimmt die vieldeutigen Referenzsysteme der konkreten Poesie, stellt
sich in Gomringers Tradition. Sie nimmt die Sprache selbst, das SIE, und
entwickelt aus diesem Wort heraus die Dimensionen der gesamten Sozialen
Plastik, die sich um [2][das Gedicht „Avenidas“] entwickelt hat. Sie
verbeugt sich vor dem „Sie“, sie beschreibt, wie ganz andere Dimensionen
des „Sie“ auch eine Rolle spielen.
Was immer man von der Diskussion um Gomringers Avenidas an der Wand der
Salomon-Hochschule gehalten hat: Köhlers lyrischer Kommentar dazu muss das
Herz jeglicher FreundInnen konkreter Poesie erfreuen.
30 Aug 2018
## LINKS
[1] /Streit-um-Gedicht-an-Hochschulfassade/!5476081
[2] /Umstrittenes-Gedicht-avenidas/!5507669
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Eugen Gomringer
Gedicht
Alice-Salomon-Hochschule
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Sexismus
Eugen Gomringer
Alice-Salomon-Hochschule
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